„Ergebnisse kann man laut und leise erreichen“

Walter Rothensteiner hat vor fast 48 Jahren seine Karriere bei Raiffeisen als Mitarbeiter der Bauabteilung begonnen und beendet diese nun als Generalanwalt und damit als oberster Repräsentant von Raiffeisen Österreich. Wir sprachen mit ihm über die Bedeutung von Netzwerken, den Umgang mit Mächtigen und das Geheimnis von Raiffeisen.

Walter Rothensteiner steht mit verschränkten Armen vor einem Bild von Friedrich Wilhelm Raiffeisen.
(c) Sabine Klimpt

Sie waren zehn Jahre lang Generalanwalt des Österreichischen Raiffeisenverbandes (ÖRV) und damit Familienoberhaupt der oft zitierten Raiffeisenfamilie. Wie geht es Ihnen nun kurz vor dem Wechsel in der Generalanwaltschaft des ÖRV?
Walter Rothensteiner: Es ist keine besondere Situation für mich, da ja seit einigen Jahren bekannt ist, dass mit Ende Juni 2022 mein Mandat abläuft. Und nachdem im Österreichischen Raiffeisenverband alles gut läuft, geht es mir nicht schlecht. Es ist nicht so, dass ich freudig aufhöre. Es ist aber auch nicht so, dass ich traurig bin, weil ich nicht mehr Generalanwalt bin. Ich übergebe meinem designierten Nachfolger Erwin Hameseder einen solide aufgestellten Verband. Mit Hameseder arbeite ich seit 1986 gut und vertrauensvoll zusammen, ich kenne ihn also. Er ist mein logischer Nachfolger. 

Sind Sie eher wehmütig oder erleichtert?
Rothensteiner: Weder das eine noch das andere. Es war eine schöne Zeit, aber ich komme in ein Alter, wo man sich fragen muss, welche Mandate macht man noch weiter und welche nicht. Und einige Funktionen werde ich ja noch behalten. 

Was zeichnet einen guten Generalanwalt aus?
Rothensteiner: Wenn man zu den Wurzeln von Raiffeisen blickt, geht es dabei um Anwaltschaft – im Sinne von schauen, dass es den Raiffeisen-Genossenschaften, dass es der gesamten Raiffeisen-Organisation gut geht. Aber man ist weder General noch Anwalt, sondern
eigentlich Vereinsobmann – und in dieser Funktion kann man nicht allzu viel im Detail bewegen. Man kann versuchen, dass die öffentliche Meinung vernünftig beeinflusst wird, wo das möglich ist. Und wenn da oder dort der eine oder andere Konflikt entsteht, sollte man darauf schauen, das zu planieren. Aber ich glaube nicht, dass man qualifizieren muss, ob ein Generalanwalt gut, besser oder schlechter ist. Generalanwalt – das ist eine Aufgabe, die man nach Kräften entwickeln muss und insofern habe ich das Gefühl, dass mir das ganz gut gelungen ist. Raiffeisen Österreich besteht aus vielen selbstständigen Einheiten. Nachdem nicht von oben angeschafft wird, sondern jeder für sich und sein Unternehmen verantwortlich ist und seinen Willen durchsetzen will, ist das nicht immer so einfach. Gleichzeitig ist genau das das Geheimnis von Raiffeisen: Wir haben viele Unternehmer – und nicht nur Leute, denen etwas angeschafft wird. Mit dem muss man umgehen.

Muss der Generalanwalt eigentlich Niederösterreicher sein?
Rothensteiner: (Schmunzelt) Nein, muss er nicht – und das waren auch nicht alle. Simon Koiner war beispielsweise aus der Steiermark. Natürlich spielte und spielt eine Rolle, dass die RZB bzw. heute RBI am Standort Wien sind und Funktionen hier oft verbunden sind. Ich bin kein Bundesländer-Fetischist. 

Die Funktion des Generalanwalts ist eine Besonderheit in Österreich, die auch mit Macht in Verbindung gebracht wird. Empfinden Sie sich als mächtig?
Rothensteiner: Man kann mir vieles nachsagen, aber den Eindruck, ein Machtmensch zu sein, hatte ich von mir nie. Womöglich habe ich das aber auch unterschätzt. Aufgrund der Tatsache, dass man über die Jahre sehr viele Leute kennt und sehr viele Kontakte hat, kann man natürlich vieles bewegen. Das hat aber vordergründig nichts mit einer anrüchigen Art von Macht zu tun. Man hat eine Aufgabe und versucht, diese umzusetzen. Macht habe ich bei mir nie gesehen. Vielleicht hat es so gewirkt, aber bewusst ist das kein Thema für mich. 

Sie sagen, Macht bedeutet Ihnen nichts. Aber Sie haben viel mit Mächtigen zu tun. Wie ist Ihr Zugang zu diesen?
Rothensteiner: Wir haben aufgrund der Größe unserer Teileinheiten in diesem Sinne viele Mächtige bei Raiffeisen. Die allermeisten sehen diese Macht aber wie ich, nämlich dass sie Dinge lösen müssen mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln. Manche sind lauter und konsequenter, manche weniger. Das heißt aber noch lange nicht, dass sich das Endergebnis massiv unterscheidet. Man kann ein Ergebnis laut und leise erreichen. 

„Bei Raiffeisen steht der Mensch im Mittelpunkt, und nicht im Weg.“ 

Walter Rothensteiner

Sie gelten als ausgezeichneter Netzwerker, mit Verbindungen in Wirtschaft, Politik, Kunst und Kultur. Wie wichtig war dieses Netzwerk, um die Interessen von Raiffeisen durchzusetzen?
Rothensteiner: Ein gutes Netzwerk ist das Um und Auf. Das kann man auch nur allen Neuen und Jungen empfehlen: Ohne Leute zu kennen, funktioniert in Österreich nichts. Noch dazu hat Österreich den Vorteil, dass wir mit Wien nur ein Zentrum haben. In Deutschland gibt es München, Frankfurt, Berlin, Hamburg. Von der Menge der möglichen Kontaktpersonen ist der Wiener Platz demnach ausschlaggebend. Und wenn man eine solche Aufgabe übernimmt, muss man versuchen, ebendort dabei zu sein, wenn man Meinungen oder Ideen transportieren will. Das funktioniert üblicherweise über Kontakte zu Menschen, teilweise auch über Zeitungen, aber da hat man auch nicht immer die passenden an der Hand. Wichtig ist, die entsprechenden Leute zu kennen – was natürlich auch nicht von heute auf morgen geht. Man sieht es mir ja auch an, dass ich 25 Jahre lang mit vielen Menschen essen gegangen bin. Aber so entstehen Kontakte.

Raiffeisen beruht auf einem Wertefundament aus Solidarität, Subsidiarität und Selbstständigkeit … 
Rothensteiner: Und wir haben die Chance, genau diese Werte über unsere Netzwerke zu transportieren. Klarzumachen, dass bei Raiffeisen vieles anders funktioniert. Dass der Mensch bei uns im Mittelpunkt und nicht im Weg steht. Auch wenn das nostalgisch klingt – aber man braucht nur zu einer Raiffeisenbank fahren und beobachten, wie die Mitarbeiter dort mit ihren Kunden umgehen und dann soll man das mit einer internationalen Großbank vergleichen. 

Raiffeisen ist ein wesentlicher Faktor in Österreich und im Gegensatz zum Mitbewerb – zumindest im Bankbereich – ist Raiffeisen stark in den Regionen. Wie wichtig ist diese regionale Verankerung in Zeiten globaler Konzerne, digitaler Plattformen und Kryptowährungen?
Rothensteiner: Regionalität ist für Raiffeisen essenziell, soll uns aber nicht daran hindern, alles was modern ist, was an neuen Technologien entsteht, was sinnvoll für den Kunden ist, auch zu haben. Wenn wir nicht das beste Programm im Electronic Banking hätten, dann könnten wir noch so regional sein, das würde nicht reichen. Aber andererseits: Irgendwann hat jemand eine Frage und irgendwann möchte er jemand anrufen. Und dann will er nicht 20 Minuten in der Warteschleife hängen oder eine Antwort über den Bildschirm bekommen. Und im besten Fall sollte er denjenigen kennen, den er anruft, und nicht jedesmal mit jemand anderem zu tun haben. Und das schaffen unsere Mitarbeiter meines Erachtens sehr, sehr viel besser als alle anderen. Regionalität ist unser USP, ändert aber nichts daran, dass wir alle Modernitäten mitmachen müssen – solange wir die unnötigen weglassen. Bitcoin wird also nicht unser großes Geschäft werden auf absehbare Zeit. 

Walter Rothensteiner im Interview
(c) Sabine Klimpt

Zu Beginn Ihrer Funktion als Generalanwalt haben Sie fünf Schwerpunkt-Themen definiert: Genossenschaft und Werte, Darstellung der Leistungen von Raiffeisen Österreich, Effizienzsteigerung, Diversität und Nachwuchsförderung bei Funktionären. Welche Meilensteine kennzeichnen Ihre Karriere als Generalanwalt?
Rothensteiner: Ich möchte die Themen nicht einzeln abhaken, aber ich denke, wir sind bei allen ein Stück weiter gekommen. Im Genossenschaftsbereich sogar sehr, weil die diversen Umfragen, die wir gemacht haben, zeigen, dass Genossenschaft für die Menschen ein Thema sind, teilweise mehr als der Name Raiffeisen. Der Schwerpunkt, den wir hier gesetzt haben, hat sich sicherlich bezahlt gemacht. 
Das Thema Diversität ist ein Gebot der Stunde und in Zeiten wie diesen eine Selbstverständlichkeit. Ich freue mich, dass das Thema Funktionärinnen in Gremien so erfolgreich läuft und nun in allen Bundesländern Fahrt aufgenommen hat. 
Bei der Nachwuchsförderung sehen wir, dass dieses Thema nun wieder stärker im Fokus steht. Immer weniger Menschen engagieren sich für die Gemeinschaft, Stichwort Work-Life-Balance, weil ihnen die Freizeit immer wichtiger wird. Das erlebe ich auch bei anderen Organisationen, in denen ich tätig bin. Früher ist jemand von der Arbeit heimgekommen und danach sofort ehrenamtlich ins Rettungsauto gestiegen und hat weitergemacht. Das tut er heute womöglich auch noch, aber nicht mehr während der gesamten Freizeit. 

Die Vielfalt unserer Themen spiegelt die Vielfalt von Raiffeisen und der Genossenschaften wider. Wie haben Sie diese Vielfalt erlebt?
Rothensteiner: Gott sei Dank habe ich diese Vielfalt erleben dürfen, weil wir keine eindimensionale Gruppe sind. Wenn ich heute das Lagerhaus Zwettl besuche, mit seinen mehr als 1.000 Mitarbeitern größter Arbeitgeber der Region, dann ist das eine Form von Vielfalt, mit der man nicht rechnen würde. Wenn ich mir unsere Raiffeisenbanken anschaue, mit regionalen Marktanteilen jenseits der 50 Prozent, dann bin ich sehr stolz darauf. Aber letztendlich ist das dem Einsatz der Menschen bei Raiffeisen zu verdanken, die nicht den Bezug zum Regionalen, zu ihrer Heimat verloren haben. Sie arbeiten in ihrem Umfeld und bekommen so auch unmittelbar Feedback, wenn sie etwas falsch machen – was ja bei zentral gelenkten Organisationen nicht der Fall ist. 

Raiffeisen ist stark aufgrund seiner dezentralen, autonomen Organisation. Gleichzeitig war Ihnen immer wichtig, dass der Sektor zusammenrückt und aus dieser Gemeinschaft seine Stärke bezieht. Ist Raiffeisen zuletzt auseinandergedriftet?
Rothensteiner: Der Sektor ist zuletzt nicht besonders auseinander gedriftet, er driftet wie seit Jahrzehnten. Es gibt immer Themen, wo man nicht zusammenfindet und wo es eine zeitlang dauert, bis sich doch eine gemeinsame Meinung durchsetzt. Ich könnte viele Beispiele dafür nennen. Aber die Erfolge der Organisation zeigen, dass das nicht zum Nachteil ist. Denn wenn ich Raiffeisen mit unseren Konkurrenten vergleiche, sind diese nicht wirklich besser, nur weil dort zentral gesteuert wird – ganz im Gegenteil. Und insofern gehört Diskurs bei Raiffeisen zum Geschäft. Ein Eskalieren kann man dabei normalerweise verhindern. Jedenfalls ist es wichtig, dass unsere Führungskräfte ihre Position verteidigen können und damit eigentlich versuchen, im Dialog mit den anderen besser zu werden. 

„Diskurs gehört bei Raiffeisen zum Geschäft.“

Walter Rothensteiner

Was waren Ihre schönsten Momente als Generalanwalt?
Rothensteiner: Der Raiffeisentag in Grafenegg, ganz klar. Das war eine perfekte Schau, was Raiffeisen ist – mit dem Raiffeisentag am ersten Tag und dem Feldtag danach. Das hat gezeigt, wie viele Menschen bei Raiffeisen einen wertvollen Beitrag leisten. Und ganz grundsätzlich muss ich sagen, dass ich bei Raiffeisen generell keine schlechten Eindrücke hatte. Daher habe ich auch keine Momente, die exorbitant die besten wären. 

Gibt es noch etwas, das Sie gerne gemacht hätten und sich nicht mehr ausgegangen ist?
Rothensteiner: Eigentlich nicht. Alle Dinge, die ich auf Schiene bringen wollte, sind am Laufen – ob das die Raiffeisenzeitung für alle ist, der Raiffeisen Campus in seiner neuen Position, der Genossenschaftsbereich, der enorm in Fahrt ist oder die Diversitätsthematik, die sich positiv entwickelt. All diese Dinge brauchen mich nicht mehr, sie laufen gut. 

Was soll von Ihren Errungenschaften als Generalanwalt bleiben?
Rothensteiner: Wenn die Menschen sagen, er hat einen positiven Beitrag geleistet, muss das reichen. Wir übernehmen Ämter von Vorgängern und geben diese weiter. Es ist ja nicht so, dass wir hier privates Eigentum verwalten, sondern den Auftrag haben, die Dinge möglichst besser zu übergeben, als man sie übernommen hat. 

Haben Sie Angst vor einem Pensionsschock?
Rothensteiner: Nein, keineswegs. Den hätte ich, wenn, dann schon 2017 haben müssen, als ich als RZB-Generaldirektor aufgehört habe. Pensionsschock schließe ich aus. Ich reise gerne und es gibt noch das eine oder andere auf der Welt, das ich mir nun in Ruhe mit meiner Frau anschauen möchte.