Im Wechselbad der Gefühle

Einerseits sind die Preise hoch wie nie, andererseits stellt die Ablehnung von Notfallzulassungen für Neonicotinoide den Anbau von Zuckerrüben generell in Frage.

Eine Zuckerrübe vor weißem Hintergrund.
© AGRANA

„Von einem Aufwärtstrend am Zuckermarkt zu sprechen, ist fast untertrieben“, eröffnete Ernst Karpfinger, Präsident des Rübenbauernbundes für Niederösterreich und Wien, die diesjährige Generalversammlung. Die lange Wartezeit auf eine Preiserholung sei endlich vorbei, das Durchhalten der letzten Jahre wurde mit einem in etwa verdoppelten Zuckerrübenpreis für die Ernte 2022 belohnt. „Der Durchschnittspreis wird rund 65 Euro pro Tonne betragen“, kündigte Karpfinger den Funktionären an. Die Marktsituation für die Agrana als Verarbeiter sei gut, man habe auch eine gute Branchenvereinbarung mit teilweise sogar rückwirkenden Anpassungen verhandelt.

Und dennoch war die Stimmung im Raiffeisenforum in Wien alles andere als positiv. Denn seit 19. Jänner ist alles anders. An diesem Tag hat der Europäische Gerichtshof seine Entscheidung veröffentlicht, dass Notfallzulassungen von Neonicotinoiden als Saatgutbeize nicht mehr zulässig sind. Diese waren nach dem grundsätzlichen Verbot der Wirkstoffe im Jahr 2018 ein Ausweg gewesen, um die Pflanzen einigermaßen vor dem Rübenderbrüssler, aber auch vor anderen Schadinsekten wie dem Erdfloh, zu schützen. Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig wollte auch gar keine Hoffnung aufkommen lassen, dass daran – zumindest für heuer – noch etwas zu ändern ist: „Was das Gericht entscheidet, pickt. Österreich und andere Länder werden die EU-Kommission aber weiterhin damit konfrontieren, wie ein Pflanzenanbau dann noch möglich ist.“ Totschnig verwies darauf, dass neben den Zuckerrüben auch die Ölkürbisse von der Entscheidung betroffen sind.

Geförderte Fallen

Totschnig sagte zwei Millionen Euro an Unterstützung für den Einsatz von Pheromonfallen zu. „Wenn wir aber eine einfache Lösung hätten, würden wir sie in großen Lettern veröffentlichen“, so der Minister. Die Landwirtschaftskammern und das Ministerium würden intensiv an Auswegen arbeiten. „Beim Verbot wurde es verabsäumt, die Ausnahmen für die Sondersituation bei den Zuckerrüben abzusichern“, beklagte Ernst Karpfinger. Die letzten Jahre hätten jedoch gezeigt, dass der Schädlingsdruck mit den Mitteln beherrschbar ist. „Es ist auch klar, dass die Neonics im Vergleich zu mehrmaligen Flächenspritzungen mit Insektiziden das geringere Übel sind.“ Das Larvenscreening der Agrana würde jedenfalls ein Schadpotenzial von 15.000 Hektar, in denen die Nachkommen des Schädlings vorhanden sind, ausweisen.

Kontrahiert für den kommenden Anbau sind rund 37.000 Hektar, also beinahe jener Wert, den die Agrana als Ziel für den Erhalt der zweiten Zuckerfabrik in Leopoldsdorf im Marchfeld ausgegeben hat. Wie viel die Landwirte bei nun radikal veränderten Rahmenbedingungen tatsächlich anbauen, ist offen. Die Spitzen des Konzerns ermahnten die Lieferanten aber ebenso wie der Rübenbauernbund, es zumindest zu versuchen. „Wir halten die Entscheidung des EuGH für völlig falsch“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Agrana, Markus Mühleisen. „Jetzt müssen wir ein Signal senden, dass wir den Rübenanbau nicht aufgeben und dafür kämpfen, dass wir Leopoldsdorf nicht schließen müssen.“ Helfen könnten dabei gute Frühjahrsbedingungen und ausreichend Sommerregen.

Gemeinsame Lösungen

Raiffeisen-Generalanwalt und Obmann der Raiffeisen-Holding NÖ-Wien Erwin Hameseder rief dazu auf, in einer schwierigen Phase gemeinsam nach Lösungen für die Zukunft zu suchen. „Nur bei einem Anbau von 38.000 Hektar Zuckerrüben ist eine autonome Versorgung von Österreich möglich. Wenn wir ein Werk schließen müssen, ist das endgültig.“ Viele andere in Europa würden sich aber genau das wünschen. In der jetzigen Situation seien auch Hilfen und Zugeständnisse seitens der Bundesregierung nötig. „Wir dürfen nicht den Kopf in den Sand stecken“, so Hameseder, „denn gerade jetzt sind die Marktbedingungen günstig. Es muss uns gemeinsam gelingen, beide
Fabriken zu erhalten.“