Konjunkturgespräch: „Wir sollten viel schneller werden“

Dem wirtschaftspolitischen Handlungsbedarf für die kommende Legislaturperiode widmete sich heuer das Konjunkturgespräch der RLB Steiermark. Um die richtigen Weichen stellen zu können, muss eine lange To-do-Liste abgearbeitet werden, waren sich die Experten einig.

Saalansicht beim Konjunkturgespräch 2024
Reges Interesse herrschte am Kompass, den die Experten der europäischen, österreichischen und steirischen Wirtschaftspolitik mitgaben. © RLB Steiermark/Peter Riedler

Das Superwahljahr 2024 findet in wirtschaftlich und politisch angespannten Zeiten statt. Um Orientierung für die bevorstehenden Europa-, Nationalrats- und auch steirischen Landtagswahlen zu geben, wurde beim 34. Konjunkturgespräch der Raiffeisen-Landesbank Steiermark den mehr als 500 Gästen ein „wirtschaftspolitischer Kompass“ geboten.

Gastgeber RLB-Generaldirektor Martin Schaller betonte, dass die Herausforderungen für die Wirtschaft zwar einfach zu benennen seien, die Umsetzung von Lösungen sei aber oft viel komplexer. „Wir brauchen keinen Pessimismus, sondern einen realistischen Optimismus. Viel zu sehr sind Verbote und Regulierung statt Anreize und Möglichkeiten auf der Agenda“, kritisiert Schaller. Wenn man wolle, dass die Menschen eigenverantwortlich leben, kreativ und innovativ seien und sich auch etwas schaffen wollen, „dann brauchen wir eine Kultur, die das belohnt und den Anreiz vor das Verbot stellt“.

Auf allen Ebenen müsse Bürokratie und ein Übermaß an Regulierung abgebaut werden. „Es braucht eine Abkehr von bisher althergebrachten Denkweisen. So sind etwa Klimaschutz und gezieltes Wirtschaftswachstum nachweislich in Einklang zu bringen“, strich Schaller hervor, der sich für einen ganzheitlichen Blick auf Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft einsetzt.

Blick über den Tellerrand

Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung (IV), verwies beim Konjunkturgespräch auf globale Best-practice-Beispiele, von denen Österreich lernen sollte. „Unsere heimischen Betriebe machen es vor und innovieren auf höchstem Niveau, dabei stets den internationalen Vergleich mit den jeweiligen Spitzenreitern im Blick haltend. So gelingt Höchstleistung. Es ist an der Zeit, diese Haltung auch für unsere Positionierung als Investitionsstandort einzunehmen“, fordert der Ökonom.

Weltweit finde der Aufschwung längst in einem Dynamikgürtel in der globalen Mitte statt, im Norden und Süden laufe es dagegen weniger gut. Insgesamt 62 Volkswirtschaften sollten heuer ein reales Wachstum von über 4 Prozent vorweisen können. Indonesien, Mexiko, Brasilien, die Türkei, aber auch Saudi-Arabien seien aktuell die Destinationen, mit denen man sich aufgrund der Wirtschaftsdynamik beschäftigen sollte, rät der Ökonom.

Christian Helmenstein beim Konjunkturgespraech 2024
Christian Helmenstein © RLB Steiermark/Peter Riedler

Das weltwirtschaftliche Gewicht Europas nimmt seit einiger Zeit ab. Die USA hätten diese Erfahrung bereits gemacht, seit einiger Zeit verlieren sie ihren Anteil an der Weltwirtschaft aber nicht mehr, weil sie eine Neuausrichtung vorgenommen haben. Nun seien die Europäer gefordert, sich im globalen Wettbewerb neu zu positionieren, erklärte Helmenstein. Österreich habe immer noch enorme Wachstumsspielräume – das sollte ein Ansporn sein, um „ein österreichisches und europäisches Jahrzehnt des Wirtschaftswachstums und der Prosperität einzuläuten“.

Man sollte sich dabei auch nicht auf die „üblichen Verdächtigen“ unter den Handelspartnern konzentrieren, sondern sich an Top-Performern orientieren: So decke Uruguay an manchen Tagen 98 Prozent seines Energiebedarfs aus erneuerbaren Energien ab. „Das zeigt, was möglich ist. Wir sollten schneller, viel schneller werden“, fordert der Experte. Estland wiederum habe seine Abhängigkeit von russischen Energieimporten von 32 Prozent auf 6 Prozent gedrückt. „Mit dem nötigen politischen Willen geht Unglaubliches“, kommentierte der Ökonom die Leistung der ehemaligen Sowjetrepublik.

Tauglichere Regulierungen

Zur Inflationsentwicklung betonte Helmenstein, dass es in Österreich zwar keine „Lohn-Preis-Spirale“ gäbe, aber eine „Preis-Lohn-Spirale“. Denn nicht die hohen Lohnabschlüsse waren Ausgangspunkt für die hohe Inflation, sondern ein externer Preisschock. Dennoch mahnt der Ökonom die Lohnverhandler zu moderaten Abschlüssen: „Wenn das so weitergeht, haben wir keine Chance mehr im europäischen Wettbewerb. Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht rauspreisen.“

Grundsätzlich sparte Helmenstein auch nicht mit Kritik an der Politik: „Demokratie darf nicht heißen, dass wir es immer nur mit dritt-, viert- oder fünftbesten Lösungen zu tun haben. Als Ökonom wünsche ich mir, dass wir auch am Ende eines Verhandlungsprozesses in demokratischen Bahnen öfters wieder zu erstbesten Lösungen kommen.“

Als Beispiel nannte Helmenstein die Herausforderung, die Klimaschutzziele im Verkehr zu erreichen. So habe er in einer Studie aufgezeigt, dass man mit der Beimischung von in Österreich erzeugten Biokraftstoffen das ambitionierte Emissionsziel bis zum Jahr 2030 durchaus erreichen könne. Dafür müsste man lediglich einen Preisaufschlag von 10 Cent auf Diesel und Benzin akzeptieren. Das wäre so „eine erstbeste Lösung“ für das Problem auf Basis einer inländischen Erzeugung.

Darüber hinaus plädiert der Ökonom für „Public First“ als neuen Grundsatz in der Wirtschaftspolitik. „Jede Regulierung, die die EU der Wirtschaft in Zukunft auferlegen will, sollte ein Jahr lang zunächst ausschließlich von den öffentlichen Stellen umgesetzt werden“, fordert Helmenstein. Davon verspricht sich der Ökonom tauglichere Regulierungen.

„Permanente Krisen“

Politikberater Thomas Hofer betonte beim Konjunkturgespräch, dass die Politik seit Jahren mit „permanenten Krisen“ beschäftigt sei. Als Beispiele nannte er die Migrationskrise 2015, die bis heute nachwirke, die innenpolitischen Ibiza-Affäre, aber auch die Corona-Pandemie und zuletzt die Kriege in der Ukraine und in Gaza. Vor allem auf Bundesebene sei die Politik von derartigen Ereignissen getrieben, sodass es zu strategischen mittel- bis langfristigen Entscheidungen und Überlegungen aufgrund der Okkupation mit der Tagespolitik oft gar nicht komme.

Zudem räumte Hofer auch mit der Mär auf, dass die Bürger rational wählen würden. Der Trend gehe immer stärker zur sogenannten „Emo-kratie“ („Emotion und Demokratie“). Das könne man auch aktuell an der Debatte um die ORF-Gehälter beobachten, wo es völlig egal sei, was man für eine Zahlen-, Daten- und Faktenbasis habe – „dominant und erdrückend ist die Emotion“. 

Die Endausbaustufe der Emokratie könne man in den USA am Beispiel des früheren US-Präsidenten Donald Trump beobachten. Er behauptet, dass die Wahlen 2020 gestohlen waren. „Sie können eine Dutzendschaft an Gerichten aufbieten und zehntausende Experten, die das Gegenteil beweisen – seine Anhängerschaft wird ihm folgen, egal, was er sagt“, erklärte Hofer. Die Emokratie sei ein allgemeiner Trend, den man nicht auf Trump alleine reduzieren dürfe. Mit den neuen technologischen Möglichkeiten, die bereits Bilder und bald auch Videos manipulieren können, werde das Kampagnen-Management in der politischen Kommunikation immer schwieriger, warnt Hofer.

„Der Fokus auf Negativität in der politischen Kommunikation hat auch Auswirkungen auf die Wirtschaft. Nicht nur, dass Unternehmen bzw. Branchen aufs politische Spielfeld geraten. Auch das Narrativ der Zweiten Republik – die Aufstiegserzählung – leidet. Gewisse Zukunftsthemen sollten entideologisiert und möglichst überparteilich behandelt werden.“

EU zukunftsfit machen

Europa- und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler sagte vor diesem Hintergrund, dass der gemeinsame Binnenmarkt eine der größten Errungenschaften des gemeinsamen Europas und Basis für unseren Wohlstand sei. „Jetzt gilt es, unseren Binnenmarkt für die nächsten 30 Jahre aufzustellen. Europa soll nicht Weltmeister der Bürokratie und Überregulierung bleiben, sondern Champion der Wertschöpfung und Innovation werden. Dafür muss die neue EU-Kommission die Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit zu ihrer ersten Priorität machen. Wir müssen jetzt die bestmöglichen Rahmenbedingungen für die Innovationskraft unserer Unternehmen schaffen“, forderte Edtstadler beim Konjunkturgespräch.