„Nachhaltigkeit gehört nicht nur in die PR-Abteilung“

Mit mehr Transparenz will die EU die grüne Transformation der Wirtschaft vorantreiben. Ab 2024 werden sukzessive die Standards für Nachhaltigkeitsberichte verschärft und ausgeweitet. Was auf die Firmen und Banken zukommt, erklärt Generalrevisor Michael Laminger.

Der Umbau der Wirtschaft in der EU nimmt immer mehr Fahrt auf. Welche Rolle spielen dabei die Nachhaltigkeitsberichte? 
Michael Laminger: Mit der Taxonomie hat die EU die Nachhaltigkeit insbesondere im Umweltbereich definiert, um einheitliche Standards zu schaffen. Allerdings sind immer noch viele Details offen. Vereinfacht gesagt soll nachhaltiges Wirtschaften im Sinne der Klimaziele als „grün“ gefördert und nicht nachhaltiges als „braun“ pönalisiert werden. Die Reform der Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) soll dabei für Transparenz sorgen. Dafür werden ab 2024 die Regeln verschärft, indem etwa eine Prüfpflicht eingeführt wird, und verbreitert. Derzeit sind österreichweit an die 90 Großunternehmen verpflichtet, Nachhaltigkeitsberichte zu verfassen. Bis 2026 sollte die Anzahl auf rund 2.000 steigen. 

Wohin geht die Reise? 
Laminger: Wir stehen erst am Anfang der Entwicklung, Investitionen über kapitalmarkt- bzw. bankorientierte Finanzströme in die grüne Transformation zu lenken. Nachdem sich das Ganze einmal eingespielt hat, werden wir aber die wahre Regulierung sehen. Ich kann mir nicht mehr vorstellen, dass man in ein paar Jahren noch einen zweistelligen Millionenkredit bekommen wird, ohne einen geprüften Nachhaltigkeitsbericht vorzulegen. Um weiterhin einen unbeschränkten Kreditzugang zu haben, müssen große Unternehmen Daten etwa über die CO₂-Emissionen liefern. Auch wenn der Green Deal der EU nicht explizit von verbotenen Finanzierungen redet, langfristig kann man das wohl nicht völlig ausschließen. Zumindest wird es mit „braunen“ Geschäftstätigkeiten und Investitionen schwieriger werden, die Finanzierung sicherzustellen, als mit „grünen“.

Wer ist primär von der Regulierung betroffen?
Laminger: Die Nachhaltigkeitsregeln sollen grundsätzlich für große Kapitalgesellschaften und rechtsformunabhängig für alle Banken gelten. Allerdings wird nicht nur auf die unmittelbare Wirtschaftstätigkeit der Unternehmen abgestellt, sondern auch deren Lieferkette durchleuchtet, was anspruchsvoll wird. Damit kann auch ein kleines oder mittleres Unternehmen indirekt von den neuen Standards etwa als Teil einer Lieferkette betroffen sein, wenn es wesentliche Komponenten im Sinne der CO₂-Emissionen an ein berichtspflichtiges Unternehmen liefert. 

Ab wann sollen die neuen Regeln greifen?
Laminger: Unternehmen, die bereits heute einen Nachhaltigkeitsbericht erstellen, sind für das Geschäftsjahr 2024 verpflichtet, Berichte nach CSRD-Standards zu erstellen, die dann auch geprüft werden. Das sind die sogenannten „Unternehmen von öffentlichem Interesse“, also im Wesentlichen kapitalmarktorientierte Unternehmen, Banken und Kreditinstitute mit mehr als 500 Arbeitnehmern. Der Großteil kommt dann 2025 dazu. Diese Unternehmen müssen Berichte erstellen, wenn sie zwei der folgenden drei Kriterien erfüllen: eine Bilanzsumme von mehr als 20 Millionen Euro, Nettoumsätze über 40 Millionen Euro und mehr als 250 Mitarbeiter. Für bestimmte kleine und mittelgroße Unternehmen gilt eine Übergangsfrist von drei Jahren. Sie müssen erstmals für das Geschäftsjahr 2026 solche Berichte erstellen. 

Sind damit Banken jedenfalls von den neuen Regeln betroffen?
Laminger: Wenn eine Bank mehr als 40 Millionen Euro Umsatz macht, muss sie künftig ebenfalls einen geprüften Nachhaltigkeitsbericht haben. Wenn die Bilanzsumme dieser Bank mehr als 5 Milliarden beträgt, muss sie einen Bericht bereits erstmals für das Geschäftsjahr 2025 erstellen – ansonsten erst ab dem Geschäftsjahr 2026. In den Umsatz einer Bank fällt praktisch alles, was sie verdient. Unserer Erfahrung zufolge sollten Raiffeisenbanken spätestens ab einer Bilanzsumme von 800 Millionen Euro prüfen, ob sie in die Berichtspflicht fallen.

Wie viele Raiffeisenbanken würde die neue Berichtspflicht treffen?
Laminger: Das ist sehr schwer abzuschätzen. Aus heutiger Sicht gehe ich davon aus, dass es 2026 rund 50 Raiffeisenbanken sein könnten. Allerdings werden die Banken immer größer, sodass die Dynamik diese Anzahl weiter erhöhen könnte. Auch die steigenden Zinsen erhöhen die Bank-Umsätze und dadurch die Anzahl jener, die in die Berichterstattungspflicht fallen. Aktuell erstellen im Raiffeisen-Sektor die Landesbanken Oberösterreich, Niederösterreich-Wien, Steiermark, der Raiffeisenverband Salzburg sowie die Raiffeisen Bank International Nachhaltigkeitsberichte. Einige von ihnen lassen ihre Berichte auf freiwilliger Basis prüfen.  

Generalrevisor Michael Laminger im Interview
© RZ/Alexander Blach

Wo wird man die Berichte finden?
Laminger: Bisher hatten berichtspflichtige Unternehmen die Möglichkeit, die Informationen in den Lagebericht zu integrieren oder einen separaten nichtfinanziellen Bericht zu erstellen. Die CSRD sieht nun vor, dass die geforderten Nachhaltigkeitsinformationen ausschließlich in einem gesonderten Abschnitt des Lageberichts zu veröffentlichen sind, wodurch ein besserer Zugang zu den Informationen gewährleistet werden soll.

Wie groß ist die Herausforderung, solche Berichte zu prüfen?
Laminger: Es ist vom Grunde her ähnlich einer Abschlussprüfung. Der Prüfer muss sich grundsätzlich mit dem Thema der Wesentlichkeit des geprüften Unternehmens auseinandersetzen. In einem zweiten Schritt geht es um die Prozesse und das interne Kontrollsystem, damit die richtigen Kennzahlen und Angaben eruiert werden können. Am Ende des Tages sollen Einzelfälle das bestätigen, was man vorher auf Prozessebene geprüft hat. Das Neue ist, dass man Kompetenzen etwa im Bereich der Umwelttechnik braucht, die man so wahrscheinlich noch nicht hat. Die Prüfer müssen mit dem Thema Treibhausgasemissionen umgehen können, um die Taxonomiefähigkeit des Unternehmens beurteilen zu können.

Werden sich die Prüfer diese Kompetenzen aneignen oder will man auf Experten zurückgreifen?
Laminger: Wir wollen bei allen unseren Prüfern ein Grundverständnis für die Kompetenzen aufbauen. Sie sollen nicht als Unterschriftsmaschine herhalten. Für eine Detailexpertise werden wir neue Mitarbeiter mit bisher nicht üblichen Studienrichtungen wie Umwelttechnik und ähnlichem suchen bzw. aufbauen. Schon jetzt haben wir Mitarbeiter, die sich darauf spezialisiert haben. 

Was empfehlen Sie den Betrieben?
Laminger: Das Problem ist, dass vieles noch in Schwebe ist. Dennoch empfehle ich jedem Unternehmen eine Standortbestimmung des eigenen Geschäftsmodells. Wie nachhaltig ist mein Geschäftsmodell im Lichte des Klassifikationssystems der Taxonomie-Verordnung? Zudem muss Nachhaltigkeit Eingang in die Geschäftsstrategie finden. Im Bereich der sozialen und ökonomischen Nachhaltigkeit sind hier viele bereits gut aufgestellt – die ökologische Nachhaltigkeit müssen viele noch ergänzen. Ohne Nachhaltigkeit in die Strategie eines Unternehmens aufzunehmen, besteht die Gefahr, dass es nicht auf allen Unternehmensebenen ernst genommen wird. Und irgendwann steht die PR-Abteilung mit dem Thema alleine da. Wir empfehlen darüber hinaus, dass sich die Unternehmen mindestens ein Jahr vor der Prüfungspflicht freiwillig prüfen zu lassen, um einen Kaltstart im Rahmen einer Pflichtprüfung zu vermeiden.

Wie wird die Taxonomiefähigkeit gemessen und wie sieht die neue Nachhaltigkeitsberichterstattung aus? 
Laminger: Im Rahmen der Taxonomie muss ein Unternehmen einen Beitrag zu zumindest einem der sechs vorgegebenen Umweltziele leisten – Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Vermeidung und Verringerung von Umweltverschmutzung sowie Schutz und Wiederherstellung von Biodiversität und Ökosysteme. In einem zweiten Schritt wird geprüft, ob man keines der fünf anderen Ziele verletzt. Im Hinblick auf die Berichterstattungsstandards werden sich Unternehmen schwer tun, das auf weniger als 50 Seiten unterzubringen. Dazu kommt, dass erst Vorgaben für bestimmte Wirtschaftssektoren erst getroffen werden müssen. So wird etwa der Bankenstandard wahrscheinlich erst 2025 veröffentlicht.

Ist es bei den Unternehmen schon angekommen, dass neue Spielregeln vor der Tür stehen? 
Laminger: Teils, teils. Es gibt jene Unternehmen, die ihre Nachhaltigkeitsziele bereits in ihrer Strategie verankert haben und einen klaren Plan haben, wann sie was liefern müssen. Und es gibt jene, die jetzt damit beginnen, sich mit den neuen Anforderungen auseinanderzusetzen. Wenn sie das Thema ernst nehmen, ist es noch nicht zu spät, um die Herausforderungen bei der Nachhaltigkeit zu meistern.

AusgabeRZ21–22

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