Künstliche Intelligenz: „Vieles kommt ganz anders“

Der Hype um die Künstliche Intelligenz wurde heuer bei der 25. IGA-Tagung unter die Lupe genommen. Dabei zeigten Experten aus Praxis und Wissenschaft sowohl Chancen als auch Risiken auf.

Herbert Von Leon (Obmann des RVS), Michael Nippa, Manuel Schwarzinger, Cornelia Kupa (Organisationsteam), Arnulf Perkounigg, Florian Pedron (RVS), Gabriel von Mitschke-Collande, Regina Wenninger (Genossenschaftsverband Bayern und Vorstandsvorsitzende-Stv. IGA) und Christian Tanner (RVS)
Herbert Von Leon (Obmann des RVS), Michael Nippa, Manuel Schwarzinger, Cornelia Kupa (Organisationsteam), Arnulf Perkounigg, Florian Pedron (RVS), Gabriel von Mitschke-Collande, Regina Wenninger (Genossenschaftsverband Bayern und Vorstandsvorsitzende-Stv. IGA) und Christian Tanner (RVS) © RVS

Die rasante Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI) verspricht eine Vielzahl von Möglichkeiten für die Wirtschaft, schafft aber auch massive Herausforderungen – dieses Spannungsfeld wurde heuer bei der Tagung des Internationalen Instituts für Genossenschaftsforschung im Alpenraum (IGA) mit Experten aus der Praxis und Wissenschaft näher beleuchtet. Im Fokus der diesjährigen Veranstaltung, die gemeinsam mit dem Raiffeisenverband Südtirol (RVS) in Bozen organisiert wurde, stand die Frage, ob Künstliche intelligenz ein Hype, eine Bedrohung oder doch eine Chance ist? Auch wenn es noch einige Jahre dauern dürfte, bis die meisten KI-Anwendungen ihr volles Produktivitätspotenzial erreichen, nutzen vor allem große Unternehmen bereits Effizienzsteigerungen durch KI-Systeme. Von entscheidender Bedeutung wird es nach Ansicht der Experten sein, die neue Technologie mit Bedacht zu nutzen und mit den damit verbundenen Risiken sorgfältig umzugehen. 

Grundsätzlich gelte es, den „Permafrost“, also den mentalen Widerstand des Managements, zu durchbrechen und mit einer soliden Datenarchitektur alle Möglichkeiten der KI für strategische Entwicklungen auszuschöpfen, erklärt Manuel Schwarzinger, Bereichsleiter IT und Digitalisierung der Raiffeisenlandesbank (RLB) Oberösterreich. Gleichzeitig müsse man aber vorsichtig mit der neuen Technologie umgehen, denn unterm Strich wisse man nicht, wie die KI gelernt habe und mit welchen Daten sie gefüttert sei. Auch wenn vieles von ihr plausibel wirke, dürfe man „den Menschenverstand nie ausschalten“. Das zeigen auch zahlreiche Fehlleistungen, die KI-Anwendungen wie ChatGPT immer wieder machen. 

KI prüft KI

In einer Zeit, in der nicht mehr die eine richtige Antwort gegeben wird, sondern viele Alternativen aufgezeigt werden, benötige man in allen Bereichen ein fundiertes Fachwissen, um auf diesem aufbauen zu können. „Als Gesellschaft wird es noch schwieriger, Richtiges von Alternativen zu unterscheiden – das wird noch einmal eine Potenz schwieriger“, ist der RLB-OÖ-Experte überzeugt. Die Finger davonzulassen, sei aber nicht der richtige Weg. „Wir werden Systeme sehen, wo wir die Künstliche Intelligenz mit Künstlicher Intelligenz überprüfen. Auch Zertifizierungen werden kommen“, so Schwarzinger. All das werde die KI-Anwendungen weiter verbessern. 

„Ohne Daten ist alles nichts.“

Manuel Schwarzinger

Seit geraumer Zeit arbeitet die RLB OÖ bereits mit KI-Anwendungen. „Ohne Daten ist alles nichts. Man muss den Datenhaushalt sowohl organisatorisch als auch inhaltlich im Griff haben“, bringt es Schwarzinger auf den Punkt. Um die KI sinnvoll einzusetzen, brauche es im Unternehmen „ein gewisses Know-how – und zwar am besten dort, wo die Datenverantwortung liegt“, empfiehlt der Experte. Ohne externe Kooperationen, um Spezialwissen einfließen zu lassen, werde man nur selten zum Erfolg kommen. Eine eigene KI-Strategie sollte Orientierung geben, wofür man die Technologie einsetzen möchte. Den Anwendungsfall für die neue Technologie, mit der man Millionen beim Geschäftsergebnis erzielen kann, werde es nur selten geben, warnt der Experte vor zu hohen Erwartungen.

Kundenrelevanz zählt

Die digitale Transformation, zu der auch die KI gehört, müsse einen faktischen und emotionalen Mehrwert beim Kunden erzeugen, ist Gabriel von Mitschke-Collande, Chief Digital Officer des deutschen Mischkonzerns und RWA-Partners Baywa sowie Geschäftsführer der Baywa Venture GmbH, überzeugt. Es gehe bei der Digitalisierung „ums Hier und Jetzt, nicht um die Zukunft“. Die KI sei gekommen, um zu bleiben. Jeder stehe bereits heute mit solchen Anwendungen in Kontakt, egal ob bei Google oder Amazon. Diese neue Technologie habe das Potenzial, ein neuer Impulsgeber für die Veränderung bzw. Entwicklung von Geschäftsmodellen – ähnlich wie es das Internet oder Smartphone war – zu werden.

„Die KI kommt zum Einsatz, wenn eine regelbasierte Analytics-Lösung des Problems zu komplex wird, beispielsweise bei der individuellen Kundenansprache“, berichtet Mitschke-Collande über einen Anwendungsfall bei Baywa. Dabei werden Kaufwahrscheinlichkeiten analysiert, um die „richtigen“ Kunden für Marketing-Kampagnen anzusprechen. Da sei eine hohe Komplexität drinnen, die man mit klassischen Regeln nicht greifen könne.

Spürbare Optimierung

Ein weiterer Anwendungsfall sei die von der KI unterstützte Preisschätzung gebrauchter Maschinen in der Landtechnik. Viele Landwirte verkaufen ihre gebrauchten Landmaschinen an die Baywa, um neue zu kaufen. Die gebrauchten Maschinen verkauft Baywa weiter. Mithilfe von KI könne der erwartbare Verkaufspreis besser eingeschätzt werden als von erfahrenen Mitarbeitern. Das habe den „Gebrauchtmaschinenhandel“ spürbar optimiert und bessere Ergebnisse gebracht, berichtet der Baywa-Experte. 

„Sehen ist besser als glauben.“

Gabriel von Mitschke-Collande

Bei der Suche nach Anwendungsfällen warnt Mitschke-Collande vom klassischen Zugang, dass man zuerst definiert, was man mit KI machen will, einen Investitionsrahmen definiert und erst dann in die Umsetzung geht: „Das wird nicht funktionieren. Oft wissen wir erst, wenn wir fertig sind, was eigentlich rauskommt.“ Es gehe darum, vieles auszuprobieren. Denn: „Sehen ist besser als glauben“, so Mitschke-Collande. Dieser agile Ansatz bringe für das Management allerdings den Nachteil, dass man sich häufiger mit dem Thema auseinandersetzen und von Schritt zu Schritt prüfen müsse, ob man noch auf dem richtigen Weg ist – oder auch nicht.

Gefahr „Deepfake“

Wie sehr das Wissen von Experten vonnöten sei, um mit KI fundiert zu arbeiten, unterstreicht auch Michael Nippa, Professor für strategische Führung an der Freien Universität Bozen. Dabei warnt er vor zu überzogenen Erwartungen. Er habe schon viele Hypes miterlebt – von den ersten Textautomaten über den Siegeszug der Computer bis hin zur New-Economy-Blase, die Anfang der 2000er-Jahre platzte. „Am Schluss musste man bei diesen Entwicklungen feststellen, dass vieles ganz anders gekommen ist, als man es sich in der großen Euphorie vorgestellt hat – und vor allem viel, viel langsamer“, sagt Nippa.

In einem Feldversuch des Professors mit ChatGPT zeigt sich die Fehleranfälligkeit der neuen Technologie. Angesprochen auf ein Zitat, führte ChatGPT als Quelle den Film Matrix aus dem Jahr 1999 an. Effektiv stammte die Aussage aber aus einer wissenschaftlichen Arbeit, die zwölf Jahre davor veröffentlicht wurde, aber nicht in das Datenfundament eingefüttert worden war. Für Nippa sei dies entlarvend in Richtung KI: „Wir haben in Zukunft mit Sicherheits- und Qualitätsproblemen zu tun, was an uns als Nutzer steigende Qualifikationsanforderungen hervorruft. Dies gilt für jeden Beruf, denn es muss gelingen, ,Deepfake’ zu erkennen – bei künftigen Anrufen ,falscher’ Kunden ebenso wie durch gefakte Bilder.“ Er appelliert daher an die Unternehmen, kontinuierlich in alle Mitarbeiter zu investieren. Dem Hype um die KI kann Nippa auch etwas Positives abgewinnen: „Er führt dazu, dass wir uns mit der Künstlichen Intelligenz länger und auch kritisch auseinandersetzen.“

„Mensch muss im Mittelpunkt bleiben“

Eine weitere Gefahr der neuen Technologie sei, dass sie „den Standard und keine Ausreißer verwendet. Die sogenannte Künstliche Intelligenz schränkt ein. Wir werden damit auch insgesamt gesehen ärmer“, ist der Wissenschafter überzeugt. Das größte Kapital der KI-Anwender sei aber nicht der Algorithmus, den sie verwenden, sondern die Datenmengen in der richtigen Form. Als wichtige KI-Anwendungsgebiete gelten unter anderem die Bildverarbeitung, autonomes Fahren, Logistik und Prozessoptimierung. „Hat man das nicht schon früher gemacht, braucht man immer die KI, um Lösungen zu finden und um die Prozesse besser zu machen?“, fragt Nippa kritisch. Er sieht den KI-Einsatz vor allem dort als sinnvoll an, wo es um große Datenmengen geht. Davon könnten in weiterer Folge auch kleinere Unternehmen profitieren. 

Der Wissenschafter ist überzeugt, dass die KI die Arbeitswelt verändern werde: „Viele Tätigkeiten können von der Künstlichen Intelligenz besser, schneller und vor allem 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche übernommen werden.“ Das werde zwar Arbeitsplätze kosten, allerdings fehlen aktuell in vielen Bereichen auch Arbeitskräfte. Für gewisse Wirtschaftsbereiche bedeute die neue Technologie auch Chancen. Beim Wettbewerb am Markt sieht Nippa die Gefahr von Verzerrungen: „Die Großen werden noch besser, noch schneller. Sie können sich die KI auch leisten.“ Kleinere Unternehmen müssen andere Möglichkeiten wie Netzwerke nützen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit bei Bedarf zu stärken.

Sowohl RVS-Obmann Herbert Von Leon als auch IGA-Vorsitzender Arnulf Perkounigg unterstrichen, dass das Thema sowohl Hoffnungen als auch Ängste erzeuge, weswegen der Mensch stets im Mittelpunkt stehen müsse. Ob die KI Fluch oder Segen sei, werde vom Umgang mit der neuen Technologie abhängen.