Digitaler Euro: Mehr Risiken als Nutzen

Der renommierte Ökonom Peter Bofinger äußert große Bedenken gegenüber dem digitalen Euro und warnt vor dessen Einführung.

Noch bevor das Projekt „Digitaler Euro“ von der Prüfungs- in eine Vorbereitungsphase gehoben wurde, gibt es laute Bedenken zur neuen digitalen Währung. Der deutsche Ökonom Peter Bofinger kommt in einer aktuellen Analyse des geplanten Projekts zu dem klaren Schluss: „Weg mit dem digitalen Euro! Das geht in die falsche Richtung.“ Die Einführung des digitalen Euro könne sogar verhindern, dass man auf günstigere und bereits bestehende Alternativen wie etwa die „European Payment Initiative“ zurückgreift. 

Die Bundessparte Banken und Versicherung in der Wirtschaftskammer (WKÖ) hat Peter Bofinger und Thomas Haas von der Universität Würzburg mit einem Gutachten zum digitalen Euro beauftragt. Bofinger fasst die Studienergebnisse kurz zusammen: „Der Nutzen des digitalen Euro ist kaum erkennbar, die Kosten sind hoch und die Risiken nicht gering.“

Vorteile sind unklar 

Die EZB begibt sich mit dem digitalen Euro in ein Geschäftsfeld, das bisher rein privat von Banken und Zahlungsdienstleistern betrieben wurde. „Aus ordnungspolitischer Sicht lässt sich das nur rechtfertigen, wenn man ein Marktversagen identifiziert“, betont Bofinger und das sei nicht der Fall. Die EZB versuche deshalb auch, den digitalen Euro mit makroökonomischen Argumenten zu begründen: Bei sinkender Bargeldnutzung werde der digitale Euro als „monetärer Anker“ für die Funktionsfähigkeit des Zahlungssystems, für Finanzstabilität und das Vertrauen in die Währung benötigt. Der Ökonom kontert: „Für die Verankerung des Finanzsystems reicht es völlig aus, wenn die Geschäftsbanken Guthaben bei den Notenbanken halten, dafür braucht es keinen digitalen Euro.“

Prof. Peter Bofinger
Peter Bofinger © Picturedesk.com/Visum/Stefan Boness

Dass die EZB Schwierigkeiten hat, die Notwendigkeit des Projekts zu rechtfertigen, zeigt sich für Bofinger auch darin, dass es bis dato keine überzeugenden Anwendungsfälle für den digitalen Euro gibt – weder online, noch in der Offline-Nutzung. Bei der Online-Version sollen die EU-Bürger ein Parallelkonto bei ihrer Geschäftsbank eröffnen, wo das Guthaben direkt bei der EZB gehalten wird. „Die Vorteile so eines Parallelkontos sind schwer zu erkennen“, so der Experte. Die Obergrenze des Parallelkontos wird derzeit mit 3.000 Euro beziffert, bei Geschäftsbanken sind bis zu 100.000 Euro von der Einlagensicherung gedeckt. Weder bei der Sicherheit, noch bei der Anonymität seien Vorteile des digitalen Euro zu erkennen. Die Einlagen beim digitalen Euro-Konto bringen auch keine Zinsen. Der Nutzer müsste allerdings genau darauf achten, dass er bei seinem herkömmlichen Konto nicht ins Minus rutscht – denn es ist eine Übertragung der Gelder nach einem „Wasserfallprinzip“ angedacht. Bei der Offline-Version soll man sich ein digitales Euro-Guthaben auf eine digitale Geldbörse im Smartphone oder einer Karte laden können. Auch in der Offline-Nutzung bleiben die Vorteile gegenüber physischem Bargeld für Bofinger verborgen. 

Erhebliche Kosten

So unklar der Nutzen ist, so klar sind die Kostensteigerungen. „Wir sehen erhebliche Kosten für den digitalen Euro und die komplett neue Zahlungsinfrastruktur. Den größten Teil der Kosten müssten die Banken tragen, da sie das Eröffnen und das Führen des Pa­rallelkontos kostenlos zur Verfügung stellen sollen“, erklärt Bofinger. Er bezeichnet diese Situation als absurd und vergleicht: „Es ist, als würde man einen Bäcker verpflichten, neben seinem Angebot an Semmeln, kostenlose Euro-Semmeln anzubieten, weil der Verzehr von Semmeln ein Grundrecht darstellt.“ Als Bank müsse man also selbst eine Konkurrenz kostenlos zur Verfügung stellen. Hinzu komme, dass sich durch die Übertragung der Sichtguthaben auf das digitale Euro-Konto die Refinanzierung von Banken verteuern würde. „Diese Kostenbelastung für Banken wird wohl dazu führen, dass Unternehmen und Privatpersonen höhere Zinsen für ihre Kredite bezahlen müssen“, prognostiziert Bofinger. 

Wer die Zahlungsinfrastruktur übernimmt, darüber habe sich die EZB noch wenig Gedanken gemacht. Sie gehe davon aus, dass die Transaktionen von privaten Zahlungsdienstleistern wahrgenommen werden. Bofinger befürchtet, dass der digitale Euro die ohnehin dominanten US-Zahlungsplattformen wie Visa, Mastercard oder PayPal somit weiter stärkt.

Der Experte bezweifelt auch, dass sich die Transaktionskosten für die Handelsbetriebe verbilligen, wenn sich die Anzahl der Transaktionen wie angenommen verdreifachen sollte. Ein weiteres Indiz: „Die Tatsache, dass die EZB und die EU-Kommission den Handel zwingen wollen, den digitalen Euro anzunehmen, zeigt schon, dass es kein attraktives System ist.“

Neue Risiken

Als zusätzliche Schwachstelle identifizieren Peter Bofinger und Thomas Haas die Tatsache, dass in der von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Regulierung keine verbindliche Obergrenze für das Halten von digitalen Euros vorgesehen ist. Wenn die Regulierung so angenommen würde, kann die EZB jederzeit die Grenze nach oben setzen oder sie völlig aufheben. „Ohne Obergrenze besteht die Gefahr, dass Guthaben über 100.000 Euro, die zu Wertspeicher-Zwecken gehalten werden, von den Geschäftsbanken auf die EZB übertragen werden. Die Banken würden damit größere Teile ihrer Refinanzierung verlieren“, warnt Bofinger. Ohne Obergrenze bestünde auch das Risiko von digitalen Bank Runs, die – wie der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank gezeigt hat – erhebliche Risiken für die Finanzstabilität bergen. Aber auch eine niedrige Obergrenze könne zu Instabilität führen, so der Ökonom. 

Attraktive Alternative

Als Alternative zum digitalen Euro sehen Bofinger und Haas Systeme mit QR-Code, die Zahlungsanweisungen an die Bank des Zahlenden geben und somit keine Zahlungsdienstleister benötigen. Als Vorbild für die European Payments Initiative (EPI), die derzeit versucht, ein elektronisches Zahlungssystem für ganz Europa zu entwickeln, dient Giropay in Deutschland, Twint in der Schweiz oder Pix aus Brasilien. Im Gegensatz zum digitalen Euro könne man dafür bestehende Infrastrukturen nutzen. Zudem wäre der Verbreitungsbereich mit der gesamten EU sowie der Schweiz und dem Vereinigten Königreich deutlich größer als beim digitalen Euro. „Die Idee, die monetäre Souveränität Europas zu stärken, ist gut und politisch wichtig, aber der digitale Euro ist nicht die richtige Lösung“, resümiert Bofinger. 

Die Bundessparte Banken und Versicherung sieht in dem 50-seitigen Gutachten einen qualifizierten Diskussionsbeitrag. „Eine derart weitgehende europäische Weichenstellung wie die Einführung eines digitalen Euro braucht klare Antworten auf die vielen offenen Fragen“, betont Spartenobmann Willi Cernko und unterstreicht: „Die technische Lösung ist das eine, aber eine umfassende gesellschaftliche Akzeptanz und das Wissen über Vor- und Nachteile und den Nutzen für uns alle, diese Diskussion wollen wir fördern.“ Auch Johannes Rehulka, Generalsekretär des Österreichischen Raiffeisenverbandes und Geschäftsführer des Fachverbandes der Raiffeisenbanken, betont: „Mit diesem Gutachten wollen wir einen Beitrag zu einer offenen Diskussion über die Vor- und Nachteile eines digitalen Euro leisten. Solange die entscheidenden Fragen nicht geklärt sind, kann auch der Gesetzgeber kein grünes Licht für dieses weitreichende Projekt geben.“

Österreichs Finanzminister Magnus Brunner sieht beim digitalen Euro ebenfalls noch viele offene Fragen: „Die Risiken in Hinblick auf die Stabilität des Finanzsystems dürfen nicht außer Acht gelassen werden. Auch der Schutz persönlicher Daten und der Privatsphäre der Bürger haben oberste Priorität.“ Bis diese Fragen geklärt sind, werde Österreich bei seiner skeptischen Haltung bleiben, so der Finanzminister.

AusgabeRZ42-2023

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