Sorge um den Wohnbau 

Ziviltechniker warnen vor einer drastischen Abnahme der Wohnbau­tätigkeit und wollen Umbau und Sanierung statt Neubau forcieren.

Heftige Kritik an der anhaltenden massiven Bodenversiegelung übt die Kammer der Ziviltech­niker für Wien, Niederösterreich und Burgenland. Nach wie vor werde viel zu viel neu gebaut, anstatt bestehende Infrastruktur zu nutzen. Außerdem gebe es „deutliche Übergewinne bei den Baufirmen, der Verdacht dazu liegt sehr nahe“, bemängelte Präsident Bernhard Sommer. Dies würde in Folge zu einem Gutteil zur Inflation beitragen, so Sommer weiter, und belegt dies wie folgt: In den Jahren von 2015 bis 2020 legten die Preise im Hochbau um 16 Prozent zu, im heurigen zweiten Jahr sogar um gut ein Drittel. Im Tiefbau beträgt das Plus hingegen nur 3,4 Prozent. „Die Branche hat offensichtlich das Interesse am Wohnbau verloren“, monierte der Kammerfunktionär. Seitens der Politik vermisst Sommer die Tatkraft: „Die liefert zurzeit nicht. Ressourcenverbrauch muss teuer werden.“ Zudem regte Sommer eine Abbruchgenehmigung an, diese soll ebenso zum sparsamen Verbrauch von energieintensiven Grundstoffen beitragen. 

Der Neubau von Wohnungen sei völlig erodiert, „es gibt kaum Genehmigungen in der Pipeline. Besonders Mietwohnungen sind von den Preissteigerungen betroffen. Steigende Energiekosten sind nur zum Teil dafür verantwortlich. Höhere Finanzierungskosten, Probleme bei den Lieferketten und der allgegenwärtige Fachkräftemangel tragen ebenso zu den hohen Preisen bei.“ 

In diesem Zusammenhang unterstrich Kammerpräsident Sommer die immer wieder gewünschte Attraktivierung des Lehrberufes. „Ohne topqualifizierte Leute schaffen wir die Sanierung nicht, die Ausbildung war in der Vergangenheit viel zu stark Richtung Industrie geprägt, das Handwerk hat verloren. Ganz grundsätzlich muss Arbeit billiger und Material teurer werden – erst dann ändert sich etwas.“

Bei den Rahmenbedingungen holte Sommer einerseits Richtung gemeinwohl- und genossenschaftlicher Modelle aus, andererseits brauche es neue Rahmenbedingungen bei den Ausschreibungsverfahren. Würden mehr Kleinbetriebe und mittelständische Unternehmen zum Zug kommen, könnten die Baukosten deutlich gesenkt werden. „Darüber hinaus gehören unsanierte Wohnungen rein in den Richtwert“, betont Sommer. 

Ruf nach Paradigmenwechsel

Architektin Ulrike Schartner, Vorsitzende des neugegründeten Kammer-Ausschusses für Wohnbau und Leistbarkeit, ließ mit einer Reihe von klaren wie pointierten Forderungen aufhorchen. „Wir wissen immer noch nicht, wie hoch der Leerbestand bei Wohnungen ist“, zeigte sich Schartner irritiert. „Es braucht einen Paradigmenwechsel weg vom Neubau hin zu Umbau und Sanierung, sonst erreichen wir die Klimaziele niemals.“ Zu sehr drastischen und radikalen Maßnahmen wie die Beschlagnahme von leerstehenden Wohnungen in Amsterdam will Schartner dann noch nicht greifen. „Doch abseits des familieninternen Wohnungsbesitzes muss die Abgabe für Leerstand so richtig weh tun.“ Verschärft wird die Lage hier erneut, weil der Föderalismus in Österreich zum Beispiel eine klare Festlegung des Begriffs „Leerstand“ verunmögliche. 

Für die Ziviltechnikerin ist der „Traum vom Einfamilienhaus ausgeträumt, Wohnen wird sich weiterentwickeln müssen, gerade Covid hat gezeigt, was die Ressource Wohnraum alles können muss. Auch hier muss mit Nachverdichtung, gerade im urbanen Raum, gearbeitet werden. Die Studenten auf den Unis sind am Zahn der Zeit, die denken da schon sehr weit, viele in der Branche tun es nicht.“ 

Gefragt, welche Baustoffe künftig an Bedeutung gewinnen, bzw. verlieren werden, sagt Schartl: „Alle, die viel CO₂ verursachen, viele Ressourcen verbrauchen, werden verlieren, alle Baustoffe, die aus nachwachsenden Quellen stammen und gut erneuerbar sind, werden stark zulegen.“ 

AusgabeRZ41-2023

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