Nach zwei Jahren Corona-Pandemie hat der verheerende Krieg Russlands gegen die Ukraine Europa und dessen Wirtschaft vor ungeahnte Herausforderungen gestellt. Die Folgen für die Konjunktur, aber auch für die Wirtschafts- und die Geldpolitik wurden heuer beim 32. Konjunkturgespräch der Raiffeisen-Landesbank Steiermark analysiert. „Schmerzvolle Zeiten lassen sich nur dann überwinden, wenn wir gemeinsame Ziele haben und auch gemeinsam handeln“, konstatierte Martin Schaller, Generaldirektor der RLB Steiermark, in seiner Eröffnungsrede vor 400 Teilnehmern. Das habe auch die bisherige Bewältigung der Pandemie gezeigt. Für Raiffeisen sei es besonders wichtig, den Menschen in der Ukraine humanitär zu helfen. Aber auch den nach Österreich geflohenen Ukrainern stehe man etwa bei der Suche nach Wohnraum oder bei der weiteren Versorgung zur Seite.
„Je bewegter die Zeiten sind, umso wichtiger wird die Kraft der Gemeinschaft“, so Schaller. Das gelte auch in der Wirtschaft, die vor vielen Fragen stehe. Denn in Krisen sei es wichtig, Brücken über tiefe Schluchten zu bauen. „Raiffeisen ist darauf mit sehr viel Liquidität vorbereitet“, so Schaller, der die enorme Resilienz der steirischen Wirtschaft hervorhob, die sich in den zwei Corona-Jahren, aber auch in der aktuellen Ukraine-Krise zeige. Die Steiermark gelte zu Recht als eine der innovativsten Regionen Europas. Die Wirtschaft passe sich rasch an neue Situationen an und erschließe neue Geschäftswege. Diese Innovationskraft und der gleichzeitige Zusammenhalt stärken den Wirtschaftsstandort auch für künftige Herausforderungen.
Das Motto des steirischen Wirtschaftsgipfels, der heuer erstmals seit dem Ausbruch der Pandemie wieder in Präsenz stattfand, lautete „WIR schafft Wirtschaft: Das Comeback von ,Made in Europe‘“. Dazu Schaller: „Wir gibt unheimlich viel Kraft, Mut und Zuversicht. Und genau das wollen wir auch in Zukunft weiter beweisen.“ Raiffeisen sei als Partner stets zur Stelle, wenn es darum gehe, Handelsbeziehungen mit Europa und der Welt zu unterstützen. Das unterstreiche das steirische Exportvolumen von insgesamt 25 Mrd. Euro – 180.000 Arbeitsplätze seien damit verbunden. Der Produktionsstandort Europa sei noch nie so wichtig gewesen wie heute, resümierte der Generaldirektor.
Helmenstein sieht „massive Herausforderungen“
Das Jahr 2022 sei in vieler Hinsicht eine Zeitenwende, die neue Post-Covid-Ära stelle sich wirtschaftlich völlig anders dar als die Entwicklung davor, erklärte Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung Österreich, und fügte hinzu: „Die Knappheit ist zurück.“ Produktionsengpässe in Form von Lieferkettenunterbrechungen gehören ebenso dazu wie „echte Knappheitspreise“. „Das sind Preise, wo der Wettbewerb nicht dafür sorgt, dass wir gerade oberhalb von Grenzkosten verkaufen müssen, sondern Knappheitspreise sind Preise, wo die mangelnde Verfügbarkeit der gesuchten Güter beträchtliche Ertragsmargen ermöglicht.“ Daraus biete sich auch eine Chance für Firmen.
Zudem werde sich die Wirtschaft auf einen enormen demographischen Umschwung einstellen müssen. „Die Fachkräfte-Knappheit, die wir derzeit erleben, dient zum Aufwärmen“, betonte der Chefökonom. Denn aus der Fachkräfteknappheit werde eine Arbeitskräfteknappheit, in Österreich werde man in den kommenden zwölf Jahren rund 550.000 Jobs nicht besetzen können. Und es kämen die massiven Preisanstiege bei Rohstoffen und Energieträgern dazu, was ebenfalls als Chance gesehen werde könne: „Irgendjemand muss diese Energie erzeugen. Wenn wir es klug anstellen, dann sind wir es, die diese Energie produzieren“, so Helmenstein.
Ob sich die Zeitenwende auch auf den Kapitalmärkten abspiele, sei aber noch zu früh zu beurteilen. Die Totalerosion der Realrenditen der vergangenen Jahre sei Folge der Digitalisierung. „Sie führt zu einem massiv kapitalsparenden technologischen Fortschritt und deswegen passen Kapitalnachfrage und -angebot nicht mehr zusammen“, betonte der Ökonom. Allerdings könnte der Krieg in der Ukraine auch eine gegenläufige Entwicklung auslösen. Denn: „Die ökonomische Forschung hat klar aufgezeigt, dass Kriege in der Lage sind, den Realzins über Jahrzehnte hinweg wieder nach oben zu bringen. Und wir alle wissen nicht, wie sich der Krieg in der Ukraine weiterentwickelt.“
Auch wenn alle Wirtschaftsprognosen bisher als Folge des Krieges nach unten revidiert wurden, sei der Exporteffekt des Krieges gegen die Ukraine „ein sehr begrenzter“. Das habe auch mit der relativ geringen Wirtschaftskraft Russlands, dem flächenmäßig größten Staat der Welt, zu tun. Wenn man sich die russische Exportstruktur seit 2010 anschaue, dann wissen man nicht, ob man das Jahr 2010 oder 2020 vor Augen habe. „Die sind praktisch identisch. Es hat sich nichts in Richtung technologischen Fortschritts zum Guten gewandt“, so Helmenstein. Ökonomisch gesehen ist Russland die elftgrößte Volkswirtschaft weltweit. Würde man in Russland ein Pro-Kopf-Einkommen wie in Italien haben, dann wäre sie die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt. „Daran sehen sie das eklatante wirtschaftspolitische Versagen der Regierung Putin über die letzten 20 Jahre hinweg. Dieses wirtschaftspolitische Verdikt ist schon gesprochen, das militärische steht noch aus“, so Helmenstein.
Mit Kritik sparte der Chefökonom auch an der europäischen Geldpolitik nicht: „Wir sehen eine Politik des Abwiegelns, des Schönredens und des Gesundbetens.“ Das Abwiegeln kam in der Vergangenheit in Form der Aussage, dass die Kerninflation ganz niedrig sei. Das Schönreden folgte unter dem Verweis, dass für Notenbanken es entscheidend sei, dass die Inflationserwartungen tief verankert seien. „Jetzt sind die Inflationserwartungen nicht mehr tief verankert, jetzt kommt das Gesundbeten. Es besteht darin, dass uns gesagt wird, die Inflation im nächsten Jahr wird unter 3 Prozent liegen. Niemand glaubt das. Das ist ein eklatantes Versagen der geldpolitischen Instanzen. Die Vergangenheit können wir nicht mehr ändern, aber wir können nur sofort handeln und das bedeutet, wir müssen sofort aus dieser ultralockeren Geldpolitik aussteigen“, so Helmenstein.
Die Segeln richtig setzen
Sabine Herlitschka, Vorstandsvorsitzende Infineon Technologies Austria, ging in ihrer Keynote auf die Notwendigkeit der selbstständigen Weiterentwicklung Europas ein: „Technologie ist heute ein gestaltender Faktor in allen Bereichen unserer Gesellschaft. Sie verbindet die reale mit der digitalen Welt. Wissen und Know-how ist der differenzierende Faktor. Die Corona-Pandemie hat die strategische Bedeutung von Technologiesouveränität und Investitionen in die gesamte Wertschöpfungskette in Europa sehr deutlich aufgezeigt. Wir haben jetzt die Chance, die neuen Rahmenbedingungen für Veränderungen auf vielen Ebenen zu nutzen – insbesondere für eine kluge Digitalisierung und den Klimaschutz.“
Die Globalisierung sei wichtig und bleibe es auch. Man werde nicht die gesamte Produktion wieder nach Europa zurückholen können, aber strategische Kompetenzbereiche machen den Unterschied. Die Transformationen, sei es die Nachhaltigkeit oder die Digitalisierung, haben viel mit Technologien zu tun, aber sie seien wesentlich mehr als nur technologische Fragen. Daher gelte es, die Kräfte in Europa zu bündeln, um die richtigen Strategien, die wir haben, noch besser umzusetzen. Denn. „Der Wind weht, wie er will, aber wir sind es, die die Segeln setzen.“