Neue Schaderreger bedrohen die Kulturen am Feld, Preisdruck und gesellschaftliche Anforderungen steigen an, während der Einsatz von Betriebsmitteln reduziert werden soll. Können die landwirtschaftlichen Betriebe in diesem Spannungsfeld noch effizient produzieren und wirtschaftlich überleben, fragt die Industriegruppe Pflanzenschutz (IGP) bei der elften Ausgabe ihrer Dialogveranstaltung.
Harald von Witzke, zweiter Vorsitzender des Thaer Forums für Agrikultur (TFFA) und emeritierter Professor der Humboldt-Universität zu Berlin, beleuchtet dafür „die sich ändernden internationalen Rahmenbedingungen, innerhalb derer die Land- und Ernährungswirtschaft, aber auch die Politik ihre Entscheidungen zu treffen haben“.
Die rasant wachsende Weltbevölkerung und die deutliche Verknappung des globalen Naturkapitals – landwirtschaftlich nutzbare Böden, Wasser, Biodiversität, natürliche Lebensräume – sorgen für enorme landwirtschaftliche Herausforderungen. Bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts wird sich der Nahrungsbedarf der Welt mehr als verdoppeln. Dieser Bedarf könne im Prinzip gedeckt werden durch Ausdehnung der landwirtschaftlichen Flächen oder Mehrproduktion auf den bereits genutzten Flächen, sagt von Witzke. Die erste Option sei nicht wirklich verfügbar, denn die weltweiten Bodenressourcen sind begrenzt und die produktivsten Böden befinden sich bereits in der landwirtschaftlichen Nutzung.
„In vielen Teilen der Welt, einschließlich Europas, gibt es keine nennenswerten Bodenreserven mehr, die man noch mobilisieren könnte. Und dort, wo es noch möglich wäre, wie in den tropischen Regenwäldern, will man das nicht.“ Deshalb müssten laut den Vereinten Nationen 90 Prozent des zukünftigen Produktionswachstums aus wachsenden Flächenerträgen resultieren. Nur noch 10 Prozent dürften dann noch zulasten der weltweiten Flächenausdehnung gehen.
Fromme Wünsche
Vorgeschlagene Alternativen für reiche Länder, wie eine gesündere Ernährung und weniger Verschwendung, seien nicht mehr als fromme Wünsche, so von Witzke: „Selbst wenn das gelingen würde, würde das bei weitem nicht ausreichen, um den rasch wachsenden Bedarf der Welt decken zu können. Nur 20 Prozent der Weltbevölkerung leben in reichen Ländern. 80 Prozent leben in den Entwicklungs- und Schwellenländern – genau dort, wo der Hunger zu Hause ist.“
Und weil die meisten ärmeren Länder nicht in der Lage sein werden, ihren Bedarf selbst zu decken, steigt auch die Importabhängigkeit. Demgegenüber steht, dass sich mittlerweile die EU zu einer der größten Nettoimporteurinnen auf der agrarischen Rohstoffebene entwickelt hat. Laut von Witzkes Berechnungen nutzt die Europäische Union jedes Jahr zwischen 17 und 34 Mio. Hektar außerhalb ihrer Grenzen zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse im Agrarbereich.
Pflanzenschutz-Innovationen als Lösung
„Auf weniger Fläche mehr zu produzieren, kann also nur mithilfe von Innovation und Produktivitätswachstum gelingen. Das muss auch im Zentrum einer nachhaltigen und glaubwürdig auf den Kampf gegen den Hunger in der Welt ausgerichteten EU-Landwirtschaft und Agrarpolitik stehen“, fordert von Witzke. Die aktuellen agrarpolitischen Rahmenbedingungen in der EU würden zum Gegenteil führen.
Der Green Deal oder das EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur führen von Witzke zufolge zu einem Ungleichgewicht in der weltweiten Landnutzung: „Werden innerhalb der EU Flächen aus der Nutzung genommen, hat das indirekt Auswirkung auf den Rest der Welt in Form von zusätzlicher Ausdehnung der landwirtschaftlichen Nutzflächen.“ Diese Ausdehnungen würden typischerweise durch Brandrodung oder den Umbruch von Gras- in Ackerland geschehen, was wiederum zur Folge hat, dass die Emissionen von Klimagasen steigen und natürliche Lebensräume und Biodiversität verloren gehen.
„Die Messungen der Kommission zur Klimawirkung der Landwirtschaft sind methodisch falsch“, meint von Witzke. Denn der Effekt dieser „indirekten Landnutzungsänderung“ werde von der EU nicht berücksichtigt. „Eine Umstellung auf eine biologische Produktion würde nicht nur die direkten Klimagasemissionen halbieren, sondern auch den Flächenertrag. Deshalb werden die Flächen anderswo ausgedehnt und dabei weit mehr Emissionen freigesetzt als zu Hause eingespart. Somit kehrt sich das Ergebnis um und die moderne, konventionelle Landwirtschaft ist jene, die aus Klima- und Umweltgründen zu bevorzugen ist“, folgert von Witzke.
Realistische Ziele gefordert
Um den erhöhten Bedarf auf weniger Flächen decken zu können, seien entsprechende Betriebs- und Pflanzenschutzmittel einfach notwendig, ist man sich beim IGP-Dialog einig. Europäische Vorgaben wie die Sustainable Use Regulation (SUR), die vorsieht, „die Verwendung und die Risiken von Pflanzenschutzmitteln bis 2030 EU-weit um 50 Prozent zu verringern“, würden zu enormen Effizienz-Einbußen führen. „Der Werkzeugkoffer der Landwirte wird immer leerer“, verdeutlicht der Präsident der österreichischen Rübenbauern, Ernst Karpfinger, und unterstreicht: „Im Rübenbau haben wir schon ein Viertel der Mittel verloren.“
„Pflanzenschutz ist Voraussetzung und integraler Bestandteil einer nachhaltigen Lebensmittelproduktion“, ist auch Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig überzeugt. „Zielvorgaben müssen realistisch und praxisorientiert sein. Überschießende Ziele schwächen die Wettbewerbsfähigkeit und unsere Bauernfamilien“, so Totschnig. „Dass wir die richtigen Mittel brauchen, um die Menschen in Zukunft gesund und ausreichend ernähren zu können, darf man auch nicht außer Acht lassen“, betont auch RWA-Generaldirektor Reinhard Wolf. Josef Plank, Universitätsratsvorsitzender der BOKU, pflichtet bei: „Wir werden neue Methoden und neue Anwendungen brauchen, um effizient Lebensmittel produzieren und anbieten zu können.“
Thomas Resl, Senior Consultant bei Agrarconsultants und selber Biolandwirt, fordert bei den Diskussionen eine stärkere Einbindung der Praktiker und ehrliche Diskussionen: „Pflanzenschutz-Bashing sichert nicht das Überleben.“ Dass die Grenzen zwischen objektiver Wissensvermittlung und subjektiver Bewertung ständig mehr verschwimmen, warnt Josef Pröll, Generaldirektor der Leipnik Lundenburger Invest Beteiligungs AG (LLI): „Wir müssen raus aus der Debatte des Negativismus. Das kann nur durch faktenbasierte Diskussion und einer stärkeren Integration von Forschung gelingen.“ Als „auf die Fakten schauen und weniger emotionalisieren“, fasst es Marlies Gruber vom forum.ernährung heute zusammen.