Bevor er zu den Olympischen Spielen nach Tokio flog, hatte sich Martin Strempfl die Sinnfrage gestellt. Mache ich nach diesem Highlight weiter oder werfe ich die Flinte ins Korn, lauteten die Optionen. Doch nach seinem Trip nach Fernost, der mit dem 13. Platz endete, war ihm klar: „Ich bin noch top motiviert, habe Spaß am Schießen und kann mich immer noch verbessern.“ Da ihm die Ziele auch nicht ausgingen, hat er sich entschieden, weiterzumachen. Und zwar auch deshalb, weil ihm das Erlebnis Olympia so richtig schmackhaft gemacht wurde. „Ich habe erfahren, was Olympia bedeuten kann und würde gerne sehen, wie es ohne Pandemie ablaufen würde.“
Denn eines ist für ihn nach seinen Erlebnissen klar: Olympische Spiele kann man nicht auf ein reines Sportfest reduzieren. „Man sieht dort, wie gut das Zusammenleben von Menschen funktionieren könnte. Herkunft, Religion, Wertevorstellungen – dort trifft man sich und tauscht sich aus. Das hat eine irrsinnige Kraft.“ Die natürlich noch größer gewesen wäre, hätte es Corona-bedingt nicht die vielen Einschränkungen gegeben. Darüber hadern mag Strempfl allerdings nicht. „Wir Sportler sind froh, dass es überhaupt stattfinden konnte, alles ist besser als eine Absage.“ Nachsatz mit Augenzwinkern: „Auch wenn es natürlich schade ist, dass wir im Team Austria die Medaillen nicht gebührend feiern konnten.“
Er selbst hatte mit der Vergabe des Edelmetalls am Ende nichts zu tun, verpasste das Finale der besten acht Schützen um 2,2 Ringe. Auf der einen Seite eine Winzigkeit, auf der anderen Seite schlicht und einfach zu viel, wenn sich die besten Schützen der ganzen Welt zum Wettkampf treffen. „Das Niveau war unglaublich hoch, kein Fehler wurde verziehen“, sagt Strempfl. Und verweist darauf, dass er mit seinem Ergebnis von 627,0 Ringen bei den Spielen 2016 locker als Vierter in den Endkampf gekommen wäre. Aber bei Olympia zählen eben nur die Medaillen. Seine trockene Analyse: „Meine Leistung war gut, aber eben nicht ganz auf dem Top-Niveau, das es gebraucht hätte.“
60 Schüsse
Um beim Sportschießen erfolgreich zu sein, kommt es auf viele Parameter an. Neben der Grundtechnik im Umgang mit der Waffe geht es um mentale Stärke, aber auch um körperliche Fitness. Wer es dort schleifen lässt, bekommt einen Schuss vor den Bug. Ein Aspekt, der oft unterschätzt wird. „Ich habe 75 Minuten Zeit, um 60 Schüsse abzugeben. Das Entscheidende ist, für jeden einzelnen Schuss die Konzentration auf dem höchsten Level zu halten. Die Regel lautet: Je fitter man ist, desto besser kann man sich konzentrieren“, erklärt er. Weshalb er neben den 15 bis 20 Stunden, die er pro Woche am Schießstand verbringt, auch viel Zeit in Konditions- und Krafttraining investiert. Vor allem die feine Muskulatur in Rumpf und Beinen sei entscheidend, um im richtigen Moment einen stabilen Halt zu haben.
Strempfls Erklärungen sind keine leeren Hülsen, nach jahrzehntelanger Erfahrung weiß er genau, wovon er spricht. Schon in ganz jungen Jahren wurde er von seinem Vater, der noch heute zu seinen wichtigsten sportlichen Ansprechpartnern gehört, zum Schießstand mitgenommen. Als vor 20 Jahren der Schützenverein Feistritztal, zu dessen treuesten Partnern die Raiffeisenbank Pischelsdorf-Stubenberg gehört, gegründet wurde, war er bereits mit von der Partie. Ab dann ging es kontinuierlich bergauf: Er wurde Staatsmeister, reiste in die ganze Welt zu internationalen Wettkämpfen und nahm an Welt- und Europameisterschaften teil. Dabei half ihm die Tatsache, als Heeressportler unter absoluten Profibedingungen trainieren zu können, ungemein. Heute sagt er: „Ich kann behaupten, jetzt auf dem besten Level zu sein, auf dem ich je war. Wobei ich nicht das Gefühl habe, schon meinen Zenit erreicht zu haben. Da ist noch Luft nach oben.“
Sein Spezialgebiet ist das Luftgewehrschießen, bei dem es darum geht, aus zehn Metern Entfernung eine Scheibe mit zehn Ringen ins Visier zu nehmen. Und zwar in einer Halle, also ohne äußere Einflüsse wie den Wind. Dass es viele Kritiker gibt, die den Schießsport prinzipiell ablehnen und seine Protagonisten in einen Topf mit Kriegsfanatikern werfen, kann er nicht bestätigen, auch wenn er diese ihm oft gestellte Frage differenziert betrachtet. „Ich werde so gut wie nie mit Vorwürfen in diese Richtung konfrontiert, obwohl ich viel auf Social Media unterwegs bin. Der Gebrauch von Waffen hat eine riesige Bandbreite, vom Krieg über die Jagd bis zum Sport. Das muss man schon differenzieren. Fakt ist: Vom Umgang mit Waffen geht immer eine gewisse Gefahr aus, weswegen die Sicherheit in unserem Sport immer an oberster Stelle steht.“
Nachdem er sich nach Olympia zwei Wochen rausgenommen hat, um all die Eindrücke zu verarbeiten, fängt Strempfl in diesen Tagen wieder mit dem Aufbautraining an. In der kommenden Saison stehen Wettkämpfe vor allem in Asien auf dem Programm, außerdem schießt er in der deutschen Bundesliga für den bayerischen Verein Germania Prittlbach. „In Deutschland finden Wettkämpfe auf höchstem Niveau statt, weswegen viele Olympia-Teilnehmer dort zu finden sind“, sagt er. Auf das Reisen freut er sich bereits, da die Corona-Zeit, in der die meisten Events abgesagt werden mussten, ihn auch Demut lehrte. „Da hat man erst richtig zu schätzen gewusst, wie schön es ist, woanders hinzukommen.“
Wo er 2024 im Idealfall hinreisen möchte, weiß er bereits. Denn in jenem Jahr finden die nächsten Olympischen Spiele statt, dann in Paris. Und auch wenn der Weg dorthin ein steiniger und die Qualifikationshürden durchaus hohe sind, hat er dieses Ziel bereits ins Visier genommen. „Es wäre ein riesiger Erfolg, es nochmal zu Olympia zu schaffen. Aber die Motivation ist da.“