„Mehr als eine Rechtsform“

Genossenschaften erleben eine Renaissance. Über ihre zunehmende Bedeutung spricht Christian Pomper, Genossenschaftsgründer, Revisor und Herausgeber des Praxishandbuchs Genossenschaft.

Herr Pomper, welche Bedeutung kommt den Genossenschaften aktuell zu?
Christian Pomper: Genossenschaften bilden einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor sowohl in Österreich als auch weltweit. Allein in Genossenschaften – ohne Beschäftigte in Verbundunternehmen – wurden 2018 hierzulande rund 50.000 Beschäftigte gezählt. Weltweit bestehen fast 3 Millionen Genossenschaften mit rund 1,2 Milliarden Mitgliedern, die etwa 300 Millionen Menschen beschäftigen. Das sind 10 Prozent der weltweit arbeitenden Bevölkerung.

Was zeichnet die Rechtsform aus? 
Pomper: Als Rechtsform sui generis hat die Genossenschaft zweifelsfrei ihren festen Platz in der Gesellschaft gefunden. Geprägt durch ihren sozialökonomischen Charakter, getragen vom Willen der Hilfe zur Selbsthilfe und gestützt durch ihr genossenschaftliches Verbandswesen spielt sie eine wesentliche Rolle damals wie heute und liefert vielleicht heute mehr denn je als Rechtsform im Rahmen des Gesellschaftsrechts die Antwort auf gesellschaftspolitische Fragen und Forderungen nach Solidarität und Mitbestimmung des Einzelnen in schwierigen ökonomischen Zeiten.

In der Öffentlichkeit ist die Genossenschaft kaum präsent und weniger bekannt als andere Rechtsformen wie die Gmbh. Wieso?
Pomper:  Naja, ich denke gerade Raiffeisen ist in der Öffentlichkeit sehr präsent. Die Wahrnehmung ist vielleicht manchmal etwas verklärt. Ebenso sind andere Genossenschaften präsent, werden jedoch nicht immer als solche wahrgenommen. Beispielsweise sind auch die Austria Presse Agentur – APA, die Verwertungsgesellschaft AKM (Autoren, Komponisten und Musikverleger) oder Red Zac Genossenschaften.

Was war die Motivation, dieses Praxishandbuch zu verfassen?
Pomper: Die Genossenschaft ist mehr als nur eine Rechtsform und gewinnt wieder zunehmend an Beliebtheit. Diese in einer systematischen Darstellung neu zu würdigen, war daher längst überfällig. Dementsprechend soll das Praxishandbuch Genossenschaft als Inspirationsquelle und praktische Unterstützung dienen und einen neuen Blick auf diese flexible und bewährte Rechtsform werfen.

An wen richtet sich das neue Werk?
Pomper: Das vorliegende Werk richtet sich an Einsteiger genauso wie an Praktiker und nähert sich der Genossenschaft aus unterschiedlichen Perspektiven an. Insbesondere haben wir Gründer, aber auch angehende Revisoren bei der Erstellung im Hinterkopf gehabt.

Was sind die wichtigsten Vorteile einer Genossenschaft?
Pomper:  Genossenschaften verbinden das, was oft unvereinbar scheint: Individualismus und Eigeninteresse auf der einen Seite und Solidarität auf der anderen Seite. Genossenschaften verbinden die Stärken von Kleinbetreiben (Ortskenntnis, örtliches Vertrauen, geringe Transaktionskosten) mit den Vorteilen von Großbetrieben (Auslagerungen und Aufgabenteilung sind möglich). Genossenschaften besitzen die Fähigkeit, Betroffene zu Beteiligten zu machen, das heißt die von der Veränderung Betroffenen können direkt an den Lösungen der durch den Wandel entstehenden Probleme mitarbeiten. Die Genossenschaft kann Interessen von Kapitalgebern und Kunden vereinen, da Träger und Nutzer bei Genossenschaften im Prinzip die gleichen Personen sind (Identitätsprinzip). Als Rechtsform weist die Genossenschaft eine sehr hohe Flexibilität aus wie zum Beispiel flexible Satzungsgestaltung, einfache Ein- und Austrittsmöglichkeit und Mitbestimmung der Mitglieder im Rahmen der Generalversammlung.

Hat sie auch Nachteile?
Pomper: Aus meiner subjektiven Perspektive natürlich nicht. Von außen höre ich meistens Haftung und Revision. Die (einfache) Haftung auf den Geschäftsanteil ist meines Erachtens jedoch Ausdruck des personalistischen Charakters der Genossenschaft, während die Revision Vertrauen und Sicherheit schafft.

Ein neuer Trend sind Energiegenossenschaften. Was sind deren Vorteile?
Pomper: Mit dem EAG wurden die rechtlichen Rahmenbedingungen für eine dezentrale Grundversorgung aus erneuerbaren Quellen gesetzt, wobei gerade in diesem Zusammenhang Genossenschaften die ideale Rechtsform bilden. Die „Erneuerbare Energiegenossenschaft“ stellt eine optimale Lösung für die aktive, selbstverantwortliche Einbindung des Einzelnen zur Bewältigung der Klimakrise und Einläuten der Energiewende dar. So hat die Genossenschaft aus ihrem Selbstverständnis heraus bereits alles, was man für eine Erneuerbare Energiegemeinschaft braucht, es liegt ihr quasi in den Genen. 

Christian Pomper: Praxishandbuch Genossenschaft.
Preis 78,– Euro. 1. Auflage. 400 Seiten.
ISBN 9783707346190. Linde Verlag.