Genossenschaft ist kein Selbstläufer. Dessen sind sich die knapp 90 Teilnehmer am diesjährigen Funktionärsforum bewusst. Gleichzeitig wissen sie aber auch, dass Raiffeisen bisher eine erfolgreiche Organisation ist. Was Raiffeisen macht, also welche Produkte und Dienstleistungen angeboten werden, ist klar. Wie dieses Angebot erstellt, beworben und verkauft wird auch. „Aber warum sie das eigentlich machen, wissen viele erfolgreiche Unternehmen oft nicht mehr. Also was der ursprüngliche Sinn und Zweck der Gründung war, der später zum Geschäftsmodell geführt hat“, sagt Gastreferentin Viktoria Schäfer. Um in Zukunft erfolgreich zu bleiben, dürfe aber das Warum nicht in den Hintergrund geraten. Die Leiterin des Forschungsinstituts der Akademie Deutscher Genossenschaften (ADG) betont: „Kunden und Mitarbeiter docken nicht beim Was oder beim Wie, sondern beim Warum an.“ Sie identifizieren sich mit Werten, nicht mit Produkten. Schäfer empfiehlt daher auch den Raiffeisen-Spitzenfunktionären, in den Gremien und Sitzungen die grundlegende genossenschaftliche Idee Raiffeisens wieder mehr in den Fokus zu rücken – das Warum bei strategischen Überlegungen voranzustellen.
Die Werte der Genossenschaft verbindet vor allem auch die junge Generation in Österreich mit positiven Gedanken, zeigen repräsentative Studien. Immer weniger Menschen jedoch assoziieren Raiffeisen mit dem der Bank innewohnenden Alleinstellungsmerkmal, zeigt Justus Reichl beim Funktionärsforum auf. „Die Werte der Genossenschaft als USP von Raiffeisen sollten daher noch stärker in den Vordergrund gerückt werden“, betont der Leiter des Kompetenzzentrums Genossenschaft und stv. Generalsekretär im Österreichischen Raiffeisenverband (ÖRV). Die bewusste Neubelebung der Werte eigenständiger Regionalbanken sieht auch Schäfer als Quelle für Wettbewerbsvorteile. „Genossenschaften schaffen in den jeweiligen Regionen kleinteilige Strukturen, in denen verantwortliches Wirtschaften leichter erreicht werden kann“, erläutert die Kooperationsforscherin. Inmitten der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts hat sich das Wirtschaftsmodell auf Basis von Selbstverwaltung, Solidarität, Subsidiarität und Nachhaltigkeit bewährt und als Anker der Stabilität für die jeweilige Regionen erwiesen.
Immer strengere Regeln der Finanzmarktaufsicht (FMA) erschweren den regional verwurzelten Raiffeisenbanken jedoch die Förderung ihrer Mitglieder und Kunden, etwa im Hinblick auf die seit August verschärften Mindestanforderungen bei der Vergabe von Wohnbaukrediten. „Gerade der ländliche Raum gerät hier massiv unter die Räder“, sagt ÖRV-Generalanwalt Erwin Hameseder. Er setzt sich hierbei daher sowohl für kurz- als auch langfristige praxistauglichere Anpassungen ein. In seinem informativen Streifzug durch den Raiffeisen-Sektor hebt er vor allem auch die Bedeutung erfahrener Spitzenfunktionäre und – leider noch zu weniger – Spitzenfunktionärinnen hervor, gerade angesichts der aktuell multiplen Krisenlage. „Gut ausgebildete Funktionäre sind ein Garant dafür, dass unsere Raiffeisen Bankengruppe funktioniert“, unterstreicht Hameseder.
Sie sind es auch, die Anlässe wie das Funktionärsforum nutzen, um an Plänen zur Verbesserung ihres eigenen Wirkungsbereichs zu schmieden. So denken die Spitzenfunktionäre nach einem gemeinsamen Diskurs an, in ihren Raiffeisenbanken eine Art „Genossenschaftsdividende“ vorzuschlagen. Damit soll zunächst Genossenschaftsarbeit unter Einbindung der Mitglieder gefördert und danach anhand eines Wertesystems messbar gemacht und bei jeder Generalversammlung präsentiert werden.
Neues Zeitalter
Worauf die Funktionäre bei der Kontrolle ihrer Raiffeisenbank besonderen Wert legen sollten, schlägt die Betriebswirtin und Beraterin Barbara Aigner von Emotion Banking vor. Sie rät, die Kunden bei sämtlichen Überlegungen auch wirklich ins Zentrum zu stellen. Und nicht „als um Raiffeisen herumschwirrende Planeten“ zu behandeln. Die Beziehung zwischen Banken und ihren Kunden sei in den letzten Jahren spürbar abgekühlt. Um diese wieder anzuheizen, empfiehlt sie eine Steigerung von Service-orientierter Beratung zu Erlebnis-orientierter Beratung: „Guter Service reicht heute nicht mehr aus. Damit eine Bank tatsächlich weiterempfohlen wird, muss Begeisterung entfacht werden. Kunden fordern nicht nur einfache und bequeme Produkte und Dienstleistungen, sondern wollen, dass ihr Betreuer vorausdenkt und sie inspiriert.“ Laut Aigner wollen Kunden aber auch dazugehören und sollten sich daher mit ihrer Bank identifizieren können.
Damit das gelingen kann, müssen zunächst die Schnittstellen oder Kontaktpunkte zwischen den Kunden und der Bank verteidigt werden, erklärt Dietmar Pucher, Geschäftsführer von Raiffeisen Digital. Und zwar gegenüber neuen Mitbewerbern, die sozusagen mit einem Klick funktionieren: Neobanken wie N26, mobile Zahlungsdienste wie Apple- oder Google Pay sowie Bezahldienste wie Pay Pal oder Klarna. „Unsere Kunden werden jedenfalls immer hybrider, sie nutzen online und offline Kanäle gleichermaßen. Sie geben vor, wie sie mit ihrer Bank kommunizieren möchten, wir bauen die Kanäle darum herum“, erklärt Pucher. Gemeinsam mit seinem Team treibt er seit einigen Jahren diese sogenannte Omnikanal-Vertriebsstrategie voran. Eine mittel- bis langfristige Vision: die Zusammenführung des bereits physisch vorhandenen Raiffeisen-Marktplatzes in ein digitales Ökosystem – mit geprüftem, regionalem Angebot. „Wenn sich jemand im E-Store der Raiffeisen Ware einen Rasenmähertraktor auf Raten kaufen möchte, könnte doch dazu auch ein Button zum Anklicken aufscheinen, der direkt zu einem Raiffeisen-Sofortkredit weiterleitet“, führt Pucher als Beispiel an. Die Kunden und das Warum voranstellen eben.