Ratschen statt Glockenläuten

Am Gründonnerstag fliegen die Glocken nach Rom – so die Volkssage. Als Ersatz hört man in der Alpenregion dann oft die Ratschen. Das steirische Volksliedwerk hat dem österlichen Brauch ein Buch gewidmet, Bauanleitung inklusive.

Ratsche im Detail
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Das „Triduum Sacrum“ – Latein für „Heilige Drei Tage“ – stellt den Höhepunkt im christlichen Kirchenjahr dar. Beginn dieser Zeit ist stets der Gründonnerstag­abend, an dem auch die Messe zum letzten Abendmahl gefeiert wird. Anschließend verstummen die Glocken der Kirchtürme bis Ostersonntag, wenn die Wiederauferstehung Jesu verkündet wird. Heute wird diese Tradition ohne große Umstellung im Alltag gelebt, lediglich das Osterfasten bedeutet für Gläubige einige Tage des Verzichts. 

Glocken sind aus christlichen Kirchen nicht wegzudenken. Sie gelten als Symbol für die Verkündung der christlichen Botschaft, haben aber auch eine praktische Bedeutung. So war es in Mönchsgemeinschaften des frühen Christentums üblich, dass die Glocke zu den sieben Gebetszeiten läutete und somit den Tag strukturierte. Dieser Brauch dehnte sich schließlich auf die gesamte christliche Gemeinde aus. Glocken dienen also dazu, den Tag der Gläubigen zu gliedern und sie zum gemeinsamen Gebet zu versammeln.

Da die Kirchenglocken zumeist eine festliche Stimmung ausdrücken, ist deren Läuten in der Zeit der Grabesruhe Jesu nicht angebracht. Das Ratschen übernimmt also von Gründonnerstag bis Karsamstag die Aufgabe der Kirchenglocken. Weil die Kirchenglocken der Überlieferung nach bis zur Auferstehungsfeier nach Rom fliegen, bleiben sie bis zur Osternacht stumm.

In den 1950er-Jahren hat der Tiroler Volkskundler Nikolaus Grass beschrieben, wie Buben ratschen: „Teils aus Lärmbelästigung, teils rufen sie die Stunden aus oder laden an Stelle der Glocken dreimal des Tages, in aller Herrgottsfrüh, um 12 Uhr mittags und am Abend, zum Ave Maria. Dieser Brauch wird in der Schweiz wie in allen Alpenländern, ja selbst im Burgenland, geübt.“

Zwei Brettratschen
© Steirisches Volksliedwerk/Familie Fiedler

Der genaue Ursprung der Tradition, die neben Österreich auch in der Schweiz und in Teilen von Deutschland und Italien verbreitet ist, lässt sich nur schwer belegen. In Israel und dem Westjordanland gibt es allerdings eine ähnliche Tradition, bloß mit Trommeln statt Ratschen. Wann genau geratscht wird, hat sich allerdings erst 1956 geändert. Bis dahin galt, dass die Ruhephase von der Vormittagsmesse am Gründonnerstag bis zum Ostersamstag dauert. Nun findet die Messe am Abend statt und den Glocken wird einen Tag länger eine Pause gegönnt.

Verbundene Generationen

Einen ausführlichen Blick auf die Geschichte der Ratschen wirft die Volkskundlerin Johanna Paar in einem neuen Buch, welches den klingenden Titel „Rrratschen – Praktisches Handbuch zu Ratschenbau und österreichischem Ratschenbrauchtum“ trägt. Dabei geht sie auf die Verschmelzung von kirchlichen und weltlichen Aspekten ein und stattet den aktivsten Pfarren rund um das Ratschenwerk einen Besuch ab – darunter die Diözese Graz-Seckau. Zudem werden die unterschiedlichen Ausformungen der Tradition begutachtet: Neben den vielseitigen Bauformen der Instrumente gibt es nämlich auch passende Ratschensprüche und -lieder.

Was Paar sehr freut, ist, dass sie für die Dokumentation des Brauchtums auch die Hilfe von jungen Menschen gewinnen konnte. Das Layout des Buches stammt nämlich von Miriam Schaller, Schülerin der HTBLVA Graz-Ortweinschule. Für ein besonderes Schmankerl in der Publikation sorgen zudem die Schüler der HTBLA Weiz, die gleich zwei Pläne für den Bau von Ratschen zur Verfügung gestellt haben. Die Volkskundlerin sieht im Basteln der Geräte eine handfeste Möglichkeit zur generationenübergreifenden Brauchtumspflege. Eltern und Großeltern können mit den Kindern neue Ratschen basteln oder sogar Erbstücken eine neue Farbschicht verpassen.

Kind mit Ratsche auf Schaukel
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Geschütztes Brauchtum

Denn so vielfältig wie die Ausprägungen der Tradition sind, so unterschiedlich sind auch die verwendeten Ratschen. Grundsätzlich wird zwischen den kompakteren Handbrettern und den großen Turmratschen unterschieden. Letztere gibt es auch als Schubratschen, die einer Scheibtruhe ähnlich sind und – wie es der Name bereits verrät – geschoben werden. Diese hölzernen Vehikel erhalten in vielen Regionen im Laufe der Osterfeierlichkeiten Schmuck. Zunächst sind sie daher ungeschmückt, beim letzten Einsatz hingegen sollen sie prächtig aussehen. Schließlich gibt es noch die Kastenratschen, bei der mehrere Turmratschen nebeneinander montiert werden, damit sie beim Drehen des Hebels gleichzeitig erklingen, was eine entsprechende Lautstärke erzeugt.

Das Prinzip von Ratschen ist unabhängig von der Größe jedoch gleich: „Ein Klappbrett oder mehrere, auf welche eine Hammerreihe durch drehende Bewegung gelenkt wird“, lautet die präzise Beschreibung aus dem Buch. Aufgrund des einfachen Aufbaus wird vermutet, dass es sich um ein sehr altes Instrument handelt. Historisch haben die Ratschen übrigens auch andere Verwendungen, etwa als lautstarkes Instrument für Kinder oder als auffälliges Warnsignal von Nachtwächtern und Feuerwehrleuten in Norddeutschland. Musikwissenschaftlich gilt die Ratsche übrigens als „Schrapinstrument“, auch „Selbstklinger“ genannt, und gehört somit zur gleichen Gruppe an Musikinstrumenten wie etwa das Waschbrett. 

Seit 2015 ist das Ratschen in der Karwoche von der heimischen UNESCO-Kommission zu einem immateriellen Kulturerbe erklärt worden. Damit einher geht der Schutz dieser Tradition, was durch die Bekanntmachung und Weiterentwicklung gefördert wird.