ÖRV-Brüsselreise: Austausch auf Augenhöhe

Die immer größeren Herausforderungen für die Landwirtschaft diskutierten Raiffeisen-Manager mit EU-Spitzenvertretern in Brüssel und stießen dabei vielfach auf offene Ohren.

Othmar Karas tritt die Raiffeisen-Manager
LLI-Generaldirektor Josef Pröll, Agrana-CEO Markus Mühleisen, VÖM-Präsident Helmut Petschar, EU-Abgeordneter Alexander Bernhuber, ÖRV-Generalsekretär Johannes Rehulka, Vizepräsident des EU-Parlaments Othmar Karas, EU-Abgeordneter Peter Jahr, RWA-Generaldirektor Reinhard Wolf und Robert Pichler (Leitung Wirtschafts-, Agrar- und Europafragen im ÖRV) © European Union 2023

Der Österreichische Raiffeisenverband (ÖRV) ist bestrebt, im Sinne seiner Mitglieder die Vernetzung mit den Institutionen der Europäischen Union (EU), die einen Großteil der gesetzlichen Rahmenbedingungen für das Wirtschaften setzen, zu stärken und eine Plattform für einen Austausch auf Augenhöhe zu bieten. Bei der nun erstmalig vom ÖRV organisierten Brüsselreise mit dem Schwerpunkt Landwirtschaft tauschte sich eine hochkarätige Gruppe von Raiffeisen-Managern mit Spitzenpolitikern und -beamten der EU über die drängendsten Herausforderungen aus. Thematisiert wurden neben klassischen Agrarthemen auch geopolitische Krisenherde und die bevorstehenden EU-Wahlen. 

Der Raiffeisensektor habe ein großes Interesse daran, konstruktiv an Lösungen bei sämtlichen EU-Projekten in der Landwirtschaft – etwa bei der Umsetzung des Green Deals – mitzuarbeiten, unterstreicht ÖRV-Generalsekretär Johannes Rehulka. Gerade Nachhaltigkeit als strategisches EU-Ziele hätte die Möglichkeit geboten, wirtschaftlicher und technologischer Weltmarktführer in diesem Zukunftsbereich zu werden. „Allerdings hängen uns aktuell die anderen Kontinente beim technologischen Fortschritt ab, während sich Europa in erster Linie mit regulatorischen Fragen beschäftigt“, warnt Rehulka. Daher sei ein Austausch zwischen den politischen Entscheidungsträgern und der Wirtschaft besonders wichtig, um praxisnahe Lösungen rasch auf den Weg bringen zu können. 

Agrarindustrie spielt eine entscheidende Rolle

„Der Green Deal ist aber nicht nur ein Naturschutzprogramm, sondern auch ein Wirtschafts- und Investitionsprogramm“, betont Othmar Karas, Erster Vizepräsident des Europäischen Parlaments, beim gemeinsamen Arbeitsfrühstück mit der Raiffeisen-Delegation. Wenn die EU bei den grünen Technologien nicht Benchmarkführer bleibe bzw. werde, verliere man an Standortqualität und Wettbewerbsfähigkeit. „Gleichzeitig müssen wir jeden Sektor während des Übergangs mit maßgeschneiderten Lösungen unterstützen“, fordert Karas mit Blick auf die politischen Entscheidungsträger. Die Landwirtschaft und die Agrarindustrie spielen dabei eine entscheidende Rolle. Sie sorgen nicht nur für Ernährungssicherheit, sondern schaffen auch Arbeitsplätze und pflegen die Kultur und Identität der Regionen. Ihm sei bewusst, dass aktuelle Legislaturvorhaben der EU etwa beim Thema Renaturierung die Landwirte vor besondere Herausforderungen stellen. Daher sei es umso wichtiger, „von einer Verteidigungs- in eine Argumentationsposition zu kommen, um gemeinsam negative Konsequenzen zu vermeiden und die Chancen zu nützen“, so der EU-Politiker.

Reinhard Wolf, Generaldirektor der Raiffeisen Ware Austria, wies darauf hin, dass die europäische Landwirtschaft im Umgang mit der Nachhaltigkeit im internationalen Kontext ein Vorreiter sei: „Wir produzieren auf einem Standard und mit einem Verantwortungsbewusstsein, wie es sonst auf der Welt nirgends passiert.“ Dennoch fehle Wolf bei der Umsetzung des Green Deals, dem zentralen EU-Projekt zu ESG („Umwelt, Soziales und Unternehmensführung“), der wesentliche Aspekt der ökonomischen Nachhaltigkeit. „Wir können uns die ökologische und soziale Nachhaltigkeit nur leisten, wenn wir unseren Betrieben weiterhin auch eine wirtschaftliche Nachhaltigkeit absichern“, mahnt Wolf in Richtung Politik ein.

EU-Kommissar Johannes Hahn gab Einblicke in die aktuellen EU-Budgetverhandlungen.
EU-Kommissar Johannes Hahn gab Einblicke in die aktuellen EU-Budgetverhandlungen. © RZ/Christian Lovrinovic

„Verbieten von Wirkstoffen ist falscher Ansatz“

Dazu zähle auch das für die Landwirtschaft brennende Thema Pflanzenschutz, das immer stärker reguliert werde. Die Landwirtschaft habe bereits erhebliche Reduktionen bei der Verwendung von Pflanzenschutzmitteln erzielt. Es sei nun wichtig, evidenzbasierte Regelungen zu schaffen und die Herausforderungen differenziert zu diskutieren. Ein wichtiges Instrument in diesem Bereich sei die Saatgutbeizung. Dabei könne mit geringen Mengen von Pflanzenschutzmitteln eine große Wirkung erzielt werden. Das sei überhaupt der wirksamste Schutz für Pflanzen. „Das Verbieten von Wirkstoffen ist der falsche Ansatz“, moniert Wolf. Er fordert ein evidenzbasiertes politisches Vorgehen, um realistische, praktikable und wissenschaftlich fundierte Lösungen für die Landwirtschaft, die wesentlich auf Pflanzenschutzmittel angewiesen ist, zu schaffen.

Auch Agrana-CEO Markus Mühleisen sieht beim Pflanzenschutz einen massiven Handlungsbedarf: „Wenn wir die Herausforderungen meistern wollen, die wachsende Weltbevölkerung mit gesunden und erschwinglichen Lebensmitteln zu versorgen, das Klima zu schützen und die Landwirtschaft zu erhalten, brauchen wir einen guten Pflanzenschutz. Wir müssen alles daran setzen, dass die Produktivität in der Landwirtschaft nicht noch weiter nach unten geht.“ Sollte die landwirtschaftliche Produktion in Europa sinken und Waren aus anderen Regionen importiert werden, in denen die Standards nicht so hoch sind wie in Europa, dann würde der Schaden für das globale Klima unterm Strich größer werden – „das wollen wir eigentlich verhindern“, warnt Mühleisen vor einem „Schuss ins eigene Knie“. 

Handlungsbedarf bei Ukraine-Importen

Aber nicht nur die immer striktere Regulierung beim Pflanzenschutz setzt der Landwirtschaft zu, auch die Folgen des Ukraine-Krieges wirbeln den EU-Agrarmarkt auf. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges wurde der Ukraine in einem befristeten Freihandelsabkommen ein zoll- und quotenfreier EU-Marktzugang gewährt. Zudem wurden Maßnahmen gesetzt, um ukrainische Agrartransporte über europäische Solidaritätskorridore zu gewährleisten. Dennoch kommen massive Mengen an Weizen, Zucker und anderen Agrarprodukten auf den EU-Markt. Im Gespräch mit EU-Budgetkommissar Johannes Hahn wurden kurz- und mittelfristige Lösungsansätze thematisiert. Das Problem sei, dass die Ersatzrouten für ukrainische Agrarprodukte diese Mengen nicht stemmen können. Grundsätzlich müsse man nun abwarten, wie lange dieser verheerende und schreckliche Krieg an den Grenzen Europas noch dauern könne, so Hahn. Sollte die kriegerische Auseinandersetzung länger anhalten, was sich derzeit abzeichne, werde man wohl die europäischen Ersatzrouten ausbauen müssen, um ukrainische Lebensmittel in größeren Mengen auf Drittmärkte zu bringen. 

Für Agrana-CEO Markus Mühleisen sei es wichtig, diese Übergangszeit gut zu managen. Die Solidarität mit der Ukraine sei wichtig und die ukrainischen Importe könnten für ein, zwei Jahre auch verdaut werden, aber nicht über einen Zeitraum von fünf oder zehn Jahren. Man könne nicht hohe Standards in der Landwirtschaft, etwa beim Pflanzenschutz, setzen und dann auf der anderen Seite Hunderttausende Tonnen an Zucker importieren, die nicht unter diesen Standards produziert worden seien. „Das passt nicht zusammen. Damit machen wir uns in Europa auch nicht glaubwürdig“, erklärt Mühleisen. 

Einen Einblick in den Zeitplan für die Bestellung der neuen EU-Kommission erhielten die Raiffeisen-Agrarier vom neuen Ständigen Vertreter Österreichs in Brüssel Thomas Oberreiter und seinem Team.
Einen Einblick in den Zeitplan für die Bestellung der neuen EU-Kommission erhielten die Raiffeisen- Agrarier vom neuen Ständigen Vertreter Österreichs in Brüssel Thomas Oberreiter und seinem Team. © RZ/Christian Lovrinovic

Leadership gefragt

Beim Meinungsaustausch mit Botschafter Thomas Oberreiter, seit September Leiter der Ständigen Vertretung Österreichs bei der Europäischen Union, wurde neben den aktuellen agrarpolitischen Themen auch über das aktuelle EU-Bild gesprochen. Josef Pröll, Generaldirektor der Leipnik-Lundenburger Invest Beteiligung AG (LLI), fordert wieder mehr Leadership in der Politik ein, speziell auf europäischer Ebene: „Ich habe das Gefühl, dass aktuell die Verwaltung einen sehr starken Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse hat.“ Bei der Lebensmittelproduktion in der EU sei man viel zu wenig bei den großen Linien geblieben, was zum Teil bei der Umsetzung zu großen Herausforderungen und fehlendem Verständnis geführt habe.

Einen ähnlichen Eindruck teilt auch Helmut Petschar, Präsident der Vereinigung Österreichischer Milchverarbeiter (VÖM). Es scheine so, als ob immer mehr NGOs und Handelsketten vorgeben, wie Bauern produzieren müssten. Gerade für die kleinstrukturierte Landwirtschaft in Österreich sei es eine Herausforderung, dass bei den Regelungen alles über einen Kamm geschoren werde. Die Kombinationshaltung im Berggebiet sei für die österreichische Landwirtschaft unabdingbar, ansonsten würden Abwanderung, Entsiedelung und Entwertung vor allem den Bergregionen drohen.

Kritik kommt von Petschar auch an der geplanten Verpackungsverordnung der EU. Die unterschiedliche nationale Ausgestaltung des Verpackungsregimes sei neben dem Fehlen einer ausreichenden Folgenabschätzung des Vorschlags mit ein Grund für die Komplexität der aktuellen Verhandlungen im Rat als auch im EU-Parlament. Die Problematik für die Lebensmittel- und insbesondere für die Molkereiwirtschaft bestehe in der mangelnden und nicht praxisgerechten Abstimmung mit konkurrierenden Zielen der Lebensmittelsicherheit, aber auch der Lebensmittelverschwendung. Die geplanten Vorgaben seien in der Praxis nur unter erheblichen Mehrkosten umsetzbar und aus gesamtökologischer Sicht kontraproduktiv, kritisiert der VÖM-Präsident.  

Ein positives Resümee der ersten agrarischen Brüsselreise des ÖRV zog Robert Pichler, Leiter der ÖRV-Abteilung für Wirtschafts-, Agrar- und Europafragen: „Höchstrangige Vertreter europäischer Institutionen haben nicht nur ihre Türen, sondern auch ihre Ohren geöffnet. Bei den Gesprächen wurden von der Gemeinsamen Agrarpolitik über die Auswirkungen von EU-Handelsabkommen, aktuelle Herausforderungen beim Pflanzenschutz bis hin zur EU-Verpackungsverordnung zahlreiche relevante Themen erörtert. Dabei wurden einerseits die Standpunkte des Raiffeisen-Sektors klar dargelegt, andererseits wurde das europäische Netzwerk des ÖRV und seiner Mitglieder gestärkt“, zeigt sich Pichler zufrieden.