Zwischen Kriegen, Wahlen und Klimawandel

Das Agrarjahr 2024 wird für die heimische Land- und Forstwirtschaft nicht weniger herausfordernd als das vorige Jahr. Robert Pichler vom Österreichischen Raiffeisenverband gibt einen Ausblick.

Traktor fährt am Feld
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Hohe Energiepreise, Inflation, immer strengere Produktionsauflagen und zunehmende Wettbewerbsverzerrungen auf den Agrar- und Lebensmittelmärkten bringen Österreichs Bauern nach wie vor unter Druck. Dazu kommen die Auswirkungen des Klimawandels, der Wegfall von Pflanzenschutzmitteln und immer mehr Bürokratie. Gleichzeitig stellen die Konsumenten beim Lebensmitteleinkauf immer weniger die Qualität, sondern mehr den Preis in den Vordergrund. 

Das angelaufene Agrarjahr dürfte für die Land- und Forstwirtschaft einige Herausforderungen bringen, die durch die bevorstehenden EU- und Nationalratswahlen noch zusätzlich an Dynamik bekommen. Wir sprachen mit Robert Pichler, dem Leiter der Abteilung Wirtschafts-, Agrar- und Europafragen im Österreichischen Raiffeisenverband (ÖRV), warum der Klimawandel auch als Chance für die Landwirtschaft gesehen werden kann, welche agrarischen Themen das Wahljahr 2024 prägen werden und was es mit den Protesten der deutschen Bauern auf sich hat.

„Zentrales Thema sollte die Versorgungssicherheit sein“

Robert Pichler

In ganz Deutschland sind dieser Tage Tausende Traktoren aufgefahren, um gegen geplante Förderkürzungen in der Landwirtschaft zu demonstrieren. Steht uns ein turbulentes Agrarjahr bevor?
Robert Pichler: Die Ankündigung der deutschen Ampel-Regierung, im Zuge der Haushaltsverhandlungen für 2024 Steuervergünstigungen für Landwirte wie etwa die „Agrardiesel-Subvention“ streichen zu wollen, war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Für Unverständnis bei den deutschen Bauern sorgt auch, dass unter dem Titel „Abbau klimaschädlicher Subventionen“ nur die Land- und Forstwirtschaft einen Beitrag leisten soll. So wurde etwa der Wegfall der Kerosin­steuerbefreiung für Inlandflüge wieder zurückgenommen und auch das Dienstwagenprivileg nicht angerührt. Gleichzeitig ist das CO2-Einsparpotenzial rund um den Agrardiesel gering, da es an praktikablen Alternativen zum Diesel in der Land- und Forstwirtschaft mangelt. Schwere, PS-starke Traktoren oder Mähdrescher lassen sich nicht mit Elektromotoren betreiben.
Darüber hinaus hat sich in den vergangenen Jahren viel angesammelt, was den Bauern ihre Berufsausübung erschwert, wie Flächenstilllegungen, steigende Produktionskosten durch immer höhere Betriebsmittelpreise, Verbote von Pflanzenschutzmitteln oder auch die fehlende gesellschaftliche Anerkennung. Dass sich mittlerweile weitere Gruppierungen mit anderen Motiven den Protesten angeschlossen haben, macht die Lage noch komplexer. Es wird an der deutschen Regierung liegen, wie sie mit dieser Situation umgeht. Klar ist, man wird mit den Bäuerinnen und Bauern reden müssen – und nicht nur über sie.

Robert Pichler im Interview
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Besteht die Gefahr, dass ähnliche Proteste auch auf Österreich überschwappen?
Pichler: Die Ausgangssituation ist eine andere als in Deutschland. In Österreich wurde letztes Jahr das Agrarbudget sogar deutlich aufgestockt und ein Impulsprogramm für die Landwirtschaft auf den Weg gebracht. Außerdem wurden, anders als in Deutschland, die Leistungsabgeltungen im Rahmen der GAP bereits im ersten Antragsjahr fristgerecht vor Weihnachten ausbezahlt.
Das soll aber nicht davon ablenken, dass auch die Land- und Forstwirtschaft in Österreich unter Druck steht, wegen hoher Energiepreise, Inflation, immer strengeren Produktionsauflagen und zunehmenden Wettbewerbsverzerrungen auf den Agrar- und Lebensmittelmärkten. Dazu kommen die Auswirkungen des Klimawandels, der Wegfall von Pflanzenschutzmitteln und immer mehr Bürokratie. Gleichzeitig stellen die Konsumentinnen und Konsumenten beim Lebensmitteleinkauf immer weniger die Qualität, sondern immer mehr den Preis in den Vordergrund. 

Neben der hohen Inflation ist die europäische Agrarpolitik mit den Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf die globalen Agrarmärkte beschäftigt. Wie bewerten Sie aktuell das Thema Getreideimporte?
Pichler: Die Ukraine ist weltweit einer der größten Exporteure von Agrarprodukten, insbesondere in den Nahen Osten und nach Afrika. Mit Beginn des russischen Angriffskrieges wurden der Ukraine zollfreie Ausnahme-Exportkontingente für Agrarprodukte gewährt. Zudem wurden Maßnahmen gesetzt, um ukrainische Agrartransporte über europäische Solidaritätskorridore zu gewährleisten. Anfangs kamen zum Teil deutlich größere Mengen an Weizen, Zucker und anderen Agrarprodukten auf den EU-Markt als vor Kriegsbeginn. Mittlerweile ist der Transport von ukrainischem Getreide über den Landweg aufgrund der gefallenen Getreidepreise und der gestiegenen Frachtkosten nicht kostendeckend. Die Produktionskosten für Futterweizen und Mais liegen über den Exporterlösen, wenn die Lieferung über den Landweg erfolgt. 

Wie sieht die Lage bei Zucker aus?
Pichler: Hier zeigt sich ein anderes Bild: Lag der Export von Zucker aus der Ukraine 2021/2022 noch bei 25.000 Tonnen, so erreichte die Einfuhr im Zeitraum Oktober 2022 bis Juli 2023 bereits eine Menge von rund 390.000 Tonnen. Für heuer wird mit einer Menge von bis zu 700.000 Tonnen gerechnet. Der Österreichische Raiffeisenverband hat sich daher aktiv in die Diskussion über eine Verlängerung des bis Juni 2024 befristeten Freihandelsabkommens eingebracht. In einem mit Genossenschaftsverbänden aus anderen Mitgliedsstaaten abgestimmten Brief an den Vizepräsidenten der Europäischen Kommission Valdis Dombrovskis sowie Agrarkommissar Janusz Wojciechowski haben wir die Gefahr massiver Marktverwerfungen für den EU-Zuckermarkt verdeutlicht und eine intensive Fortsetzung der Bemühungen zur Erleichterung des Exports aus den Schwarzmeerhäfen in die Zuschussregionen der Welt gefordert. Außerdem haben wir uns für die Einführung von Importschwellenwerten für bestimmte Agrarerzeugnisse wie Zucker ausgesprochen, um den Binnenmarkt zu schützen. Die Kommission soll ein stärkeres Augenmerk darauf legen, dass diese Produkte den erforderlichen sanitären und phytosanitären Standards entsprechen, indem die Grenzkontrollen verstärkt werden. 

„Heuer ist ein globales Superwahljahr mit weitreichenden Konsequenzen“

Robert Pichler

Wie kann es gelingen, die große ukrainische Landwirtschaft in die EU zu integrieren? Muss dafür die gesamte Gemeinsame Agrarpolitik reformiert werden?
Pichler: Die erste Frage ist, von welcher Ukraine sprechen wir dann, wie sieht die Ukraine nach dem Kriegsende aus? Unabhängig davon muss die Möglichkeit eines EU-Beitritts der Ukraine den geltenden Regeln entsprechend und im Zuge eines regulären Erweiterungsverfahrens geprüft werden. Dabei ist besonders auf die Beibehaltung eines funktionierenden Binnenmarkts, die Auswirkungen auf die Gemeinsame Agrarpolitik und deren Finanzierungen sowie die Einhaltung der geltenden EU-Produktions- und Konsumentenschutzstandards zu achten. Die „Kopenhagener Kriterien“, also bestimmte wirtschaftliche und politische Bedingungen, sind zu erfüllen. 
Die zweite Frage lautet, welche anderen Länder werden die Anforderungen für einen EU-Beitritt erfüllen? Derzeit haben neun Staaten von der EU den offiziellen „Beitrittskandidaten-Status“ zuerkannt bekommen: Albanien, Bosnien und Herzegowina, Georgien, Moldau, Montenegro, Nordmazedonien, Serbien, Türkei und die Ukraine. Eine größere Erweiterungsrunde würde nicht nur eine Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik erfordern, sondern wohl insgesamt der Regeln für die Entscheidungsfindung in der EU und der Finanzierung. Es gibt also eine ganze Reihe offener Fragen zu klären.

Robert Pichler im Interview
© Sabine Klimpt

Die politischen Karten werden heuer neu gemischt – in Brüssel und in Wien. Welche agrarischen Themen zeichnen sich ab?
Pichler: Heuer ist ein globales Superwahljahr mit weitreichenden Konsequenzen. In mehr als 70 Ländern mit einer Gesamtbevölkerung von mehr als vier Milliarden Menschen stehen Wahlen an. In Österreich ist neben der Nationalratswahl vor allem die Wahl des neuen EU-Parlaments maßgeblich für die Land- und Forstwirtschaft und deren vor- und nachgelagerte Bereiche. Im Wahlkampf werden wir wieder mit vielen Forderungen für eine angeblich bessere Land- und Forstwirtschaft sowie die Lebensmittelproduktion konfrontiert sein. Das zentrale Thema sollte jedoch die Versorgungssicherheit sein. Wie versorgen wir eine steigende Weltbevölkerung mit Lebensmitteln, erneuerbarer Energie und auch biogenen Rohstoffen? Dafür braucht es eine flächendeckende Landwirtschaft und wettbewerbsfähige Lebensmittelproduzenten auch in Österreich sowie offene Grenzen und einen funktionierenden EU-Binnenmarkt. Für die Versorgungssicherheit ist auch die Partnerschaft in der gesamten Wertschöpfungskette Agrar- und Lebensmittelwirtschaft inklusive der vor- und nachgelagerten Wirtschaftsbereiche ein wichtiger Faktor.

Ein politisch umstrittenes Thema ist die sogenannte Neue Gentechnik. Österreich hat im Agrarministerrat gegen den Einsatz einer solchen Technologie gestimmt. Wie sehen Sie das?
Pichler: Moderne Züchtungsmethoden leisten sowohl im pflanzlichen als auch im tierischen Bereich einen wichtigen Beitrag, um aktuellen Herausforderungen wie steigenden Bevölkerungszahlen, sinkenden Anbauflächen und Auswirkungen des Klimawandels gerecht zu werden. Der Vorschlag der EU-Kommission sieht vor, dass Methoden und Produkte nicht als Gentechnik eingestuft werden, wenn sie auch zufällig in der Natur passieren könnten. Diese Frage spaltet die Mitgliedsstaaten und auch die Landwirtschaft. Sparten, die mit „Gentechnikfreiheit“ werben, sehen ihren Wettbewerbsvorteil unter Druck. Der Vorschlag lässt auch die wesentliche Frage nach der Patentierbarkeit offen. Gleichzeitig gilt es aber, die Chancen der neuen Züchtungsmethoden nicht aus den Augen zu verlieren und eine faktenbasierte und ergebnisoffene Diskussion unter Einbindung von Branchenvertretern und der Wissenschaft zu ermöglichen. 

Noch eine Frage zum Thema Klimawandel: Die Landwirtschaft wird oft als wesentlicher Verursacher dargestellt. Wie sollte man dem entgegenwirken oder gibt es schon genug Angebote, die Landwirte auf dem Weg zur Klimafitness unterstützen?
Pichler: Die Hauptverursacher der österreichischen Treibhausgas-Emissionen sind die Sektoren Energie und Industrie mit 44 Prozent und Verkehr mit rund 28 Prozent. Der Landwirtschaft sind nur 11 Prozent der verursachten Treibhausgase zuzuordnen, während Acker- und Grünland Kohlenstoff speichern. Durch gute Bewirtschaftungsweisen und humusaufbauende Maßnahmen bleiben die Böden mit Kohlenstoff gesättigt. Holz aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern ist CO2-neutral. Gleichzeitig hat uns der Sommer die Auswirkungen des Klimawandels zwischen Dürren und Extremwetterereignissen schonungslos aufgezeigt. Eine zeitgemäße Landwirtschaft muss ressourceneffizient sein und sich den Herausforderungen stellen, die eine ungewisse Versorgungslage, der Klimawandel und der immer stärkere Arbeitskräfte- und Erntehelfermangel mit sich bringen. Hier braucht es eine laufende Unterstützung und einen sich anpassenden Rahmen, um neben der effizienten Arbeit mit ausreichendem Ertrag auch Klimaschutz, Artenvielfalt und Biodiversität zu ermöglichen. Der Umbau unseres auf fossilen Energieträgern aufbauenden Wirtschaftssystems in Richtung Dekarbonisierung, Klimaneutralität und Bioökonomie ist auch als Chance zu sehen.