Expertenforum: „Elfermoment für Berater“

Das Expertenforum des Raiffeisen Campus in Salzburg lieferte wertvolle Impulse für Zukunftskompetenzen von Finanzberatern.

In nur fünf Sekunden werden 750 Artikel über Amazon verkauft, 330 Tonnen Müll entsorgt, zwölf Babys geboren und 20 Millionen E-Mails verschickt – die Welt ist ständig in Bewegung. Welche Konsequenzen sich daraus für Anlagestrategien ergeben, das wurde beim Expertenforum des Raiffeisen Campus für Diplomierte Finanzberater (D.FB) und Certified Financial Planner (CFP) unter dem Motto „Märkte verstehen. Zukunft gestalten“ in Salzburg diskutiert. 

Investmentexperte Joachim Nareike nahm die 137 Teilnehmer bei seinem Vortrag mit auf eine Reise durch Finanzen und Gesellschaft. „Die Hälfte der Kinder, die heute die Volksschule besuchen, wird später in völlig neuen, heute noch unbekannten Berufen arbeiten. Zudem wird jedes zweite Kind im Kindergartenalter voraussichtlich 100 Jahre oder älter werden“, sagte Nareike. Der demografische Wandel stellt das bestehende Pensionssystem vor Herausforderungen. „Private Altersvorsorge wird immer wichtiger. Das ist ein Elfmeter-Moment für Berater“, so Nareike. Die Aktienquote von etwa 20 Prozent in Österreich treiben dem Investmentexperten Sorgenfalten auf die Stirn. Er empfiehlt für einen ausgewogenen Vermögenssaufbau eine einfache Formel: „100 minus Lebensalter entspricht jenem Anteil, den man in Aktien halten soll.“ 

Vor allem die gewachsenen Beziehungen zu den Kunden sieht er als großen Pluspunkt von Raiffeisen – ein Potenzial, das seiner Meinung nach viel stärker ausgeschöpft werden kann. Nareike riet dazu, deutlich mehr zuzuhören. „Holt die Kunden dort ab, wo sie stehen.“ Nicht komplexe Charts seien ausschlaggebend, sondern vor allem Aufmerksamkeit.

Private Market im Fokus

Wohin sich die Märkte entwickeln und welche Chancen sich für Anleger daraus ableiten lassen, erklärte Melissa Hofkirchner, Aktien-Fondsmanagerin bei Raiffeisen Capital Management. „Die Hälfte des Wachstums in den USA ist auf KI zurückzuführen“, sagte Hofkirchner. Zudem herrsche eine hohe Konzentration am Markt. „Die Top-10-Unternehmen in den USA machen über 40 Prozent der Marktkapitalisierung aus.“ Dass die „Underperformer“ aufholen, erscheine nun überfällig. „Es wird an der Zeit, breiter zu schauen.“

Erfolgreiche KI-Unternehmen müssen nicht zwangsläufig an der Börse vertreten sein. Beim Softwareunternehmen Open-AI wird spekuliert, ob ein Börsengang bevorsteht. Omid Alimohammadi, Leiter Bankenvertrieb Österreich beim Vermögensverwalter BlackRock, hält es für unwahrscheinlich, dass das Unternehmen in naher Zukunft den Sprung aufs Parkett wagt. „OpenAI möchte seine Ziele zunächst unabhängig erreichen, bevor es dem Druck öffentlicher Märkte ausgesetzt wird. Viele Unternehmen entscheiden sich heute gegen einen Börsengang, da sie dort quartalsweise bewertet und belohnt oder bestraft werden.“ Alimohammadi lenkt die Aufmerksamkeit deshalb auf Private-Market-Investments – also Anlagen in Vermögenswerte, die nicht über öffentliche Börsen gehandelt werden. „Viele Vermögensverwaltungen und Privatanleger sind in Privatmarktanlagen bislang deutlich unterinvestiert – und vergeben damit die Chancen auf zusätzliches Wachstum und eine breitere Diversifizierung ihres Portfolios.“ Möglich macht das eine neue EU-Regelung, seit 2024 dürfen auch Kleinanleger in den European Long-Term Investment Funds (ELTIFs) investieren. Der Finanzexperte rät zu einer Beimischung von fünf bis zehn Prozent des Gesamtportfolios.

Übertriebener Pessimismus 

Darüber wie Portfolios auch in Krisenzeiten stabil bleiben, sprachen Uli Krämer und Andreas Berer von Kepler-Fonds. „Krise ist für jeden Kunden etwas anderes und jede Krise ist auch anders“, betonte Krämer. Kepler nutzt Erkenntnisse aus der Forschung über Behavioral Finance zur Einschätzung von Marktstimmungen. Unter Behavioral Finance versteht man die Anwendung von Erkenntnissen der Verhaltensökonomie auf Anlageentscheidungen. In der klassischen Finanztheorie geht man davon aus, dass Anleger rational sind. Die Realität zeigt aber, dass Entscheidungen oft emotional getroffen werden.

„Es geht darum, menschliche Verhaltensmuster zu erkennen, die Investoren oft von rationalen Entscheidungen abbringen“, so Krämer. Man vermeide so psychologische Fallen. Ein übertriebener Pessimismus bedeute aus Sicht von Behavioral Finance ein Kaufsignal. Denn wenn Anleger übermäßig pessimistisch werden, verkaufen sie häufig in Panik, das führt zu unterbewerteten Aktien oder Anleihen. „Ein tendenziell antizyklisches Verhalten kann vorteilhaft sein“, so Andreas Berer. 

Starten statt warten

Zum Abschluss tauchte Wirtschaftspsychologe Carl Naughton mit dem Publikum tief in die Themen Transformation und Veränderung ein. In einer Welt, die sich täglich neu erfindet, sei nicht nur entscheidend, wie klug oder empathisch wir sind, sondern auch wie anpassungsfähig. „Erfolg hat, wer Veränderungen nicht fürchtet, sondern sich ihnen anpasst“, sagte Naughton. Anpassungsfähigkeit sei trainierbar und eine Kompetenz. In Zeiten von Digitalisierung, globalen Krisen und technologischem Wandel seien Menschen mit hoher Anpassungsintelligenz besser in der Lage, Veränderungen aktiv mitzugestalten. „Seien Sie nicht der, der wartet. Seien Sie der, der startet“, sagte Naughton.

Erfolgreich durchgestartet sind die Absolventen des diesjährigen Diplom-Finanzberater-Lehrgangs am Raiffeisen Campus. Für ihre intensive Arbeit wurden die 19 Frauen und Männer beim Expertenforum in Salzburg mit einem Zertifikat als Kompetenznachweis ausgezeichnet. Barbara Klammer, Bildungsmanagerin bei Raiffeisen Campus, sagte an die Absolventen gerichtet: „Euer Engagement war enorm.“ Die nächste Generation steht schon in den Startlöchern: Für das kommende Jahr ist der Lehrgang bereits überbelegt.

AusgabeRZ50-2025

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