ESG: Die neue Welt des Banking 

Österreichs Banken sind die Treiber der grünen Transformation der Wirtschaft. Eine Bestandsaufnahme zur ESG-Integration in den heimischen Kreditinstituten nahm nun KPMG vor.

ESG icon concept in the hand for environmental, social, and governance in sustainable and ethical business on the Network connection on a green background.
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Bei der Transformation der Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit kommt den Banken als Kreditgeber angesichts des enormen Investitionsbedarfs eine Schlüsselrolle zu. Allein in Europa sind laut Schätzung der EU-Kommission bis zum Jahr 2030 jährlich rund 470 Mrd. Euro für das Erreichen der Umwelt- und Klimaziele nötig. Nahezu jedes Bankinstitut berücksichtigt bereits jetzt schon Nachhaltigkeitsaspekte (Umwelt, Soziales und Unternehmensführung, ESG) in der Kundenansprache. „Insbesondere Institute mit einem klar auf große Unternehmenskunden ausgerichteten Geschäftsbereich haben ihren Marktauftritt um Angebote zur nachhaltigen Transformation der Produktionsprozesse, Absatzwege und Zulieferketten ihrer Kunden erweitert“, zeigt die Studie „Banking for a Better Future“ des Beratungsunternehmens KPMG.

Demnach seien Banken nicht nur in der Lage, die grüne Transformation zu unterstützen, sondern nehmen auch eine verantwortungsvolle Führungsrolle in diesem Prozess wahr. Denn die Einbeziehung der Geldinstitute bringe einen Multiplikator-Effekt in Richtung kleiner und mittelständischer Unternehmen. Grundsätzlich verlaufe die Integration von ESG in das Geschäftsmodell von Banken stufenweise und sei unterschiedlich ausgeprägt, heißt es in der Studie weiter. Zudem nutzen die Banken die Möglichkeit, sich dabei unterschiedlich zu positionieren – vom Erfüllen der regulatorischen Minimalforderungen über den Aufbau eines Expertennetzwerks bis hin zum aktiven Angebot von Beratungsleistungen für den Mittelstand. 

Unterschiede sind vor allem beim Grad der ESG-Integration in das Geschäftsmodell zu beobachten: Nachhaltigkeit kann als Ergänzung zum etablierten Leistungsangebot implementiert sein, als eigenes Segment im Portfolio stehen oder – in der stärksten Ausprägungsform – als originäres Geschäftsmodell fungieren. „Im Gegensatz zu Deutschland und der Schweiz gibt es in Österreich aktuell noch kein heimisches Bankinstitut, bei dem Nachhaltigkeit tatsächlich den Wesenskern des Geschäftsmodells darstellt. Ob dies bei uns tatsächlich kommen wird, muss sich erst zeigen. Wir gehen aber davon aus, dass im Laufe der nächsten Jahre Nachhaltigkeit in den Geschäftsmodellen einen immer größeren Stellenwert einnehmen wird, denn die Studienergebnisse zeigen, 62 Prozent der österreichischen Banken sehen in ESG großes Potenzial zur Geschäftserweiterung“, erklärt Tim Schabert, Partner bei KPMG Österreich.

Die Reise im Bereich ESG werde weiterhin einen starken Fokus auf Umweltthemen wie Klimawandel und Biodiversität haben, ist man bei KPMG überzeugt. „Das bedeutet, dass die vielfachen Datensammlungen bei den Bankkunden sich einerseits konsolidieren werden, andererseits die Anfragen von der Bank an den Kunden sicherlich auch intensiver und regelmäßiger werden – ähnlich wie wir das von den klassischen Unternehmenskennzahlen gewohnt sind“, erklärt KPMG-Experte Thomas Gaber. 

ESG trifft auch Banken

Dass ESG neben einer Vielzahl von Chancen auch zahlreiche Herausforderungen birgt, ist aber nicht von der Hand zu weisen. Der steigende regulatorische Fokus in Form von Vorgaben und Berichtspflichten – wie etwa die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und die EU-Taxonomie – zwingt auch Banken dazu, ihre Strategien, Geschäftsmodelle, Governance-Strukturen und ESG-Risikosteuerung zu überdenken und anzupassen. Etablierte Steuerungsframeworks werden der Studie zufolge nicht über den Haufen geworfen, sondern in bestehende Tools, Methoden und Prozesse angepasst und integriert. „Mit dem auf die nachhaltige Transformation abzielenden Regelungswerk, insbesondere der EU-Taxonomie, sind Banken erstmals regulatorischen Vorgaben ausgesetzt, die gleichermaßen auch für ihre Kunden gelten“, sagt Roland Mechtler, Risikovorstand der Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien, laut Studie.

Auch wenn größere Banken von den Regularien oft früher und umfangreicher betroffen sind, steigt auch der Druck auf Regional- und Kleinbanken: „Es ist in vielen Bereichen so, dass die Proportionalität in den Regularien zwar oftmals auf dem Papier besteht, die Best-Practice-Anforderungen verschieben sich allerdings durch das Lernen der Aufsichtsbehörden langsam von den großen zu den kleinen Instituten. Was vor wenigen Jahren nur von einigen großen Instituten umgesetzt werden musste, ist heutzutage auch bei kleineren Banken State-of-the-Art. Ähnliche Entwicklungen erwarten wir auch beim Thema ESG“, berichtet Gaber.

Ob Banken künftig Geschäftsentscheidungen ohne ESG-Aspekte überhaupt treffen werden können, beantwortet Gaber folgendermaßen: „Geschäftsentscheidungen sind immer ein Abwägen von Chancen und Risiken. Es zeigt sich, dass ESG-Risiken zwar nicht als eigene Risikoarten wie sonst beim Kreditausfallsrisiko gesehen werden, sie aber ein Querschnittsthema über alle bankgeschäftlichen Risiken hinweg sind. Banken, die diese Risiken nicht gut identifizieren, bemessen, beobachten und aktiv steuern können, werden bereits in naher Zukunft vor Problemen stehen.“ 

KPMG-Partner Christian Grinschgl weist darauf hin, dass etwa die FMA „die Adressierung von ESG im Risikomanagement der Banken als einen Aufsichtsschwerpunkt“ definiert hat. Daher werde der betriebswirtschaftliche und regulatorische Druck über kurz oder lang dazu führen, dass wesentliche Entscheidungen „nicht ohne Analyse der ESG-Aspekte getroffen werden können“.

Dialog steht im Vordergrund

Im Kern gilt es, bei Kreditfinanzierungen von Unternehmen detailliertere Informationen über die Treibhausemissionen zu erheben und in einen Dialog über die Veränderung dieser Emissionen einzutreten. Dieser Dialog gestaltet sich zwischen Banken und insbesondere großen kapitalmarktorientierten Unternehmen zunehmend einfacher und wird nicht selten von den Firmen selbst initiiert. „Die Verfügbarkeit und Verlässlichkeit von relevanten Unternehmensdaten sind entscheidend für Banken, um ihre Rolle und Verantwortung in der Transformation hin zu einer nachhaltigen Zukunft wahrnehmen zu können“, unterstreicht Sabine Abfalter, Studienteilnehmerin und CFO der Raiffeisen Bank International (RBI).

Bei der Implementierung von ESG-Kriterien können Banken helfen, um Unternehmen für grüne Kredite tauglich zu machen. Dadurch öffnet sich für die Kreditinstitute ein neues Service im Kundengeschäft. Um eine entsprechende Beratung anzubieten, müssen aber Personalressourcen und Know-how aufgebaut und vorgehalten werden. Die Heterogenität und Vielzahl der Anforderungen sowie die Komplexität unterschiedlicher Branchen sei kaum ressourceneffizient durch die meisten Banken selber darstellbar, ist man bei KPMG überzeugt. Ein Ausweg sei ein spezialisiertes Partnernetzwerk aufzubauen, um Kundenanfragen beantworten zu können, was allerdings eine gewisse regulatorische Komplexität hat.

Auch bei „grünen Krediten“ sehen sich Banken mit Herausforderungen konfrontiert, denn die Finanzierung technologischer Umbrüche erfordert besondere Risikobewertungen. Gerade Investitionsvorhaben in neue Technologien und Verfahren, mit denen Nachhaltigkeitsziele verfolgt werden, können mit höheren Risiken verbunden sein. „Die Investition in grüne Technologien weist Züge einer Start-up-Finanzierung auf. Entgegen der Intuition sind grüne Kredite damit oft sogar risikoreicher“, so Gaber.

Geringes Greenium

Darüber hinaus können Banken bei der Refinanzierung noch kaum „eine grüne Prämie“ („Greenium“), also geringere Refinanzierungskosten, durch die Begebung von grünen Anleihen realisieren. „Dort, wo der grüne Hintergrund – zum Beispiel aufgrund des Geschäftsmodells oder durch externe Zertifizierungen – glaubhaft gemacht wird, gibt es einen kleinen, aber erkennbaren Konditionenvorteil. In der überwiegenden Mehrheit jedoch nicht. Der Vorteil für grüne Emissionen stellt aber die Verbreiterung der Investorenbasis und eine damit verbundene schnellere Platzierung gegenüber konventionellen Emissionen dar“, schildert Gaber. 

Und auch der Spielraum für eine preisliche Differenzierung von als nachhaltig und nicht nachhaltig klassifizierten Krediten wird gemeinhin als sehr eng angesehen, zeigt die Studie. Die Ablehnung von Kunden aufgrund einer mangelnden Transformationsbereitschaft werde als in Zukunft grundsätzlich zwar möglich, aber in der Praxis unter den gegebenen Markt- und Wettbewerbsbedingungen als eher unwahrscheinlich beurteilt.

Neue ESG-Berichtspflichten

Banken müssen Informationen von ihren Geschäftspartnern einholen und bewerten, um die Übereinstimmung mit den Taxonomie-Kriterien zu überprüfen. Diese Informationen sind auch für das aufsichtsrechtliche ESG-bezogene Berichtswesen erforderlich, bei dem Banken ab 2024 umfangreiche Berichtspflichten in Bezug auf die Taxonomiekonformität ihrer Portfolios haben. Es sei klar erkennbar, dass ESG-Aspekte, insbesondere klima- und umweltbezogene Risiken, einen erheblichen Einfluss auf Banken haben und eine entscheidende Rolle in ihrer Steuerung und Governance spielen werden, so die Studie.

Im internationalen Wettbewerb könnte die Regulierung kurz- und mittelfristig einen Nachteil für die europäische Wirtschaft bedeuten. „Die EU ist mit dem ambitionierten Konzept des Green Deals und den nachfolgenden Regelungspaketen sicherlich einen großen Sprung nach vorne geprescht. Unserer Wahrnehmung nach begrüßen die österreichischen Banken die politischen Absichten, sehen aber die Fülle und Komplexität der damit verbundenen Formalismen durchaus kritisch. Die zusätzliche Regulatorik – allen voran EU-Taxonomie-Verordnung, CSRD-Implementierung sowie CSDDD – stellt einen weiteren Kostentreiber in einem ohnehin schon schwierigen Umfeld dar und lässt die Anwender die tieferliegende Absicht manchmal nur schwer erkennen“, betont Grinschgl. 

Allerdings gäbe es auch Chancen, ergänzt Graber. Der hohe Druck könnte die Unternehmen zwingen, „eine globale Vorreiterrolle zu übernehmen, etwa zur Adressierung der Umwelt- und Klimarisiken. Wenn diese Rolle aktiv angenommen wird, können wir uns einen Technologie- und Wissensvorsprung erarbeiten, der sich letztlich zu einem Wettbewerbsvorteil entwickeln wird“, so der Experte weiter.