Strategien für einen zukunftsfitten Tourismus

Angesichts von Kostendruck und Fachkräftemangel widmeten sich die Tiroler Tourismusgespräche heuer dem Thema Resilienz.

13 Prozent Anteil an der Bruttowertschöpfung, Arbeitgeber von rund 55.000 Beschäftigten – der Tourismus stellt in Tirol zweifelsohne einen der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren dar. Das spiegeln auch die jüngsten Statistiken wider: 12,4 Mio. Gästeankünfte und 48,8 Mio. Nächtigungen wurden in der Saison 2023/24 verzeichnet, Tendenz steigend: Im vergangenen Sommer verzeichnete das Bundesland sowohl mit 4,9 Mio. Ankünften (+2,9 Prozent) als auch mit 17,3 Mio. Nächtigungen (+1,5 Prozent) ein Plus.

Raiffeisen spielt eine wesentliche Rolle bei der Finanzierung des Tourismus in Tirol: Jeder zweite Betrieb wickelt Investitionen über eine Raiffeisenbank ab. Auch deshalb veranstaltet die Raiffeisen-Bankengruppe Tirol alljährlich die Tiroler Tourismusgespräche als bundeslandweiten Nachfolger der vormaligen Seefelder Tourismusgespräche. 

Heuer fand das Event bereits zum dritten Mal statt und widmete sich diesmal dem Thema „Resilienz als Überlebensstrategie“ sowie der Frage, wie der Alpentourismus angesichts Kostendruck, Fachkräftemangel und familiärer Verantwortung zukunftsfit bleiben kann.

Strukturelle Probleme

Thomas Wass, Vorstandsvorsitzender der RLB Tirol, sah sich angesichts des regen Andrangs von 380 Anmeldungen in der Ausrichtung der Veranstaltung bestätigt: „Wir sind ausverkauft. Das zeigt uns, wie wichtig das Thema ist.“ Tirol werde derzeit von vielen anderen Bundesländern aufgrund seiner „gesunden Mischung“ beneidet: ein Drittel Tourismus, ein Drittel Industrie sowie ein Drittel Gewerbe und Handel. Tatsächlich wird in Tirol jeder dritte Euro im Tourismus verdient. „Wenn es schlecht läuft, funktioniert der Tourismus. Letztes Jahr haben wir dank dem Tourismus als einziges Bundesland eine schwarze Null gehabt“, erklärte Wass.

Zugleich gebe es große strukturelle Themen, so seien etwa die Preise seit der Corona-Pandemie um 45 Prozent erhöht worden, die Gewinne der Unternehmen aber um 20 Prozent nach unten gegangen. Es brauche strukturelle Eingriffe, um dem entgegenzuwirken. Seitens der Landesbank verspüre man viel Verunsicherung und Zurückhaltung bei Investitionen, was gefährlich werden könnte: „Die Investitionen von heute sind die Gewinne von morgen“, warnte Wass vor einem Investitionsrückstau.

Helmut List bei den Tiroler Tourismusgesprächen 2025
Helut List © Franz Oss

Mutig, maßvoll, menschlich

Passend dazu stellte Helmut List, Management Partner beim Tourismusberatungsunternehmen Kohl & Partner, die Frage: „Investieren oder verlieren?“ Der langjährige Branchenkenner sprach von einem abgekühlten Stimmungsradar in der Sommersaison – die Werte seien trotz stabiler Nachfrage von 3,2 auf 2,8 gefallen. Hauptbelastungen seien vor allem Mitarbeiterkosten, Kostensteigerungen, das Erreichen der Auslastung und kurzfristiges Buchungsverhalten der Gäste.

„Wer investiert, kann untergehen. Wer es nicht tut, wird untergehen.“

Helmut List

List sprach von der „größten Transformation aller Zeiten“ für den Tourismus, insbesondere für die Gastronomie, deren Geschäftsmodell in vielen Fällen nicht mehr zukunftsfähig sei. Umso wichtiger sei es, mit Augenmaß zu investieren: „Die Kunst ist, das richtige Maß zu finden.“ Zukunftsfähig investieren bedeute, mit Mut, Maß und Menschlichkeit zu handeln“, so List. Stillstand sei keine Option: „Wer investiert, kann untergehen. Wer es nicht tut, wird untergehen.“

Zweiseitiger Faktor Familie

Eine Perspektive auf die Strukturen in den Betrieben selbst brachte Anita Zehrer, Leiterin des Zentrums Familienunternehmen am Management Center Innsbruck (MCI), ein. Familienunternehmen seien das Rückgrat des Tiroler Tourismus, gleichzeitig aber auch eine Spannungsquelle. „In einer Familie hat jeder Einzelne Wünsche und Erwartungen, letztendlich muss die Familie aber immer gemeinsam Ziele erreichen – hier spießt es sich oft zwischenmenschlich“, so Zehrer. 

Anita Zehrer bei den Tiroler Tourismusgesprächen 2025
Anita Zehrer © Franz Oss

Sie veranschaulichte dies anhand des Drei-Kreis-Modells der Harvard-Professoren Renato Tagiuri und John Davis, das einen Betrieb systemisch in drei sich überschneidende Kreise unterteilt: Familie, Unternehmen und Eigentümer. Hierarchische Unterschiede in der Rollenverteilung bieten Konfliktpotenzial, so Zehrer: „Spreche ich als Eigentümer mit meinem Geschäftsführer, der auch mein Sohn ist, oder spreche ich als Vater mit meinem Sohn?“

Ein kritischer Punkt sei auch die Nachfolgefrage: Zwar schaffen es 76 Prozent der Unternehmen in die zweite Generation, doch nur 16 Prozent in die vierte. „Loslassen ist immer ein großes Thema“, so Zehrer. Gute Kommunikation und gegenseitiges Vertrauen seien daher zentrale Erfolgsfaktoren. „Die Familie als Resilienz- oder Stressfaktor? Eigentlich beides“, lautete Zehrers Fazit.

Politische Resilienz gefordert

Abschließend stellte der bekannte deutsche Philosoph und Autor Richard David Precht die Tiroler Diskussion in einen übergeordneten Kontext. Er sprach von drei gleichzeitigen Umwälzungen, die unsere Zeit prägen: der digitalen Revolution, die er als „zweites Maschinenzeitalter“ bezeichnete, der ökologischen Transformation und der geostrategischen Verschiebung hin zu einer multipolaren Weltordnung. Diese Prozesse würden nicht nur Wirtschaft und Politik fordern: „Wir stehen da vor einer gigantischen gesellschaftlichen Herausforderung.“

Besonders warnte Precht vor einer Erosion liberaler Demokratien. „Ich habe mehr Angst, dass wir hier in Europa keine liberalen Demokratien bleiben, als dass ich es für denkbar halte, dass zu meinen Lebzeiten China eine liberale Demokratie wird“. Missionarische Ansprüche, westliche Werte in andere Länder zu exportieren, seien nicht mehr realistisch.

Richard David Precht bei den Tiroler Tourismusgesprächen 2025
Richard David Precht © Franz Oss

Ein weiterer Schwerpunkt seiner Analyse lag auf der „subjektiven Meinungsfreiheit“. Zwar habe sich die Gesetzeslage kaum verändert, doch viele Menschen hätten das Gefühl, ihre Meinung nicht mehr frei äußern zu können. Precht führte dies auf eine zunehmende Emotionalisierung und Empfindlichkeit der Gesellschaft zurück – eine Schattenseite der Individualisierung. „Wir sind wahnsinnig beleidigungsfähig geworden“, sagte er.

Dahingehend rief er zu mehr Gelassenheit und innerer Widerstandskraft auf, um Diskurs zu ermöglichen. Gerade die Beschäftigten im Tourismus seien ein Vorbild: „Gibt es eine Berufsgruppe, die so sehr trainiert ist, immer freundlich zu bleiben? Die Gesellschaft könnte sich an Ihnen ein Beispiel nehmen.“

AusgabeRZ40-2025

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