Oben entsteht Strom, bald der Jahresbedarf für 100 Haushalte, darunter reifen Birnen, Äpfel, Weichseln, Kirschen, Marillen und Zwetschken. In Kürze startet ein österreich- und europaweit einzigartiges Experiment in der steirischen Versuchsstation Obst- und Weinbau Haidegg am Stadtrand von Graz. Die wissenschaftliche Begleitung übernimmt Joanneum Research. Auf einer Fläche von rund 2.775 m2 werden 1.134 PV „Zebra-Module“ errichtet. Schon im Frühjahr soll die Agri-PV-Anlage in Betrieb gehen, rund die Hälfte der Obstanlage steht dann unter Strom.
Der steirische Agrarlandesrat Hans Seitinger betonte beim Spatenstich die „einzigartige Kombination von Obstbau und Produktion von erneuerbarer Energie. Durch die Überdachung mit den Photovoltaikpaneelen werden die Folgen von Hagel, Starkregen und Frösten gemildert.“ Die Doppelnutzung in der Landwirtschaft sei eine Hilfe am Weg zur Eigenversorgung der Betriebe mit Energie und schaffe die Grundlage für neue Energiegemeinschaften. Überall dort, wo eine Doppelnutzung nicht zu Lasten der landwirtschaftlichen Produktion gehe, sei diese zu begrüßen. Lokale Energieversorger könnten auch mithelfen, die Netze zu stabilisieren. „Für die Bauern selbst muss die Wirtschaftlichkeit solcher Investitionen trotz aller positiven Folgen immer gegeben sein“, so Seitinger.
Ursula Lackner, Landesrätin für Umwelt, Klimaschutz, Energie, Regionalentwicklung und Raumordnung, sprach den immer wieder diskutierten Nutzungskonflikt bei Agrar-Photovoltaik an: „Wir reden immer vom gleichen Boden. Was an verfügbaren Flächen Dächern und Fassaden vorhanden ist, soll genutzt werden.“ In der wie in Haidegg gezeigten Form sieht Lackner eine große Chance: „Wir müssen raus aus fossiler Energie und rein in die Erneuerbaren. Hier in Haidegg wird Sonnenenergie genutzt und Obstkulturen geschützt.“ Zudem ist für Lackner die Information der Menschen entscheidend. „Die Flächen hier sind recht nahe zum Stadtzentrum, das ist ein großes Wohngebiet. Mit den Versuchsflächen wie in Haidegg sollen die Menschen zum Thema erneuerbare Energie informiert und sensibilisiert werden.“
Doppelnutzung als Chance
Johann Janker ist Gründer und Geschäftsführer von Ecowind. Sein Unternehmen, eine Tochter der Baywa AG, errichtet in den kommenden Wochen die Photovoltaik-Paneele. 1995 hat er Ecowind gegründet, wie der Name verrät, kommt Janker ursprünglich aus der Windenergie-Branche. Janker wollte damals seinen landwirtschaftlichen Betrieb im niederösterreichischen Kilb selbst mit Strom versorgen und setzte auf Windenergie. „Ich war immer vom Pioniergeist getrieben. Um die erforderliche Energiewende zu schaffen, braucht es die Doppelnutzung von landwirtschaftlichen Flächen, denn sie schafft zusätzliche Vorteile – etwa in der Reduktion von Pflanzenschutzmitteln und der regionalen Wertschöpfung.“
Um seine Vision einer energieautarken Landwirtschaft darzustellen, blickte Janker weit zurück in die Vergangenheit: „Die Bauern mussten früher das Futter für das Arbeitstier Pferd anbauen, jetzt kann der Landwirt neben der Lebensmittelproduktion auch zum Energiewirt werden.“ Auch kleinräumig bietet die Doppelnutzung viele Chancen, etwa in der Hühnerhaltung. Denn die Tiere brauchen den Auslauf und suchen gleichzeitig schattige Plätze. Um einen raschen Ausbau der erneuerbaren Energie zu schaffen, fehle es in Österreich aber nach wie vor an einer einheitlichen Raumordnung, denn die „Doppelnutzung darf sich nicht beißen“, wie Janker formuliert.
Neue Optionen durch Agri-PV
Leonhard Steinbauer, Leiter der Versuchsstation für Obst- und Weinbau des Landes Steiermark in Haidegg, ist vom langjährigen Feldversuch sichtlich angetan: „Dauerkulturen sind vom Klimawandel ganz besonders betroffen. Die Nutzungsdauer im Obstbau beträgt 25 bis 50 Jahre, als das Unternehmen Ecowind bei uns für einen Versuch der Doppelnutzung von Photovoltaik im Obstbau anfragte, wollte ich sofort dabei sein.“
„Auf unseren Flächen kommt die neueste Generation der ‚Zebrakollektoren‘ zum Einsatz – dadurch kommt mehr Licht zu den Bäume durch. Gleichzeitig wird der unmittelbare Nässedruck auf den Kulturen reduziert. Dadurch gibt es einen deutlich geringeren Pilzbefall und parallel dazu einen geringeren Aufwand, diesen zu bekämpfen.“ Auch die gefürchteten Frühfröste, die in den vergangenen Jahren verheerende Schäden in den Obst- und Weinkulturen angerichtet haben, können, so Steinbauer, durch die Abschirmung mit den PV-Modulen vermieden werden. „Das ist vergleichbar mit einem Auto unter einem Carport – die Scheiben frieren unter der Abdeckung nicht ein.“
Als größten Benefit für den Obstbau sieht Steinbauer die Reduktion beim chemischen Pflanzenschutz. Mit dem Schutz von Agri-PV Systemen könnte eine „Null Rückstände“-Option entstehen. Auch eine Verringerung des Pflanzenstresses während längerer Hitzeperioden ist zu erwarten. „Unser Anliegen ist die wirkliche Doppelnutzung, die meiner Meinung nach eine neue Dimension im Bioobstanbau eröffnen wird. Biologische, biotechnische und technische Pflanzenschutzmethoden werden an Bedeutung gewinnen, chemische Maßnahmen werden an Bedeutung verlieren.“
Hohe Erwartungen
„Die Versuchsstation für Obst- und Weinbau in Haidegg ist zurzeit die einzige Photovoltaik-Obstbau-Anlage auf einem zertifizierten Versuchsbetrieb in Mitteleuropa“, sagt Steinbauer. „Das von uns verwendete System ist eine standortspezifische Entwicklung in Zusammenarbeit mit Ecowind. Nur in Rheinland-Pfalz gibt es eine im Sommer 2021 von der Baywa errichtete Anlage auf einem Demeter Obstbaubetrieb, die vom Fraunhofer Institut wissenschaftlich begleitet wird. Und dann gibt es seit Herbst 2021 noch die Versuchsanlage der RWA mit anderen Paneelen und anderer Unterkonstruktion in Pöchlarn. Für 2023 ist eine weitere Anlage auf unseren Weinbauversuchsflächen in Vorbereitung.“
Finanziert wird das „Leuchtturmprojekt“ vom Klimafonds und dem Land Steiermark. 650.000 Euro allein kosten Gerüst und Paneele, dazu kommen rund 100.000 Euro für die Studie von Joanneum Research, mit 150.000 Euro beteiligt man sich zudem am neuen 1,25 MW-Trafo und an der Zuleitung zum 20 kV-Netz.
Die Erwartungen an die Ergebnisse sind insgesamt sehr hoch. Einerseits weiß man um die Vorteile der Abdeckung, andererseits sind die Auswirkungen der Beschattung auf langfristigen Ertrag sowie Inhaltstoffe der Früchte noch offen. Eine Prognose ist in drei bis vier Jahren machbar, ein Endergebnis wird in rund sieben Jahren vorliegen, dieses wird in einem Leitfaden für den Wein- und Obstbau verarbeitet werden.