Klimawandel: „Die Welt brennt und ertrinkt zugleich“

Beim Nachhaltigkeitsfrühstück der Hagelversicherung sprach Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber über die Folgen des Klimawandels und zeigte Lösungen auf.

Ob die extreme Hitzeperiode in Mitteleuropa im vergangenen Sommer, das Jahrhunderthochwasser in Niederösterreich im September oder die aktuelle Flutkatastrophe in Spanien – die Häufung extremer Wetterereignisse in der jüngeren Vergangenheit lässt sich nicht von der Hand weisen. Dass viele Menschen dennoch den Klimawandel anzweifeln oder nicht ernst nehmen, erinnere an Verhaltensweisen von Kindern, sagt Hans Joachim Schellnhuber, Generaldirektor des Internationalen Instituts für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien: „Wenn die Dinge immer näher kommen und immer bedrohlicher werden, dann schließt man die Augen am besten.“ 

Der Deutsche ist unter anderem langjähriges Mitglied des Weltklimarats (IPCC) und zählt zu den weltweit renommiertesten Klimaforschern. Als solcher war er beim 14. Nachhaltigkeitsfrühstück der Österreichischen Hagelversicherung zu Gast und stellte klar, dass die häufigeren und intensiveren Extremwetterereignisse – von Dürren über Stürme bis zu Überschwemmungen – eindeutig auf den Klimawandel zurückzuführen sind. 

Klimaneutrales Energiesystem

Dieser sei „kein hysterisches Gerede, sondern nachweisbare Realität“, unterstrich auch der Vorstandsvorsitzende der Hagelversicherung, Kurt Weinberger, und verwies auf 52 Hitzetage in Wien in diesem Jahr. Zum Vergleich gab es in den 80ern jährlich im Schnitt nur 13 Tage mit Temperaturen über 30 Grad. „Die Welt brennt und ertrinkt zugleich. Wir müssen endlich handeln“, appellierte Weinberger an die rund 130 geladenen Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Politik.

Was ist also zu tun? Schnellnhuber skizzierte mehrere Problemfelder, bei denen im Kampf gegen den Klimawandel anzusetzen sei. „Wir müssen, was das Energiesystem angeht, klimaneutral werden. Und zwar so bald wie möglich“, erklärte der Experte. Im politischen Bewusstsein sei das aber längst nicht angekommen. Idealerweise müssten jedoch bis 2040 die gesamten Emissionen aus dem industriellen Bereich auf null gehen. Und selbst das würde aus Schellnhubers Sicht nicht reichen: „Wir haben schon so viel CO2 in der Atmosphäre, dass wir es wieder aktiv entfernen müssen.“ 

„Land ohne Äcker, zukunftslos“

Einig sind sich sowohl der Klimaforscher als auch Weinberger, dass dabei die Landnutzung eine wesentliche Rolle spielt, konkret das Thema Bodenversiegelung. „Allein in Österreich haben wir in den letzten 25 Jahren 120.000 Hektar Agrarflächen durch Verbauung zerstört“, so Weinberger, der ein düsteres Zukunftsszenario zeichnet: Ginge es nämlich in diesem Tempo weiter, gebe es in der Republik in 200 Jahren gar keine Agrarflächen mehr. Wertvoller CO2– und Wasserspeicher gehe verloren, was zu schwerwiegenderen Überschwemmungen führe, weil der vegetative, permeable Boden als natürlicher Puffer abhandenkommt, erklärte Schellnhuber. Was früher versickern konnte, überflute heute unsere Straßen, Schienen und Häuser. 

„In unserer Bundeshymne heißt es ‚Land der Äcker, zukunftsreich‘. Langsam müssen wir jedoch umformulieren in Richtung ‚Land ohne Äcker, zukunftslos‘“, mahnte Weinberger, der durch den Klimawandel und den Bodenverbrauch auch die Lebensmittelversorgungssicherheit gefährdet sieht.

Kurt Weinberger und Hans Joachim Schellnhuber warnen vor den Folgen des Klimawandels.
Kurt Weinberger und Hans Joachim Schellnhuber warnen vor den Folgen des Klimawandels. © ÖHV

Großes Einsparungspotenzial

Schellnhuber hob wiederum die Bedeutung von Waldflächen hervor, denn: „Der beste natürliche CO2-Entferner ist der Baum. Das müssen wir uns im großen Stil zunutze machen.“ Sprich, degradierte Flächen zu renaturalisieren und am besten wieder aufzuforsten. Dabei gibt es freilich das Problem, dass das gespeicherte CO2 wieder in die Atmosphäre freigesetzt wird, wenn ein Baum nach 40 oder 50 Jahren verrottet oder sein Holz verbrannt wird. „Also geht es darum, diese Biomasse langfristig über Jahrhunderte zu speichern, am besten, indem man sie in Möbel, Häusern und Infrastruktur verbaut“, erklärt Schellnhuber. „Wir müssen nachhaltige Landnutzung und nachhaltiges Bauwesen zusammenbringen.“ So könne man dutzende Milliarden Tonnen an CO2 wieder aus der Atmosphäre entfernen.

In Sachen erneuerbarer Energie wird sich dem Klimaforscher zufolge die Photovoltaik global durchsetzen, denn: „Egal ob so groß wie eine Briefmarke oder ein ganzes Fußballfeld – die Effizienz einer Photovoltaikanlage ist immer dieselbe. Das heißt, es skaliert perfekt.“

Schellnhuber und Weinberger forderten unisono, den Klimaschutz als Chance zu verstehen, nicht als Last: Nur durch entschlossenes Handeln können wir die Lebensgrundlagen der kommenden Generationen sichern.“ Denn eines sei klar: „Die Natur kann ohne uns existieren, aber wir sind auf die Natur angewiesen.“

AusgabeRZ45-2024

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