EU: „Es kracht an allen Ecken und Enden“

Bei der Funktionärstagung des Raiffeisen­verbandes OÖ skizzierten zwei Experten, welche Themen die EU künftig beschäftigen werden.

Mit der geschlagenen EU-Parlamentswahl im Juni wurden die Karten in Europa politisch neu gemischt, derzeit stellt sich auch die EU-Kommission neu auf. Angesichts der Tatsache, dass auch für Österreich wesentliche politische und vor allem wirtschaftliche Rahmenbedingungen in Brüssel geschaffen werden, stellte sich vor der kommenden Legislaturperiode vielerorts die Frage: „EU 2029: Wohin führt der Weg?“

So auch der Raiffeisenverband Oberösterreich (RV OÖ), der unter diesem Titel vor kurzem zu einer Funktionärstagung ins Bildungshaus St. Magdalena in Linz lud. Um die zentrale Zukunftsfrage der Europäischen Union näher zu beleuchten, waren zwei Referenten aus Brüssel zu Gast: Botschafter Thomas Oberreiter, Leiter der Ständigen Vertretung Österreichs bei der EU, und Matthias Gröger, Büroleiter der Landwirtschaftskammer Österreich in Brüssel. In ihren Vorträgen erörterten die beiden Redner, welche Entwicklungen in der EU in den kommenden fünf Jahren zu erwarten sind.

Zünglein an der Waage

Grundsätzlich müsse man sich vor Augen führen, wie groß Österreichs Einfluss im EU-Parlament bei 20 von 720 Abgeordneten tatsächlich ist: „2,8 Prozent – unter der Voraussetzung, dass alle Österreicher, von FPÖ bis Grüne, gleich abstimmen“, gab Oberreiter zu bedenken. Im zweiten gesetzgebenden Gremium der EU, dem Europäischen Rat, seien es gar nur 2,1 Prozent. „Damit kann man nicht Bäume ausreißen, man kann nicht die Welt gestalten, wie sie einem gefällt. Aber man kann sehr viel erreichen, wenn man schnell ist und gute Ideen hat.“ Österreich sei dies in den 30 Jahren seiner EU-Mitgliedschaft gut gelungen, meint Oberreiter, denn: „Manchmal ist es so, dass unsere knapp zwei Prozent das Zünglein an der Waage sind.“

Sicherheit und Standort

Was die kommenden fünf Jahre angeht, nannte der Botschafter die Themen Sicherheit und Standort beziehungsweise Wettbewerbsfähigkeit als Top-Prioritäten der EU. Denn: „Es kracht an allen Ecken und Enden.“ Die Ukraine und der dort herrschende Krieg sei gefühlt weit weg, eigentlich aber nicht wirklich. „Die ukrainische Grenze ist näher bei Wien als Vorarlberg“, sagte Oberreiter. Aus seiner Sicht stehe die Sicherheit in Mitteleuropa auf dem Spiel, weshalb man mehr tun müsse. Er rechne damit, dass es wahrscheinlich künftig einen eigenen EU-Kommissar für Verteidigung geben wird, denn „ohne Sicherheit ist alles nichts“.

Im Hinblick auf Wettbewerbsfähigkeit stellte Oberreiter fest: „Wo es krankt, wissen wir wahrscheinlich alle: Bürokratie ist ein ganz großes Thema.“ In der EU seien über Jahrzehnte in guter Absicht viele Regelungen geschaffen worden, die einzeln betrachtet wohl Sinn gemacht hätten. Nun müsse man jedoch auch wieder gezielt welche streichen.

Als weitere prioritäre Themen der EU nannte Oberreiter die Erweiterungsfrage gerade im Hinblick auf die Balkanstaaten und Migration. Bei letzterem Punkt sei die Diskussion vergiftet. Auch gebe es mittlerweile schon über 20 Grenzen innerhalb des Schengen-Raums. Deshalb glaubt der Diplomat: „Der Schutz der Außengrenzen ist etwas, wo die EU beweisen muss, dass sie das kann. Wenn nicht, wird sie wahrscheinlich immer mehr infrage gestellt werden.“

Bäuerliche Interessen

Anschließend legte Matthias Gröger im Hinblick auf die nächste EU-Legislaturperiode den Fokus auf Land- und Forstwirtschaft. Positiv sei, dass in der Agenda des Europäischen Rats und im Programm der Europäischen Kommission die Stärkung der Position der Landwirte in der Wertschöpfungskette und die Ernährungssicherheit als wichtige Themen aufgenommen wurden.

Im Hinblick auf die EU-Entwaldungsverordnung unterstrich er die Bemühungen der Interessensvertretung, eine Änderung oder Verschiebung sei jedoch schwierig. Gröger legte auch die Überlegungen bezüglich der Einführung von „AgriETS“, eines europaweiten Emissionshandels, dar. Bei der Ausgestaltung all dieser Themen sei jedenfalls eine starke bäuerliche Interessensvertretung in der EU besonders wichtig.

AusgabeRZ38-2024

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