Es gibt Tage, an deren Anfang man sich beim besten Willen nicht vorstellen kann, dass sie mit einem Happy End zu Ende gehen. Für Magdalena Rauter war der 26. Juli vergangenen Jahres so ein Tag. Ganz souverän hatte sich die 17-Jährige für das Finale der European Youth Olympic Games (EYOF) in Maribor qualifiziert – doch auf einmal wollte ihr nichts mehr gelingen. „Der Anlauf, der Absprung, nichts hat mehr zusammengepasst“, erinnert sie sich. Selbst Höhen, die sie sonst mit traumwandlerischer Sicherheit überspringt, wurden plötzlich zum Zitterspiel, alles fühlte sich zäh an wie ein gebrauchter Kaugummi.
„Irgendwann überkam mich das Gefühl, dass ich dankbar sein darf, überhaupt hier zu sein. Die Sonne ging unter, die Stimmung im Stadion war toll. Ich dachte, auch wenn ich über keine Höhe mehr drüber komme, bin ich trotzdem zufrieden.“ Ein Mindset, mit dem sich alles änderte. Bis zur übersprungenen Höhe von 3,95 Meter ließ sie die Latte legen, so hoch wie keine andere ihrer Konkurrentinnen. Als der Sieg und damit die Goldmedaille bereits feststanden, versuchte sie sich noch an der magischen Vier-Meter-Marke, die sie bis dahin noch nie übersprungen hatte. Und siehe da: Auch das gelang ihr im dritten Versuch. „Ich war total happy, habe aber erst später realisiert, dass ich mich damit in allerletzter Sekunde sogar für die Europameisterschaften in Jerusalem qualifiziert habe“, erzählt Magdalena Rauter vom bisher schönsten und emotionalsten Moment ihrer noch jungen Karriere.
Eine Karriere, die seit dreieinhalb Jahren nur einen Weg kennt: steil nach oben. Und das im doppelten Wortsinn, schließlich ist es nicht jedermanns Sache, sich mit einem Stab vier Meter in die Höhe zu katapultieren, um dann von dort in eine Matte zu fallen. Magdalena, bis zu diesem Zeitpunkt eine vielseitig begabte Leichtathletin, entdeckte ihre Liebe zu dem Sport 2019. Und verfiel der Jagd nach jedem Zentimeter in der Corona-Zeit, als es in dieser Disziplin die besten Trainingsmöglichkeiten gab. „Das war ein schleichender Prozess“, gibt sie zu. „Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich schon zwei Wochen nicht mehr beim ‚normalen‘ Leichtathletik-Training war, dann waren es drei Monate. Die Faszination für das Stabhochspringen war einfach riesig.“
Familiäre Unterstützung
Dazu kommt, dass Magdalena aus sportbegeistertem Hause kommt. Beide Eltern waren erfolgreiche Snowboarder, Mutter Christine wurde 1995 sogar Weltmeisterin im Parallel-Slalom. Gute Gene auf der einen, viel Verständnis auf der anderen Seite. „Meine Eltern haben nie gesagt, ich soll etwas nicht machen, weil es zu gefährlich wäre. Sie meinten: Probier es aus, du siehst schon, was passiert. Es hieß immer: Sich mal weh tun, gehört dazu, so lernt man seinen Körper kennen.“
Dass Stabhochspringen generell zu den gefährlichsten Sportarten gehört, ist für sie ohnehin nur ein Mythos. Klar, Unfälle wie der von Kira Grünberg, die seit einem Sturz querschnittgelähmt ist, sind in der Öffentlichkeit sehr präsent. Aber eben die ganz große Ausnahme, wie Rauter betont: „Kira hatte unglaubliches Pech! Aber oft kommt so etwas nicht vor. Das Wildeste, das dir passieren kann, ist, wenn ein Stab bricht. Aber auch das gibt es nicht öfter als ein- oder zweimal in einer Karriere. Aber die Leute sehen irgendwelche Youtube-Videos und glauben, dass so etwas an der Tagesordnung ist.“
Komplexe Abstimmung
Sehr wohl an der Tagesordnung sind Trainingseinheiten, ohne die man es nie so weit bringen kann wie Magdalena Rauter. 13 bis 15 Stunden reines Training investiert sie pro Woche in ihren Sport, der als einer der komplexesten überhaupt gilt. Der Grund liegt auf der Hand: In kaum einem Sport müssen so viele unterschiedliche Bewegungen aufeinander abgestimmt werden wie beim Stabhochsprung. „Der Sprung selbst dauert ja nur zwei Sekunden – aber wenn du auch nur einen minimalen Fehler in der Handhaltung oder beim Einstich hast, kann schon alles verloren sein. Und auch beim Anlauf muss das Timing zu 100 Prozent stimmen.“ Es gilt: Nur wenige Zentimeter im Ablauf entscheiden über Sieg oder Niederlage, was wiederum dazu führt, dass auch die mentale Komponente eine entscheidende Rolle spielt.
Für Magdalena Rauter, die so ganz nebenbei in diesem Sommer ihre Matura macht, genau die richtige Herausforderung. Sie tüftelt gerne im Detailbereich und bringt das richtige Maß an Motivation mit. Schließlich hat sie auch ihre Ziele genau vor Augen. Für dieses Jahr ist es die Teilnahme an den U20-Weltmeisterschaften in Lima (Peru) im August, für deren Qualifikation sie noch einmal die vier Meter überspringen muss.
Gut aufgehoben
Seit zwei Jahren gehört auch die Raiffeisen-Landesbank Tirol zu ihren Sponsoren, wo sie Teil des Nachwuchspools ist. „Was mir taugt, ist, dass es auf der einen Seite ums Business geht, auf der anderen Seite aber auch ein sehr freundschaftliches und vertrauensvolles Verhältnis besteht. Ich fühle mich dort sehr gut aufgehoben“, sagt Magdalena, die es aktuell sogar auf die Liste für die Nominierten zur Wahl zu Tirols Sportlerin des Jahres geschafft hat. Und sich dort neben Granden wie Janine Flock (Skeleton), Vanessa Herzog (Eisschnelllauf), Lisa Hauser (Biathlon) oder den Skifahrerinnen Ricarda Haaser und Stephanie Venier zur Wahl stellen darf. „Ich hab das erst gar nicht mitbekommen, aber meine Oma rief an und meinte, dass sie für mich abstimmen wird“, erzählt sie. „Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass ich gegen diese ganzen Stars eine Chance habe. Es sei denn, die Leute wollen mal ein ganz frisches Gesicht sehen.“
Ein frisches Gesicht – das möchte Magdalena irgendwann auch auf der Bühne der ganz großen Stabhochspringerinnen der Welt sein. Olympia 2028 in Los Angeles hat sie durchaus im Hinterkopf, auch wenn sie weiß, dass es dafür noch einer ordentlichen Steigerung bedarf. Doch eines Tages möchte sie in dem Bereich landen, wo Höhen zwischen 4,80 und 5 Metern bewältigt werden müssen, um ganz vorne zu landen. „Das wäre ein Traum, und ich werde alles dafür tun, das auch zu schaffen“, sagt sie. Und schiebt ein „aber“ hinterher: „Wenn es nicht klappt, würde ich mein Leben auch anders füllen können. Sport ist nicht mein einziges Lebensziel. Aber wenn ich etwas mache, dann mache ich es richtig.“
Was dabei herauskommen kann, hat man ja vergangenes Jahr in Maribor gesehen.