Welche aktuellen Herausforderungen beschäftigen den Milchmarkt?
Alfred Berger: Durch die hohe Inflation hat sich europaweit das Konsumverhalten verändert. Der Anteil an Handelsmarken hat deutlich zugenommen, was uns als Markenproduzent natürlich trifft. Gleichzeitig sind wir aber auch bekennende Handelsmarkenerzeuger und konnten diese Mengen damit kompensieren. Das heißt, im Volumen gleichen wir das aus, aber eine höhere Wertschöpfung erzielen wir mit steigenden Handelsmarkenanteilen nicht. Vor zehn Jahren lag der Anteil an Eigenmarken bei Trinkmilch unter 50 Prozent, heute sind es 70 Prozent.
Im Handel jagt eine Aktion die nächste. Wie geht es Ihnen damit?
Berger: Das geht natürlich Hand in Hand mit der Teuerung. Der Trend zu Aktionen ist deutlich gestiegen. Abgesehen davon, dass sich Aktionen für die gesamte Wertschöpfungskette nicht rentieren, wird vor allem wieder der Wert der Produkte verwässert. Der Konsument weiß nicht mehr, was ein Liter Milch von den Einstandskosten her tatsächlich wert ist.
Dazu kommt, dass auch in Österreich – kostenbedingt – immer mehr H-Milch getrunken wird, die natürlich deutlich billiger als Frischmilch ist. Deutschland zum Beispiel war immer ein H-Milch-Land, während Österreich immer ein Frischmilch-Land war. Nun sind die Anteile am Weg, sich anzupassen.
Leopold Gruber-Doberer: Lebensmittel haben bei uns leider keine Wertigkeit mehr. Aber wir dürfen nicht aufhören, die vielfältigen Leistungen unserer Bäuerinnen und Bauern aufzuzeigen. Unsere Produktion erfüllt die höchsten Standards und es gilt als selbstverständlich, dass der Gabentisch gedeckt ist – und das möglichst günstig. Aber das ist alles andere als selbstverständlich. Auch die ständig neuen Anforderungen an unsere Betriebe drücken aufs Gemüt.
Das bringt mich zum Thema Tierwohl. Ab 1.April 2024 gilt das „AMA-Gütesiegel Tierhaltung plus“. Wie stehen Sie dazu?
Gruber-Doberer: Die Umsetzung des neuen Tierwohl-Gütesiegels ist herausfordernd, aber alternativlos. Es geht darum, die Vermarktungsmöglichkeiten unserer Milch und Milchprodukte abzusichern. Wenn man nach Deutschland exportieren möchte, führt kein Weg daran vorbei. Das wird uns heuer und auch nächstes Jahr massiv beschäftigen. Und natürlich ist die Erwartungshaltung da, dass diese höheren Anforderungen irgendwann auch abgegolten werden.
Berger: So sehr ich die Tierwohl-Programme des Handels grundsätzlich begrüße, sehe ich diese leider als Wohlfühlfaktor, für den der Konsument nicht bereit ist, einen Cent mehr zu bezahlen. Wir müssen aufpassen, dass diese Maßnahmen damit nicht zu einem Feigenblatt werden. Aber wir müssen und werden Lösungen finden, diese für alle Beteiligten fair und transparent umzusetzen.
Wie merkt die NÖM den Trend zu Milchersatzgetränken?
Berger: Wir spüren es im Regal – der Umsatz-Anteil ist aber unter 0,5 Prozent. Der Regalanteil ist groß, weil jeder Supermarkt eine breite Palette anbieten muss. Aber dass dieser Trend so groß wie Bio wird, schließe ich aus – sowohl im Milch- als auch im Fleischbereich.
Gruber-Doberer: Wir müssen aufpassen, dass wir diesem Trend nicht mehr Bedeutung zuschreiben, als er verdient.
Ein weiteres Thema, bei dem die Branche gefordert ist, ist das Thema CO₂. Wie geht es den Milchbauern damit?
Gruber-Doberer: Wir befinden uns in einer öffentlichen Diskussion, bei der der Methanausstoß der Kuh als Problem dargestellt wird. Mir ist wichtig, Folgendes festzuhalten: Der Methanausstoß im Jahr 1890 war gleich hoch wie jener im Jahr 2018. Also die Kuh als Klimakiller zu bezeichnen, entbehrt jeder sachlichen Grundlage. Und trotzdem müssen wir uns dieser Diskussion stellen. Daher lassen wir derzeit erheben, wie die Klimabilanz unserer Milcherzeugerbetriebe aussieht.
Wann wird es ein Ergebnis geben?
Gruber-Doberer: Es geht uns um Fakten, damit wir entsprechende Argumente für diese Diskussion haben. Wie hoch ist die CO₂-Belastung pro Kilogramm Milch? Das werden wir darstellen und Anfang 2025 auf Basis dieser Ergebnisse CO₂-Einsparungsmaßnahmen überlegen. Aufgrund unserer kleinbäuerlichen Struktur gehe ich davon aus, dass unsere Belastung relativ gering ist. Aber wir brauchen Fakten, um die weiteren Schritte ableiten zu können.
Berger: Derzeit wird die Kuh und der Bauernhof propagandamäßig vergewaltigt. Dass jeder Bauernhof ein extremer Stickstoffbinder ist, wird dabei völlig außer Acht gelassen. Zudem baut sich Methan wesentlich schneller ab als andere Treibhausgase, das ist wissenschaftlich erwiesen, aber in den Berechnungen nicht berücksichtigt.
Gruber-Doberer: Vergessen darf man auch nicht, dass drei Viertel unseres Planeten mit Grasland bedeckt sind und der Wiederkäuer das einzige Lebewesen ist, das daraus Milch und Fleisch machen kann.
Berger: Genau das stellt auch eine Herausforderung für uns als Milchverarbeiter für die nächsten 20 Jahre dar: Dieses Grünland wird durch die Erderwärmung weniger, das heißt, wir haben immer weniger Futtergrundlage, die Tieranzahl wird sinken und damit einhergehend die Milchmenge. Milch ist am Weg, von einem Überschussprodukt, das am Spotmarkt verschleudert wurde, zu einem knappen Gut zu werden.
Welche Entwicklungen prägen derzeit den Weltmilchmarkt?
Gruber-Doberer: Die Umwelt- und Nachhaltigkeitsthematik spielt bei der Milchproduktion eine immer größere Rolle – siehe Holland und Irland, wo die Produktion massiv zurückgefahren wurde. Die Gesellschaft lässt nicht mehr zu, dass auf Kosten der Umwelt agrarische Produktion passiert. Gleichzeitig baut China die Milchproduktion massiv aus, weil sie bisher unterversorgt waren und damit unabhängiger werden wollen.
Berger: Das große Milchland Neuseeland hat vor allem ein klimatisches Thema. Wenn der Milchpreis hoch ist, gab es in der Regel ein halbes Jahr davor einen El Niño und führte zum Ausfall einer ganzen Erntegeneration. Die USA halten sich stabil auf hohem Niveau und Indien wird sich zu einem der größten Milchmärkte der Welt entwickeln. Derzeit decken sie den großen Bedarf an Milchpulver am internationalen Markt, zumal die indische Küche stark auf Joghurt basiert. Die eigene Produktion nimmt aber deutlich zu.
Wie geht es der NÖM in diesem herausfordernden Marktumfeld?
Berger: Wir sind mit der Entwicklung sehr zufrieden. Mit unserer klaren Wachstumsstrategie ist es gelungen, die Weichen für eine ertragreiche Zukunft zu stellen. Besondere Bedeutung für den Geschäftserfolg der NÖM haben unsere starken internationalen B2B-Kunden. Hier wachsen wir sehr stark, hier liegt auch unser Fokus für die Zukunft. So liegt auch unsere Exportquote NÖM-weit aktuell bei ca. 60 Prozent. 2026 werden es 70 bis 75 Prozent sein. In Österreich sind wir im Marken- und im Handelsmarkengeschäft nach wie vor stark, aber wir können hier aufgrund der Marktgröße im Vergleich zu Europa natürlich nicht so wachsen.
Und produziert wird alles in Baden?
Berger: Ja, alles an einem Standort. Wir verarbeiten ca. 450 Millionen Kilo Milch und haben 1.000 Mitarbeiter. Die NÖM ist damit der größte Arbeitgeber der Stadt Baden. Im Vorjahr haben wir die Produktion um eine neue Halle mit 4.000 m2 erweitert. Die zwei neuen PET-Abfüllanlagen laufen bereits auf Hochtouren und die Marke von 10 Milliarden Produktionseinheiten im Bereich PET-Flaschen haben wir 2023 bereits geknackt – Tendenz weiter steigend. Als ich zur NÖM gekommen bin, haben wir 30 Prozent der Milch verarbeitet, heute kaufen wir Milch zu. Damit ist unsere Wertschöpfung deutlich gestiegen – „Trading up“ lautet das Motto.
Welche neuen Trends im Milchregal gibt es?
Berger: Die Konsumenten suchen nach wie vor nach praktischen, wohlschmeckenden Lösungen für eine ausgewogene Ernährung. Dabei zählen wenig Fett, kein Zuckerzusatz und ein hoher Proteingehalt zu den wichtigsten Kaufmotivatoren der meist jüngeren Konsumenten. Vor allem Protein sehen wir als Wachstumstreiber. Mit NÖM PRO sind wir seit dem Markenlaunch vor fünf Jahren führend in den Segmenten der milchbasierten Proteindrinks und Topfencremen in Österreich. Auch international dürfen wir einige große Handelsketten mit unseren Proteindrinks bedienen.
2023 hat die MGN weitere Aktien an der NÖM AG gekauft. Wie wirkt sich das aus?
Gruber-Doberer: Das war ein wichtiger Meilenstein für unsere Milchbauern. Damit hat sich der Anteil der MGN an der NÖM von 25 auf 35 Prozent gesteigert und wir haben ein noch stärkeres Mitspracherecht bei wichtigen Entscheidungen. Bauern haben grundsätzlich zu Eigentum eine besondere Affinität. Mit der Aufstockung unserer Anteile an der NÖM sind wir erstens nicht austauschbar und sitzen zweitens mit am Verhandlungstisch, wenn es beispielsweise um eine sichere Milchabnahmemenge oder stabile Milchpreise geht. Wir haben mit diesem Schritt die Existenz unserer Betriebe weiter abgesichert, aber auch ein Zeichen des Vertrauens gegenüber der NÖM gesetzt. Denn wir sind gerne an einem erfolgreichen Unternehmen beteiligt.