Europa im Kriegszustand

Das Verteidigungsministerium präsentiert mit dem Risikobild 2025 eine Analyse der sicherheitspolitischen Herausforderungen der nächsten zwölf bis 18 Monate.

„Die Welt ist nach wie vor aus den Fugen. Das kann durchaus Angst machen. Wenn man den Blick in die Ukraine, in den Nahen Osten oder nach Amerika richtet, dann ist eines ganz klar: Wir müssen uns vorbereiten“, sagt Verteidigungsministerin Klaudia Tanner bei der Präsentation des Risikobildes 2025. In Österreich wurden erste wichtige Schritte gesetzt. So verfüge man mittlerweile über die nötigen budgetären Mittel, um das Österreichische Bundesheer zu einer modernen Armee zu entwickeln. Dieser Aufbauplan werde auch bereits umgesetzt. 

Das sei mehr als notwendig, denn „Europa befindet sich bereits im Kriegszustand“, hält Brigadier Ronald Vartok fest. Damit sei nicht die klassische militärische Konfrontation gemeint, sondern vielmehr die hybride Kriegsführung. „Diese zielt nicht nur auf einen Frontstaat ab, sondern wirkt viel mehr als bewusst gesetzte begleitende Maßnahme in die strategische Tiefe“, erklärt Vartok. Darunter fallen unter anderem Desinformations- und Propaganda-Kampagnen, die Einmischung in Wahlen oder eine gesteuerte Migration. 

Komplexe Bedrohungen

Prinzipiell gilt: „Nicht nur die Eintrittswahrscheinlichkeit unterschiedlicher Risiken hat signifikant zugenommen, sondern auch die Komplexität der Bedrohungen“, so Vartok. Sollten diese Risiken eintreten, ziehen sie schwerwiegende politische, wirtschaftliche und soziale Folgen nach sich: „Fazit: Wir bewegen uns in extrem unsicheren Zeiten.“

Eine Hauptbedrohung ist weiterhin der Krieg in der Ukraine. „Eine Eskalation des Krieges ist nach wie vor nicht auszuschließen“, sagt Vartok. Dabei müsse das Risiko einer Ausweitung der kriegerischen Handlungen auf andere europäische Staaten bedacht werden. Als Beispiel für eine reale Bedrohung nennt der Brigadier die Ambition Russlands, eine direkte Landverbindung zur Enklave Kaliningrad durch die Einnahme des sogenannten Suwalki-Korridors herzustellen. „Wir erwarten generell, dass die Beziehungen Europas, sowohl von EU als auch NATO, zu Russland auf absehbare Zeit von nachhaltigem Antagonismus geprägt sein werden“, kommentiert Vartok. 

Weiters stelle „der zu befürchtende Flächenbrand“ im Nahen und Mittleren Osten ein klares Risiko für Österreich dar. „Der Sturz des Assad-Regimes in Syrien trägt ebenfalls zur politischen Fragilität in der Region bei.“ Eine weitere Verschärfung des Konfliktes sei nicht auszuschließen. Infolgedessen müsste Europa mit weiteren Flüchtlingswellen aus dieser Region rechnen, die weitere soziale Spannungen und eine fortschreitende politische Polarisierung mit sich bringen können, berichtet Vartok. Ohnedies sorge die irreguläre Migration für eine Schwächung der europäischen Integration und den Zusammenhalt.

Keine Sicherheitsgarantie

Cyberangriffe sind hochwahrscheinlich bzw. bereits immanent, in ihren Auswirkungen aber vorerst noch bewältigbar. Die Anzahl und Intensität nehmen weiterhin zu. Vor allem hinsichtlich der bereits genannte hybriden Kriegsführung. Neben Desinformation zielen Cyberangriffe auch auf die Störung von Kommunikationsnetzen oder kritischer Infrastruktur ab. „Das ist eine unmittelbare Bedrohung für das Funktionieren eines Staates“, unterstreicht Brigadier Vartok die Bedeutung eines Blackout-Szenarios. 

Noch überschaubar, aber immerhin gegeben, sei das Risiko eines Luftangriffs auf Österreich. Damit ist nicht der Einsatz eines „strategischen Fernbombers“ gemeint, sondern von weitreichenden Drohnen und Raketen. „Umgeben zu sein von NATO-Staaten, der Schweiz und Liechtenstein ist keine Sicherheitsgarantie“, warnt Vartok. Russland verletze immer wieder den europäischen Luftraum mit Drohnen. Dabei handle es sich nicht um gezielte Angriffe, sondern viel mehr um ein Ausloten der Reaktionen der NATO und der EU. „Keine dieser Drohnen wurde bisher rechtzeitig durch Abwehrsysteme des Westens abgefangen. Das verdeutlicht zum einen die hohe Verwundbarkeit Europas und zum anderen, dass derartige Vorfälle in Zukunft keineswegs ausgeschlossen werden können.“

Ronald Vartok, Erwin Hameseder, Generalstabschef Rudolf Striedinger, Klaudia Tanner und Arnold Kammel, General­sekretär im Bundesministerium für Landes­verteidigung, bei der Präsentation des Risikobildes
Ronald Vartok, Erwin Hameseder, Generalstabschef Rudolf Striedinger, Klaudia Tanner und Arnold Kammel, General­sekretär im Bundesministerium für Landes­verteidigung, bei der Präsentation des Risikobildes © BMLV/Carina Karlovits

Gemeinsamer Kraftakt

Das Risikobild 2025 verdeutlicht, dass „Hoffnungen auf die Fortführung einer westlich geprägten, regelbasierten Weltordnung vermutlich nicht erfüllt werden“ und, wie es scheint, „das Gesetz des Stärkeren wieder Renaissance feiert“, resümiert Vartok. Nur durch gesamtstaatliche Lösungsansätze und grenz- und regionenübergreifende Kooperationen können diese Herausforderungen eingedämmt und gelöst werden, ist der Brigadier überzeugt. 

Dass sich Österreich von diesen globalen Entwicklungen nicht loslösen kann, weiß auch Erwin Hames­eder, Generalanwalt des Österreichischen Raiffeisenverbandes und Milizbeauftragter des Österreichischen Bundesheeres: „Österreich ist ein sehr sicheres Land und das müssen wir uns bewahren. Klar ist auch, dass es einen gemeinsamen Kraftakt braucht, um Österreich sicherheitspolitisch gut und sicher in der Spur zu halten.“

Neben der militärischen Verteidigung spielt in Österreich vor allem die geistige Landesverteidigung eine wichtige Rolle, an der es „ohne Zweifel“ zu arbeiten gilt, sagt Verteidigungsministerin Tanner: „Sicherheit ist immer eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die geistige Landesverteidigung müssen wir wieder aufbauen, weil es nicht selbstverständlich ist, in einer Demokratie, in Frieden und in Freiheit zu leben. Diesen Weg gemeinsam zu gehen, das wird die Aufgabe der Zukunft sein – in Österreich, aber auch in Europa.“

AusgabeRZ5-2025

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