„Die grüne Ökonomie kommt – unabhängig von der Politik in Österreich“, ist sich Sigrid Stagl, Leiterin des Instituts Ecological Economics an der Wirtschaftsuniversität Wien und Wissenschaftlerin des Jahres 2024, sicher. Dieser Wandel hin zu einer grünen Ökonomie sei eine der bedeutendsten Transformationen unserer Zeit und dringlicher denn je.
„Die neuesten wissenschaftlichen Studien zeigen, dass die Welt das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens voraussichtlich früher als erwartet überschreiten wird. Ohne drastische Emissionssenkungen wird dieses Limit bereits in den nächsten zwei Jahrzehnten durchbrochen“, warnt Stagl. Eine ungebremste Erderwärmung bedrohe aber nicht nur die Umwelt, sondern auch die wirtschaftliche Stabilität und den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Welt im Wandel
Ein weltweiter ökonomischer Strukturwandel ist allerdings bereits im Gange. „Unternehmen, die nachhaltig wirtschaften, profitieren nicht nur von Innovationsvorsprung und Kosteneffizienz, sondern sichern auch langfristig Wettbewerbsfähigkeit“, sagt Stagl und betont, dass Klimaneutralität und Ressourcenschonung keine Randthemen mehr sind: „Sie bestimmen zunehmend den Zugang zu Märkten, Kapital und Talenten.“
Klimaneutralität und Ressourcenschonung bestimmen zunehmend den Zugang zu Märkten, Kapital und Talenten.
Sigrid Stagl
Einige Beispiele würden das besonders deutlich zeigen: So hat die Kohleförderung weltweit komplett an Bedeutung verloren. „Kohle ist seit Jahren unwirtschaftlich, Investitionen fließen stattdessen in erneuerbare Energien.“ Letztere sind – sobald die Netz- und Speicherinfrastruktur ausgebaut ist – auch die günstigste Stromquelle. „Die Marktentwicklung zeigt, Photovoltaik, Windkraft und Wasserkraft haben sich längst als führende Energiequellen etabliert“, weiß Stagl, und in manchen Weltregionen auch ganz ohne politische Unterstützung. Genauso wachsen grüne Finanzmärkte ohne großes politisches Zutun. Investoren und Unternehmen haben das Potenzial längst erkannt und setzen zunehmend auf nachhaltige Kapitalanlagen. Neben dem Klimaschutz spielt zudem verstärkt die Energiesicherheit und -unabhängigkeit eine große Rolle bei Investitionen.
„Die Richtung ist klar: Die Energiewende ist in vollem Gang und selbst geopolitische Unsicherheiten bremsen sie nicht“, sagt Stagl. Die größte Herausforderung bleibe jedoch, den Wandel schnell genug umzusetzen, vor allem in Österreich. Es stellt sich nicht die Frage, ob man sich anpasst, sondern viel mehr wie schnell.
Potenziale heben
Dass die heimische Politik gut beraten ist, die Ökologisierung der Wirtschaft zu fördern, betont auch Katharina Rogenhofer, Klimaexpertin und Vorständin des Kontext Instituts für Klimafragen: „Die nächste Regierung kann Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit schaffen, indem sie erneuerbare Energien ausbaut und Zukunftstechnologien fördert. Die Wirtschaft will das, die Bevölkerung auch.“
Entsprechend einer aktuellen Studie der Boston Consulting Group und des Kontext Institutes könnte eine ambitionierte Ökologisierung der Industrie – im Vergleich zum „Weiter-wie-bisher“ – die österreichische Wirtschaftsleistung bis 2050 um 3,3 Prozent steigern und 44.000 zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Zudem erwartet man, dass der weltweite Markt für Zukunftstechnologien und Produkte bis 2030 voraussichtlich auf über 14.000 Milliarden US-Dollar wächst. „Solche Szenarien unterstreichen das extreme Potenzial einer neuen Weichenstellung in der Industriepolitik.“
Entscheidungen treffen
Förderungen im Umweltbereich zu kürzen, sei mehr als kontraproduktiv, ist Rogenhofer überzeugt: „Während das Geld für Öl, Kohle und Gas nach Kasachstan, in den Irak und andere Länder fließt, können Förderungen für erneuerbare Energien und Zukunftstechnologien die Wertschöpfung im Land halten und gleichzeitig für langfristig stabile Energiepreise für die Menschen und die Wirtschaft sorgen.“
Förderungen für erneuerbare Energien und Zukunftstechnologien können die Wertschöpfung im Land halten.
Katharina Rogenhofer
Auch immer mehr Vertreter aus Wirtschaft und Industrie sprechen sich für den Erhalt solcher Förderungen aus. 73 der 100 größten österreichischen Unternehmen haben mittlerweile quantitative Klimaschutzziele definiert – ein Plus von 14 Unternehmen im Vergleich zu 2022. Ein Fünftel dieser Unternehmen hat seine Ziele seitdem ambitionierter gestaltet. Damit diese Ziele erreicht werden können, sind klare Rahmenbedingungen notwendig. Nur so könne Planungssicherheit geschaffen werden, um Investitionen in eine ökologisierte Wirtschaft zu fördern, betont Rogenhofer.
Ähnlich sieht es auch die österreichische Bevölkerung, wie eine repräsentative Umfrage des Kontext Institutes zeigt: Mehr als drei Viertel (77 Prozent) der Befragten wollen, dass Umweltförderungen für den Umstieg auf nachhaltige Heizsysteme erhalten bleiben. 58 Prozent sind für die Förderung von E-Autos. Dass Kürzungen bei zukunftsfähigen Technologien Österreichs Wettbewerbsfähigkeit gefährden, sagen etwas mehr als 60 Prozent. Und rund 78 Prozent finden, dass Investitionen in nachhaltige Technologien in der heimischen Industrie die österreichische Wirtschaft stärken.
Nun gelte es, die richtigen politischen Entscheidungen zu treffen: „Für eine zukunftsfähige Wirtschaft, für Wohlstand, für Wettbewerbsfähigkeit und für Arbeitsplätze vor Ort“, sagt Rogenhofer.
Kreisläufe stärken
Neben der Energiewende wird auch ein zirkuläres Wirtschaftssystem zu einer wirtschaftlichen Notwendigkeit. Aufgrund von Materialknappheit und steigenden Rohstoffpreisen setzen Unternehmen vermehrt aus Eigeninteresse auf Recycling und Ressourceneffizienz. „Kreislaufwirtschaft ist Hausverstand“, bekräftigt Karin Huber-Heim, Präsidentin des Circular Economy Forum Austria: „Und viel mehr als Recycling oder Abfalltrennung. Kreislaufwirtschaft bedeutet eine echte Transformation des gesamten Wirtschaftssystems.“
Kreislaufwirtschaft ist Hausverstand und bedeutet eine echte Transformation des gesamten Wirtschaftssystems.
Karin Huber-Heim
Mit einer zukunftsorientierten Kreislaufwirtschaft könnte Österreich einen echten Mehrwert als Land und Wirtschaftsstandort erzielen und als Innovationsstandort international punkten. Zugleich ließe sich Wertschöpfung im Land behalten, insbesondere in strategisch wichtigen Industrien wie Maschinenbau, Elektronik, Bauwirtschaft, Recyclingtechnologien oder biobasierte Materialien.
„Billige Primärrohstoffe mögen zwar heute noch vorteilhaft erscheinen, langfristig könnten wir aber einen hohen Preis bezahlen“, warnt Huber-Heim. Als Risikofaktoren nennt sie dabei Versorgungsunsicherheiten aufgrund geopolitischer Verwerfungen, erratischer Handelspolitiken, steigender CO2-Preise oder Rohstoffverknappungen. „Und wenn wir uns durch Kurzsichtigkeit solchen Verwerfungen ausliefern, dann schadet das nicht nur unserer Wirtschaft, sondern auch unserer Gesellschaft.“
Gelebte Praxis
Im Climate Lab wird daran gearbeitet, die Transformation Richtung Kreislaufwirtschaft in Österreich zu beschleunigen und Initiativen in diese Richtung anzustoßen, wie Managing Director Gebhard Ottacher erklärt. Eine davon ist zum Beispiel die Gründung der Österreichischen Matratzen Allianz. Anstatt jährlich rund eine Million Matratzen in Österreich zu verbrennen, hat man mithilfe eines Stakeholder-Dialogs Wege gefunden, diese im Kreislauf zu halten. Neben der Ausarbeitung neuer Ökodesign-Kriterien ist auch ein Joint Venture für die erste Matratzen-Recycling-Anlage in Niederösterreich daraus hervorgegangen.
Ebenso praxiserprobt und ein wichtiger Schritt hin zur Energiewende ist das Modell der Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften. Dabei schließen sich mindestens zwei Teilnehmer zur gemeinsamen Produktion und Verwertung von Energie aus erneuerbaren Quellen auf regionaler Ebene zusammen. Raiffeisen forciert und fördert solche Gemeinschaften in der Form von Genossenschaften. Als Vorbild gilt die Nachhaltigkeitsinitiative der RLB Burgenland, die mit 19 Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften nahezu 100 Prozent des Burgenlandes abdeckt.
Katharina Rogenhofer sieht das EEG-Modell als eine wichtige Maßnahme für die Transformation des Energiesystems, aber auch auf gesellschaftlicher Ebene. „Je mehr Menschen sich mit der Energie, die sie selber nutzen, auseinandersetzen, umso größer ist das Verständnis und Bewusstsein für die Ressource. Damit wächst auch der Wille, sich anzupassen und weiterzuentwickeln.“