Einerseits werden in Österreich jedes Jahr eine Million Tonnen an genießbaren Lebensmitteln weggeworfen – andererseits leiden im selben Land 1,1 Millionen Menschen an Ernährungsarmut. 400.000 davon sind besonders schwer betroffen, wie eine Studie der Gesundheit Österreich GmbH 2024 zeigt. Solche Menschen lassen Mahlzeiten aus, die Eltern verzichten, damit für die Kinder genug bleibt. Beim interaktiven Dialog gegen Lebensmittelverschwendung, der gemeinsam vom Ökosozialen Forum und der „Tafel Österreich“ organisiert wurde, suchten Vertreter der Lebensmittelbranche nach Lösungsansätzen.
Gamechanger KI-Technologie
Alexandra Gruber weiß als Geschäftsführerin der „Tafel Österreich“ um die Problematik Bescheid: „Wir schlagen in Österreich seit mehr als 25 Jahren die Brücke zwischen Überfluss und Mangel. Wir versuchen den Überfluss, wenn er entsteht, sofort zu den Menschen zu bringen, die es betrifft.“ Der technologische Fortschritt ist dabei eine Art Gamechanger geworden. Dank des „virtual food bankings“, einer Plattform, wo überschüssige Lebensmittel erfasst werden, können diese per Knopfdruck an die Tafel weitergegeben werden. Außerdem versucht Gruber durch Bildungsarbeit an Schulen oder Ausstellungen wie dem „Gewissensbiss“ ein breiteres Bewusstsein in der Bevölkerung zu schaffen.
Denn dass jeder Haushalt im Jahr genießbare Lebensmittel im Wert von 400 bis 800 Euro wegwirft, ist bedenklich. Hier passiert mit 54 Prozent der größte Anteil der Lebensmittelverschwendung. Die Außer-Haus-Verpflegung (Restaurant, Kantine) steht mit 21 Prozent auf Platz zwei, gefolgt von Verarbeitung und Herstellung mit 17 Prozent. Josef Peck von der LGV-Frischgemüse gab hier zu bedenken, dass die grüne Branche auch stark von der Witterung abhängig sei. Wenn es zu einem wetterbedingten Überangebot kommt, versucht man etwa spontan mit verkaufsfördernden Aktionen gegenzuwirken – und am Ende auch Institutionen wie die Tafel zu informieren. Grundsätzlich würden aber in der Obst- und Gemüseproduktion nur sehr wenige Überschüsse bzw. Abfälle produziert.
Haftungsentschärfungen als großer Hebel
Im Handel, der in der Vergangenheit oft an den Pranger gestellt worden ist, was Lebensmittelverschwendung betrifft, konnte man Übermengen stark reduzieren. Es sind vor allem Brot und Gebäck sowie der Frischebereich, der nur wenige Tage im Markt bleiben soll/darf, wo die Herausforderung besonders groß ist, wie Tanja Dietrich-Hübner von der Rewe-Group berichtete. Und auch das Wetter spielt im Supermarkt eine Rolle. Denn das Fleisch für den Samstag wird am Dienstag bestellt. Wenn dann Regentage folgen, werden die Steaks und Würstchen für den Grillabend nicht gekauft. Dietrich-Hübner sieht im Einsatz von KI-gestützter Technologie sowie sehr gut ausgebildeten Mitarbeitern, die das Sortiment gut im Griff haben, einen Lösungsansatz. „Es braucht eine gute Mischung aus Technologie und menschlichem Know-how“, ist sie überzeugt.
Josef Domschitz, stellvertretender Geschäftsführer des Fachverbandes der Nahrungs- und Genussmittelindustrie, hob die Bedeutung der Steuerbefreiung für Lebensmittel hervor, die nicht mehr verkauft werden können, aber noch genießbar sind. Für Firmen, die solche Ware an gemeinnützige Institutionen weitergeben möchten, sei das eine enorme Erleichterung. Laut Studien seien Haftungsentschärfungen der größte Hebel, um Lebensmittelverschwendung zu reduzieren, meinte Alexandra Gruber – und die Aufklärung der Konsumenten. Denn aus Umfragen weiß man, dass etwa viele ein Joghurt wegwerfen, weil das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist. Die Tafel organisiert zu diesem Thema das „Sensoriklabor“, wo die Teilnehmer Produkte blind verkosten und gezielte Informationen zum Thema Haltbarkeit bekommen.