Heumilch ist Weltkulturerbe

Es ist die erste Auszeichnung dieser Art im deutschsprachigen Raum. Mehr als 700 Landwirte feierten das bei einer Heugala in Salzburg.

Belächelt habe man sie früher. Fast schon abschätzig behandelt. In der Schule hätten sich die Kinder nicht zu sagen getraut, dass man im heimischen Betrieb Heumilch produziere, erinnert sich Karl Neuhofer, Obmann der Interessenvertretung ARGE Heumilch. In Zeiten, in denen das Wort Nachhaltigkeit deutlich weniger Gewicht hatte als heute, warf man den Heumilch-Landwirten vor, „den Fortschritt verpasst zu haben“. Dass Neuhofer nun Jahre später vor fast 700 Landwirten in Salzburg auf der Bühne steht und eine Auszeichnung der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO für genau diese Heumilch entgegennimmt, das hätte er sich damals wohl nicht träumen lassen.

„Das ist ein großer Tag für uns, es ist die Würdigung unserer harten Arbeit, wir können stolz sein“, sagt Neuhofer. Der Japaner Yoshihide Endo von der FAO ist für die Übergabe der Auszeichnung extra nach Salzburg gereist. Üblich ist das nicht, aber die ARGE Heumilch möchte diesen Erfolg mit den heimischen Landwirten feiern. „Es ist eine große Anerkennung. Also haben wir Yoshihide Endo zu uns eingeladen, um eine Heugala zu veranstalten“, so Neuhofer. Auch die Polit-Prominenz lässt sich das Event nicht nehmen. Norbert Totschnig, österreichischer Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, betont die Besonderheit dieser Auszeichnung und verweist auf die oft schwierige Marktsituation für Landwirte: „Die Bauernproteste in Deutschland sind Reaktionen auf die große Marktmacht des Handels.“ In Österreich setze man auf Qualität statt Quantität. „Das Heumilchprojekt zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind“, so Totschnig.

Weltweite Bedeutung

Die UN-Landwirtschaftsorganisation FAO würdigt landwirtschaftliche Systeme, die seit Generationen entwickelt wurden, um Lebensmittel bereitzustellen, Traditionen zu bewahren und Ressourcen zu schützen. „Ein landwirtschaftliches Weltkulturerbe muss eine weltweite Bedeutung als Modell für eine nachhaltige Landwirtschaft haben, die ein wertvolles Erbe darstellt“, erklärt Yoshihide Endo. Die traditionelle Heuwirtschaft erfülle diese Kriterien in herausragender Weise. „Sie gilt als das erste landwirtschaftliche Weltkulturerbe im deutschsprachigen Raum“, betont Endo. In Europa dürfen sich nur zehn Systeme mit diesem Titel schmücken, darunter fünf in Spanien. Ein Beispiel für ein landwirtschaftliches Kulturerbe außerhalb Europas sind die Reisterrassen der Hani, einer Ethnie im Südwesten Chinas, die seit Jahrtausenden eine besondere Form des Reisanbaus praktiziert.

Yosihide Endo übergab die Auszeichnung an Christiane Mösl und Karl Neuhofer.
Yosihide Endo übergab die Auszeichnung an Christiane Mösl und Karl Neuhofer. © ARGE Heumilch/Christian Streili

Das Erbe bewahren 

Die Auszeichnung sieht Obmann Karl Neuhofer als Auftrag zur Bewahrung und Weiterentwicklung der Heumilch: „Wir machen Milchproduktion im Jahreskreislauf, wir füttern die Kühe, wie es in der Natur vorgesehen ist.“ Heumilchkühe bekommen frische Gräser und Kräuter im Sommer sowie Heu im Winter. Das Heumilch-Gütesiegel garantiere die Herstellung von Milchprodukten, die ohne vergorene Futtermittel wie Silage erzeugt werden. Durch die mosaikartige Bewirtschaftung werde die Artenvielfalt gefördert. „Die Bewirtschaftung des Dauergrünlands erhält Wiesen, Weiden und Almen, die CO₂-Speicher sind“, so Neuhofer. 

Die ARGE Heumilch vertritt rund 7.000 Landwirte. Aktuell werden pro Jahr 590 Mio. Kilogramm Heumilch gesammelt, die zu 100 Prozent in der Vermarktung sind. Hauptproduktionsgebiete sind Vorarlberg, Tirol, Salzburg, Oberösterreich, die Steiermark sowie Bayern und Baden-Württemberg. „Der Mehrwert für die Landwirte, also der Zuschlag für die Heumilch, liegt bei 30 Millionen Euro pro Jahr“, sagt Geschäftsführerin Christiane Mösl. Dass die Bewirtschaftung bis heute praktiziert wird, sei vor allem den kleinen familienbetriebenen Höfen zu verdanken.

In Familienhand

Einen dieser Höfe betreiben Robert und Katharina Hofer. Seit 1776 ist das Joglbauerngut in Obertrum oberhalb der Trumer Seen im Salzburger Land in Besitz der Familie Hofer. „Für uns ist diese Auszeichnung eine Bestätigung unseres Weges“, so Robert Hofer. Das Thema Nachhaltigkeit hat sich der Hof schon lange auf die Fahnen geschrieben. Seit 1979 wird nach den Richtlinien des organisch-biologischen Landbaus gewirtschaftet. 40 Heumilchkühe mit eigener Nachzucht hält die Familie. Die Futtergrundlage sind Heumilch und Gras, das auf den Weiden des Hofes geerntet wird. Aber nicht nur das. Aus den Äpfeln, Birnen und Zwetschken der Streuobstwiesen werden Essig, Most und Brände hergestellt. In der Hofbackstube backt Senior-Chefin Maria Hofer Brot und Semmeln. In der Käserei werden Käsesorten aus Heumilch, einschließlich Schaf- und Ziegenkäse zubereitet. „Tagwache ist um 5.30 Uhr, um 6.45 Uhr muss die Milch fertig sein“, sagt Robert Hofer. Die Arbeit auf dem Hof ist fordernd und anstrengend: „Es geht nicht ohne einen großen Familienzusammenhalt.“ Jeder muss anpacken und mitarbeiten, auch seine drei Söhne. Die sollen in einigen Jahren den Hof weiterführen. 

Obmann Karl Neuhofer setzt auf den Nachwuchs: „Früher übernahm die Jugend den Hof, weil sie es musste. Heute haben wir bestens ausgebildete junge Leute, die diesen Weg der nachhaltigen Landwirtschaft weitergehen möchten und voller Stolz hinter der Heumilchproduktion stehen.“

Höhere Bekanntheit

Noch ist die Heumilch ein Nischenprodukt, vor allem in Europa. „Nur zwei bis drei Prozent der Milch in Europa ist Heumilch“, so Neuhofer. Ziel der ARGE Heumilch ist es, diese drei Prozent zu halten. Zudem soll die Bekanntheit gestärkt werden. In Österreich kennen fast 90 Prozent der Bevölkerung den Begriff Heumilch, in Deutschland sind es über 50 Prozent. „Natürlich liegt dieser Wert in Bayern und Baden-Württemberg höher als in nördlicheren Bundesländern“, sagt Neuhofer. Die Anerkennung als Weltkulturerbe werde die Bekanntheit der Heumilch über Ländergrenzen hinweg weiter steigen, da sind sie sich bei der ARGE Heumilch sicher. Im Rahmen einer groß angelegten Kampagne wird nun mit dem neuen Siegel der FAO geworben. 

AusgabeRZ11-2024

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