Die Corona-Pandemie hat die Nachfrage nach Wohnimmobilien auch in Niederösterreich weiter beflügelt. „Die Covid-19-Krise hat unsere Lebensgewohnheiten geändert. In den vergangenen Monaten ist die eigene Wohnsituation auf den Prüfstand gestellt worden und der Anspruch ans Wohnen hat sich erhöht. Der Wunsch nach einem Rückzugsort ist größer geworden“, sagt Generaldirektor-Stellvertreter Reinhard Karl, Kommerzkundenvorstand der Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien. Aber auch die Notwendigkeiten haben sich geändert, so musste man vielfach Homeoffice und -schooling mit dem Wohnen unter ein Dach bringen. Darüber hinaus wurde es für viele Menschen noch wichtiger, einen raschen Zugang zur Natur zu haben. All dies führt dazu, dass „das Eigenheim hoch im Kurs steht“, das spiegle sich auch in den Kreditzahlen der RLB NÖ-Wien wider.
So legte das Finanzierungsvolumen der Bank im Vorjahr insgesamt um 15,5 Prozent im Jahresabstand auf 12,7 Mrd. Euro zu. Und auch heuer scheint dieser Trend nicht abzureißen. Im ersten Halbjahr 2021 nahm das Kreditvolumen seit Ende 2020 um weitere 6,7 Prozent zu. „Letztes Jahr haben historisch niedrige Zinsen in vielen Fällen den Immobilienkauf zu leistbaren Raten möglich gemacht“, so Karl. Besonders nachgefragt seien Fixzinskredite mit Laufzeiten von bis zu 30 Jahren. Das mache die Kosten berechenbar. Um den gewünschten Lebensstandard möglichst unverändert erhalten zu können, gelte als Faustformel für private Kreditnehmer eine Rate von maximal 30 Prozent des monatlichen Nettoeinkommens, darüber hinaus seien bei Eigennutzung der Immobilie 20 Prozent Eigenmittel empfehlenswert. „Die durchschnittlich aufgenommenen Kreditsummen haben sich in den letzten zwei Jahren um 10 Prozent erhöht und belaufen sich aktuell auf rund 330.000 Euro“, so Karl. Sie seien Folge der spürbaren Preissteigerungen am Immobilienmarkt.
„Die Corona-Pandemie hat sich als Katalysator für eine weitere Preisrallye auf dem Immobilienmarkt herausgestellt“, sagt Raiffeisen-Chefanalyst Peter Brezinschek. Beim Demografie-Faktor sei Niederösterreich neben dem Burgenland ein Profiteur der Binnenwanderung. Unterstützung komme von der positiven Konjunkturlage. So hob Raiffeisen Research die BIP-Erwartung für 2021 von zuletzt 3,5 auf nun 4,5 Prozent an. Auch 2022 dürfte die heimische Wirtschaft mit demselben Tempo wachsen.
Die Leistbarkeit von Immobilien sei sehr stark mit der Zinsentwicklung verbunden. Fixzinskredite liegen derzeit bei rund 1,4 Prozent, variable bei knapp unter 1 Prozent. „Tiefer geht es wohl nicht mehr, auch wenn die EZB keine Trendwende bei der Geldpolitik für die nächsten zwei, drei Jahre vorhat. Das Zinstief am langen Ende dürfte erreicht worden sein“, meint Brezinschek. Er rechnet mittelfristig mit einer steigenden Zinskurve. Für die kommenden Jahre heißt das: „Die fundamentalen Voraussetzungen für eine längerfristige Fortsetzung des preislichen Steigflugs, wenn auch mit geringerem Tempo als zuletzt gesehen, sind weiterhin intakt“, resümiert Brezinschek.
Die Immobilienpreise in Niederösterreich legten im Vorjahr durchwegs eine höhere Dynamik an den Tag als im Bundesgebiet, streicht Matthias Reith, Immobilienexperte bei Raiffeisen Research, hervor. Österreichweit legten 2020 die Preise für Wohnimmobilien um 7 Prozent zu, die Einfamilienhäuser in Niederösterreich verteuerten sich um 7,6 Prozent. „Der Immobilienmarkt blieb von der Corona-Rezession unbeeindruckt und setzte zu einem abermaligen Höhenflug an“, so Reith. Dies könne auch auf den Homeoffice-Trend zurückzuführen sein, der die Nachfrage nach Immobilien weiter befeuerte.
Zwar zähle Niederösterreich im Bundesländervergleich zu den günstigeren Regionen, allerdings gebe es ein starkes regionales Preisgefälle. „Nirgendwo sonst schwankt der Preis von Haus, Wohnung oder Grund auf Bezirksebene derart wie in Niederösterreich“, ergänzt Brezinschek. Der Grund sei die geographische Sonderstellung Niederösterreichs mit Wien in seiner Mitte. So sei das Wiener Preisniveau in den umliegenden niederösterreichischen Bezirken der Referenzmaßstab, während insbesondere im Waldviertel davon keine Rede sein könne, berichtet Brezinschek.
Insgesamt sei die preisliche Schere zwischen den Bundesländern 2020 nochmals größer geworden, womit im Corona-Jahr eine gewisse Kontinuität gewahrt worden sei, sagt Reith und betont: „Denn bereits zuvor galt: Ohnehin schon Teures wird schneller noch teurer. Heißt: Die preislichen Hotspots in Österreich verzeichneten in den letzten Jahren stärkere Preiszuwächse als die preislichen Nachzügler. ‚Divergenz statt Konvergenz‘ war und ist das Motto innerhalb Österreichs.“
Nachfrage nach ländlichen Regionen
Vor allem der Traum vom Landleben wurde durch die Corona-Pandemie noch verstärkt. In einer von Raiffeisen Immobilien beauftragten Gallup-Umfrage gaben 78 Prozent an, dass sie in der Krise lieber am Land leben wollen. Peter Weinberger, Geschäftsführer von Raiffeisen Immobilien NÖ/Wien/Burgenland, sieht diese Entwicklung auch in der Nachfrage abgebildet: „Neben den klassischen Speckgürtel-Bezirken wie Baden oder Mödling erfreuen sich seit Beginn der Corona-Krise auch ländlichere Regionen im Umkreis von zirka einer Stunde Fahrzeit rund um Wien großer Beliebtheit.“ Hotspots sind etwa die Bezirke Amstetten, Tulln, Bruck/Leitha oder Wiener Neustadt.“
Die gestiegene Akzeptanz von Homeoffice verstärke diesen Trend: Wer nur mehr an einem oder zwei Tagen pro Woche an den Arbeitsplatz pendeln muss, nehme größere Entfernungen eher in Kauf. „In Zukunft wird daher vor allem der digitalen Infrastruktur als Voraussetzung für Homeoffice wachsende Bedeutung zukommen. Wenn der Zugang zu Breitband-Internet gegeben ist, könnten auch Regionen, die von den Ballungsräumen weiter entfernt liegen, wie etwa das Waldviertel oder nördliche Weinviertel, für Immobiliensuchende attraktiver werden“, ist der Immobilienexperte überzeugt.
Die Transaktionszahlen der Raiffeisen Makler in Niederösterreich seien zwar heuer ungefähr auf dem Niveau von 2019, allerdings stiegen die Kaufpreise der vermittelten Immobilien in den letzten drei Jahren im Schnitt um gut 20 Prozent. Das hat auch den Honorarumsatz kontinuierlich wachsen lassen.