Tiefgreifender Wandel in Osteuropa

Die Region entwickelt mangels einer EU-Perspektive zunehmend ein wirtschaftliches Selbstbewusstsein.

Der „Steirische Exporttag 2024“ widmete sich den Entwicklungen und Zukunftsperspektiven in Zentral- und Osteuropa (CEE). Beobachter und Experten wie ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz und Gunter Deuber, Chefökonom der Raiffeisen Bank International (RBI), diskutierten gemeinsam mit Unternehmern die politische und wirtschaftliche Situation unter anderem in Polen, der Ukraine, Ungarn und den Staaten Ex-Jugoslawiens.

Dabei zeichnete Christian Wehrschütz das Bild einer Region, die sich in einem tiefgreifenden Wandel befindet. Die geopolitischen Spannungen, insbesondere durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, haben zu starker Unsicherheit und instabilen Verhältnissen geführt, die die wirtschaftliche und politische Dynamik nachhaltig beeinflussen. Doch gerade an diesen Herausforderungen wird das hohe Maß an Widerstandskraft und die Bereitschaft zur Diversifizierung durch internationale Partnerschaften sichtbar.

Seit vielen Jahren positioniert sich China durch strategische Investitionen in Serbien und anderen Ländern in der Region zu einem Handelspartner für die CEE-Märkte. In dieser Entwicklung erkennt Gunter Deuber „eine pragmatische Ausrichtung“ der Region im Spannungsfeld zwischen der politischen Orientierung in Richtung Westen und dem ökonomischen Einfluss aus Fernost. Mit dem Stocken der Verhandlungen und keinem eindeutig erkennbaren Willen zu den nächsten Schritten der EU-Erweiterung wachse zudem der Zweifel vieler Staaten an einer aussichtsreichen EU-Perspektive.

Selbstbewusstsein steigt 

Die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Märkte, die angespannte geopolitische Lage und der mehr oder weniger erfolgreiche Umgang mit diesen tiefgreifenden Veränderungen haben zu einem Paradigmenwechsel in der Wahrnehmung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen West-, Zentral- und Osteuropa geführt. Deuber zufolge bröckelt die allgemein gültige Überzeugung seit der EU-Osterweiterung, dass es der Westen ist, der „das Glück in den Osten“ bringt. Denn „auf dem erfolgreichen Weg aus der Krise“ haben die osteuropäischen Staaten zunehmend ein wirtschaftliches Selbstbewusstsein entwickelt und bieten heute ihrerseits dem Westen Europas neue Möglichkeiten an. Deuber sieht in dieser Entwicklung unter anderem eine Chance für die unter der Krise der deutschen Automobilindustrie leidenden österreichischen Autozulieferbetriebe, die zunehmend in die Fertigung in Osteuropa investieren.

Die wirtschaftliche Entwicklung wird von der geringen Arbeitslosigkeit in vielen zentral- und osteuropäischen Staaten unterstrichen. Doch diese Situation führe auch zu einem zunehmenden Konkurrenzkampf um qualifiziertes Personal in der Region selbst. Das ist auch für österreichische Unternehmen, die bereits in der Region tätig sind oder dort expandieren wollen, eine zentrale Herausforderung. Denn auch sie müssen sich auf diesem Arbeitnehmermarkt durchsetzen, wie Ralf Mittermayr, CEO der Saubermacher Dienstleistungs AG, schildert. Um den Fachkräftemangel zu kompensieren, wird zunehmend auf Personal aus Ländern wie Bangladesch oder den Philippinen zurückgegriffen.

Fokus auf Innovation 

ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz weist auf den bestehenden Innovationswillen dieser Region hin. So hat die Ukraine neben der zwangsweisen Transformation der heimischen Industrie im Rüstungssektor während der Corona-Pandemie innerhalb kürzester Zeit eine Lösung entwickelt, um öffentliche Gesundheitsmaßnahmen effizient umzusetzen. Diese Flexibilität verdeutlicht das Potenzial, auch in Krisenzeiten innovativ zu agieren. Gleichzeitig, so Wehrschütz weiter, hemmen bürokratische Hürden in anderen Teilen Europas, insbesondere in Westeuropa, eine solche Entwicklung.

Das wirtschaftliche Selbstbewusstsein in den Zentral- und Osteuropa-Staaten wird demnach, getragen von optimistischen Wirtschaftsdaten, auch weiterhin wachsen, während zum Beispiel in Frankreich, Deutschland und Österreich auch 2025 mit einem geringen Wachstum gerechnet wird. Dabei bleiben die bekannten Herausforderungen wie bürokratische Hürden und geopolitische Risiken weiterhin bestehen. Dennoch bieten die aufstrebenden Märkte in Zentral- und Osteuropa die Chance, sich nachhaltig im globalen Wettbewerb zu behaupten und dadurch eine langfristige wirtschaftliche Stabilität zu sichern, war der positive Tenor der Diskussionsrunde. 

AusgabeRZ45-2024

Mehr lesen

Aktuelles

Die Welt der Raiffeisenzeitung