Vorweg herzlichen Glückwunsch zum Erscheinen der dritten Auflage des Genossenschaftsrechtskommentars. Warum gerade jetzt eine solche Neuauflage?
Markus Dellinger: Das österreichische Genossenschaftsgesetz stammt aus dem Jahr 1873. Wir feiern also heuer den 150. Geburtstag. Darum war es mir ein Anliegen, als Gratulant nicht mit leeren Händen dazustehen, sondern noch im Jubiläumsjahr die 3. Auflage unseres Genossenschaftsrechtskommentars vorlegen zu können. Wichtiger ist aber, dass sich seit der letzten Auflage 2014 vor allem bei den Nebengesetzen einiges getan hat – einige Novellen, neue Judikatur und wissenschaftliche Literatur. Überhaupt völlig neu ist das Genossenschaftsspaltungsgesetz. Mit der Neuauflage legen wir die erste umfassende Aufarbeitung dieser neuen Materie vor.
Aber das Genossenschaftsgesetz selbst fehlt in der Neuauflage – warum dies?
Dellinger: Das hat zwei Gründe: Erstens haben sich die Gesetzesnovellen wie erwähnt vor allem im Bereich der Nebengesetze abgespielt. Das Genossenschaftsgesetz ist demgegenüber weitestgehend unangetastet geblieben. Zweitens – und das ist der Hauptgrund – steht seit längerem eine große Reform des Genossenschaftsgesetzes an. Sie soll eine grundlegende Veränderung des Haftungsmodells der Genossenschaft bringen, durch die die Genossenschaft mit unbeschränkter Haftung abgeschafft und der satzungsmäßige Ausschluss der Nachschusspflicht auch für Nichtbanken zugelassen wird. Hinzukommen soll die Möglichkeit einer identitätswahrenden Umwandlung vom Verein in eine Genossenschaft. Dieses Vorhaben wäre eine gesellschaftsrechtlich bedeutsame Reform, erweist sich politisch aber als endlose Hängepartie.
Gibt es da schon Vorarbeiten?
Dellinger: Ein auf Expertenebene seit 2021 fertig vorbereiteter Ministerialentwurf wurde der Öffentlichkeit bisher nicht vorgelegt. Sollte sich die politische Blockade lösen lassen, könnte die Reform sehr rasch kommen. Und sie hätte weitreichende Auswirkungen auf die Kommentierung vieler Bestimmungen des Genossenschaftsgesetzes. Wir wollten nicht ewig warten und haben uns deshalb entschieden, den Kommentar in zwei Bände aufzuspalten.
Hat diese Aufspaltung etwas mit dem neuen Genossenschaftsspaltungsgesetz zu tun?
Dellinger: Nein, das ist ein semantischer Zufall. Die Spaltung des Kommentars war nicht durch das neue Gesetz inspiriert.
Warum gehört der Band II in jede gut sortierte juristische Bibliothek?
Dellinger: Gute Frage, ich hoffe wegen seiner Qualität und wegen seines Inhalts. Immerhin spiegelt der Band das geballte Fachwissen und die Erfahrung der Revisionsverbände wider. Es hat ja ein ganzes Team von Kollegen aus den Landesrevisionsverbänden und auch aus dem Österreichischen Genossenschaftsverband an dem Kommentar mitgewirkt und namentlich in Fragen der Genossenschaftsrevision, der Genossenschaftsverschmelzung und der Firmenbucheintragungen bei Genossenschaften wissen die Revisionsverbände eben wirklich sehr, sehr gut Bescheid. Gott sei Dank haben sie weniger praktische Erfahrung mit dem Genossenschaftsinsolvenzrecht, aber das ist dann wieder eine Materie, bei der ich mich als alter Gesellschafts- und Insolvenzrechtler stark eingebracht habe, ebenso wie bei der Aufarbeitung des Genossenschaftsspaltungsgesetzes. Insgesamt sollte der Band II so ziemlich alles abdecken, was man aus genossenschaftlicher Perspektive außerhalb des Genossenschaftsgesetzes selbst an gesellschaftsrechtlichen Rechtsfragen haben kann. Neben den schon erwähnten Materien reicht das von der Europäischen Genossenschaft bis zur Möglichkeit der Einbringung des bankgeschäftlichen Betriebs einer Kreditgenossenschaft in eine Bankaktiengesellschaft nach Paragraf 92 Bankwesengesetz.
Und wann soll der Band I nachfolgen?
Dellinger: Für die laufende Legislaturperiode glaube ich nicht mehr an eine Umsetzung der vorhin erwähnten Reform. Wir werden aber beobachten, ob diese im nächsten Regierungsprogramm angekündigt wird. Je nachdem werden wir entweder sofort mit den Arbeiten am Band I beginnen oder die dann ja hoffentlich explizit angekündigte Reform abwarten.
Und was wünschen Sie dem Genossenschaftsgesetz abschließend zum Geburtstag?
Dellinger: Mit Blick auf das Datum bin ich versucht, einfach „Frohe Weihnachten“ zu wünschen. Aber im Ernst, was ich mir für das Genossenschaftsgesetz erhoffen würde, wäre, dass sich die Rechtsform Genossenschaft auch in den nächsten 150 Jahren erfolgreich behauptet und sich immer wieder als wandlungsfähig, vital und dynamisch erweist.