IHS: „Wir brauchen eine nachhaltige Veränderung“

Trotz Wachstum bleiben die wirtschaftspolitischen Herausforderungen in Österreich weiterhin groß, analysiert IHS-Leiter Holger Bonin.

Die Rezession ist in Österreich zwar vorbei, dennoch gibt es viele große Baustellen für die Wirtschaftspolitik, betont Holger Bonin, Leiter des Instituts für Höhere Studien, im Klub der Wirtschaftspublizisten. Die heimische Wirtschaftsleistung soll heuer um 0,4 Prozent und nächstes Jahr um 0,9 Prozent wachsen. Zudem war die Rezession nicht so tief wie gedacht, die BIP-Entwicklung wurde zuletzt etwas nach oben revidiert.

„Wir prognostizieren falsch. Die Daten sind weniger verlässlich geworden“, konstatiert Bonin. Nun laufen in der Wirtschaftsforschung Diskussionen, warum die Daten weniger aussagekräftig seien als in der Vergangenheit. „Anstatt einer Konjunkturprognose, die immer ungenauer wird, sollten wir uns damit beschäftigen, was in einer Volkswirtschaft passiert“, spart der Wirtschaftsforscher nicht mit Selbstkritik. Mögliche Ursachen für die schlechteren Prognosen seien, dass die Lagerhaltung seit der Corona-Pandemie wieder wichtiger sei, weil die Lieferketten fragiler seien, und die Volatilität in allen Lebensbereichen zugenommen habe. Zudem werde man bei Prognosen mehr in Richtung Szenarien denken müssen, bisher habe man das nicht gemacht.

Zu den angesprochenen wirtschaftspolitischen Baustellen zählt der Ökonom etwa die Arbeitslosigkeit, die mit über 7 Prozent zu hoch sei. „Das Budget wird uns weiter beschäftigen“, ergänzt Bonin. Aktuell gehe es darum, das Defizit auf unter 3 Prozent des BIP zu drücken, die Benchmark sollte aber bei 1 Prozent liegen. Und die Teuerung mache der Wirtschaft, aber auch der Gesellschaft insgesamt zu schaffen. Heuer sei die Inflationsrate hierzulande fast doppelt so hoch wie in der Eurozone und selbst 2026 werde sie mit den prognostizierten 2,4 Prozent weiterhin über dem Durchschnitt der Eurozone liegen.

Geringeres Potenzial

Das jährliche Wachstumspotenzial in Österreich betrage nur mehr rund 0,8 Prozent, nach über 1 Prozent in den 2010er-Jahren, betont der Wirtschaftsexperte. Ein wesentlicher Grund dafür sei die alternde Gesellschaft und das bereits seit Jahrzehnten immer schwächere Produktivitätswachstum. Europa müsse seinen Fokus auf Wirtschaftsbereiche mit kooperativen Vorteilen gegenüber den USA und China legen, etwa im Bereich Dekarbonisierung, Klimaschutz und Haustechnik.

Für Bonin ist die US-Zollpolitik eine der größeren Risiken für Österreichs und Europas Wirtschaftsentwicklung im kommenden Jahr. So hat die EU den USA im Zuge des Zolldeals unter anderem 600 Mrd. Dollar (516 Mrd. Euro) an zusätzlichen Investitionen in den Vereinigten Staaten zugesichert sowie versprochen, etwa deutlich mehr US-Flüssiggas und -öl zu kaufen. Offen sei, wie US-Präsident Donald Trump reagieren werde, wenn sich Europa nicht an die Versprechen halte.

Den Ruf nach Deregulierung kann Bonin zwar nachvollziehen, große wirtschaftliche Effekte erwartet er sich davon allerdings nicht. „Es bringt nicht so viel, wie man denkt“, sagt der Wirtschaftsexperte. Damit könne man keine großen Dinge voranbringen. Zudem könnten Vorteile nur einmalig realisiert werden, nachhaltig seien sie nicht. „Wir brauchen aber ein Produktivitätswachstum, also eine nachhaltige Veränderung.

Dass man die Diversity-Beauftragte entlässt, ist nichts, was nachhaltig Wachstum bringt“, gibt Bonin ein plastisches Beispiel. Eine Deregulierung könnte aber einen Beitrag zur Verbesserung der Stimmung in der Wirtschaft bringen. Dafür gäbe es eine große Erwartungshaltung. Der Politik rät der Ökonom, „an den wirklich harten Brettern zu bohren“. Dazu zählt Bonin vor allem eine Föderalismusreform in Österreich. Da stecken das Gesundheits-, Bildungs- und Förderungswesen sowie die Grundsicherung drinnen. „Das sind Themen, über die wir immer wieder diskutieren“, so Bonin. Die Regeln sind seiner Ansicht nicht zu komplex, sondern „falsch aufgesetzt“.

AusgabeRZ45-2025

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