Als Franz Wögerer 1990 mehr unverhofft als geplant zum Obmann der Raiffeisenkasse in der niederösterreichischen 2.700-Einwohner-Gemeinde Blindenmarkt gewählt wurde, war die Finanzwelt eine völlig andere. Man trug sein Erspartes in Schilling auf die Bank, Online-Banking war noch völlig undenkbar, ganz zu schweigen von Kryptowährungen.
Entsprechend groß war der Wandel, den er in seiner 42-jährigen Funktionärszeit, 34 davon als Obmann, miterlebt hat. Genauso wie jener der Bank in der Zeit ihres Bestehens. „Die Raiffeisenkasse Blindenmarkt hat sich in diesen 130 Jahren einigen Stürmen stellen müssen“, betonte Wögerer bei der diesjährigen Generalversammlung. Einige erlebte er hautnah mit: Nicht nur Internet und Euro wurden eingeführt, beim Hochwasser 2002 wurde auch der Keller des 1992 neu gebauten Bankgebäudes geflutet und alles darin zerstört. 2008 und 2009 gab es mehrere Raubüberfälle, inklusive Schusswechsel.
„Wir alle sind an diesen Herausforderungen gewachsen“, so Wögerer auch im Hinblick auf die positive Entwicklung der Raiffeisenkasse Blindenmarkt. Die Bilanzsumme ist seit 1990 stetig von 15,2 auf 83,3 Mio. Euro im Jahr 2023 gewachsen. Im Vergleich zum Vorjahr (82,7) gab es ein Plus von 0,6 Prozent. Selbiges gilt für das Betriebsergebnis, welches dank steigender Einlagen und Kredite von 964.000 Euro (2022) auf 1,7 Mio. Euro angestiegen ist. Das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit (EGT) betrug 2023 605.000 Euro, wie die Geschäftsleiter Petra Weinstabl und Benjamin Pils berichteten.
Mit Komplizen zum Erfolg
Somit könne Wögerer sein Obmann-Amt „bedenkenlos“ an seinen bisherigen Stellvertreter Clemens Stocker übergeben. Den Verantwortungsträgern der Raiffeisenkasse Blindenmarkt gab er – nicht ohne Augenzwinkern – einen Tipp mit auf den Weg: „Der Schlüssel zum Erfolg ist Zusammenarbeit. Die Arbeit ist wie ein Banküberfall – ohne die richtigen Komplizen wird’s nichts“, scherzte Wögerer.
Zu seiner letzten Generalversammlung gab es außerdem hohen Besuch: Michael Höllerer, Generaldirektor von Raiffeisen Niederösterreich-Wien, bedankte sich bei Wögerer für die gute Zusammenarbeit und sprach angesichts der ereignisreichen Geschichte der Raiffeisenkasse Blindenmarkt über aktuelle und zukünftige Herausforderungen: „Wir leben nun in einer Zeit, wo wir den Höchststand an Zinsen seit Einführung des Euro haben. Das ist für uns Banken nicht einfach.“ Zum Halbjahr gehe er von einer Zinssenkung aus, merkte jedoch auch an, dass man die letzten Jahre in einer ungesunden, viel zu niedrigen Zinsstruktur gelebt habe.
Strategie vonnöten
Die Präsenz der Raiffeisen Bank International (RBI) in Russland, der Ukraine und Weißrussland sieht Höllerer als „sehr schwieriges und emotionales Thema“, bei dem er auf einen Schlusspunkt in Kürze hoffe. Jenen, die behaupten, die RBI sei eine Bank, die Oligarchen bediene und den Krieg Wladimir Putins finanziere, entgegnet er: „Das ist absolut nicht der Fall.“ Die RBI sei mit 7 Millionen Kunden in den drei Ländern vielmehr eine Bank des gehobenen Mittelstands.
Höllerer verwies auch auf die mehr 16.000 Mitarbeiter vor Ort: „Wir haben dort auch Kollegen, die unter dem Giebelkreuz arbeiten. Da hat man als Arbeitgeber auch eine gewisse Verantwortung.“ Sanktionen wären früher sehr erfolgreich gewesen, doch das habe sich geändert: „Länder, die mehr als 70 Prozent des Welthandels ausmachen, sanktionieren Russland nicht.“ Der Generaldirektor vermisst eine Strategie, denn: „Europa wird nicht ohne Russland können, Russland kann nicht ohne Europa.“
Höllerer beklagt auch, dass man aktuell in Zeiten lebe, wo man sich auch als Bank für wirtschaftlichen Erfolg fast genieren müsse. Dabei vergesse man die vielen Initiativen und Sponsorings: „Das können wir uns nur leisten, weil wir Gewinn machen.“
Das gelingt auch der Raiffeisenkasse Blindenmarkt nach wie vor: 2023 wurde ein Jahresgewinn von 465.000 Euro erzielt – eine Steigerung um 700 Prozent während Wögerers Amtszeit. Höllerer zollte dem scheidenden Obmann Tribut: „Das hätte ich auch gern. Ich werde aber nicht so lange bleiben.“