Produktivitätsrat: Österreich steht am Scheideweg

Eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik fordert der Produktivitätsrat und gibt dafür auch eine umfassende Handlungsanleitung.

Österreichs Wirtschaft, die zu den leistungsfähigsten in Europa zählt, verliert zunehmend an Wettbewerbsfähigkeit. Steigende Kosten, Arbeitskräfteknappheit sowie Versäumnisse in der Digitalisierung und Energiepolitik bringen den Wirtschaftsmotor zum Stottern, zeigt der Produktivitätsbericht 2024.

„Das Wachstum der Produktivität von über 4 Prozent pro anno in den 1980er-Jahren ist auf nicht einmal 0,5 Prozent im Jahr 2023 zurückgegangen“, erklärt Christoph Badelt, Vorsitzender des Produktivitätsrates. Die Stundenproduktivität sei zurückgegangen und der technische Wandel trage kaum mehr zum Produktivitätswachstum bei. Obwohl die Einkommen in Österreich hoch seien, profitieren nicht alle Bevölkerungsgruppen davon und das Ausmaß der absoluten Armut sei zuletzt gestiegen. Gleichzeitig drohe Österreich, seine Ziele bei den CO₂-Emissionen zu verfehlen. Um Reformstaus zu beseitigen und Österreich wieder fit für die Zukunft zu machen, fordert der Produktivitätsrat insgesamt zwölf Maßnahmen – darunter eine Digitalisierungsoffensive sowie den Ausbau der erneuerbaren Energien. 

Massive Investitionen nötig

„Die grüne Transformation und die Digitalisierung erfordern massive Investitionen, die durch die Rezession und eine angespannte budgetäre Lage erschwert werden. Österreich ist seit 2020 schlechter durch die Krisen gekommen als andere EU-Länder“, konstatiert der Vorsitzende des Produktivitätsrates. Ein Grund dafür sei, dass die heimische Wirtschaft von den Energiepreissteigerungen stärker betroffen war als andere EU-Staaten.

Zudem habe Österreich „eine strukturelle Krise“ in der Industrie. Diese falle mit kurzfristigen Nachfrageschwankungen und Kostensteigerungen – insbesondere bei Löhnen und Energie – zusammen. Für einzelne Unternehmen, die beide Lasten voll tragen, sei diese Mischung nur schwer auszuhalten. Ein weiteres Problem sei, dass „die Inflation bei uns länger angedauert hat als in den meisten anderen EU-Ländern“. Das habe Wirtschaftswachstum, aber auch Wohlstand gekostet. In Summe steht Österreich nach Einschätzung des Ökonomen „am Scheideweg“.

Zeit zum Handeln

Um die Wirtschaft wieder in Fahrt zu bekommen, empfiehlt der Produktivitätsrat insgesamt zwölf Maßnahmen. „Um wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und ökologische Nachhaltigkeit zu vereinen, sind sofortige Reformen und Zukunftsinvestitionen erforderlich. Daher muss die Bundesregierung entschlossen handeln, um Österreichs wirtschaftliche und soziale Errungenschaften abzusichern und zu stärken“, betont Badelt.

So könnte ein verstärkter Einsatz digitaler Technologien die Produktivität deutlich verbessern, erklärt Andreas Reinstaller, Ökonom und einer der Autoren des Berichts. Allerdings: Österreich befinde sich in wesentlichen Bereichen wie der digitalen Infrastruktur oder fortschrittlichen digitalen Anwendung durch Unternehmen höchstens im EU-Mittelfeld. „Dazu muss man sagen, dass die EU selbst keine gute Benchmark ist, da sie international gesehen in vielen Bereichen selbst ein Nachzügler ist“, streicht Reinstaller hervor. 

Stärkerer Preiseffekt

Als eine weitere Maßnahme wird der raschere Ausbau von erneuerbaren Energien und der Energieinfrastruktur empfohlen. In Österreich sei die Koppelung zwischen Erdgas- und Strompreisen stärker als in anderen Ländern. Das verstärke den Preiseffekt, während die Substitutionsmöglichkeiten der Unternehmen kaum gegeben seien. Auch wenn die Energiekosten bei den meisten Unternehmen relativ gering seien, sind einige Unternehmen davon allerdings stark betroffen. „75 Prozent des gesamten Energieverbrauchs in der Industrie in Österreich werden von circa 170 Unternehmen bestritten“, sagte Reinstaller. Die gute Nachricht dabei sei, dass das Problem konzentriert und überschaubar sei. 

Auch der demografische Wandel bereitet den Ökonomen Kopfzerbrechen. Bis 2060 wird die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zurückgehen, was zur Verlangsamung des Wirtschaftswachstums beiträgt. Daher sei eine Mobilisierung des Arbeitskräftepotenzials wie die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen und älteren Menschen sowie die Verbesserung des Qualifikationsniveaus notwendig, ist der Produktivitätsrat überzeugt. 

AusgabeRZ49-2024

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