Kleider machen Leute, wird immer wieder behauptet. Bei den Sportschützen könnte man sogar noch einen Schritt weiter gehen und sagen: Kleider machen Sieger. Denn ob man es als Außenstehender glaubt oder nicht: Das Gewand kann bei den Präzisions-Athleten darüber entscheiden, ob man von einem Wettkampf mit einer Medaille nach Hause fährt – oder den Stockerl-Platz in den Wind schießen kann. „Die Kleidung ist eine Wissenschaft für sich, unterliegt, wie bei den Skispringern, einem ganz strengen Reglement“, sagt Martin Strempfl. Und der muss es wissen, schließlich ist der Vorzeige-Schütze des SV Feistritztal, der seit seiner Gründung Ende der 1990er-Jahre von der Raiffeisenbank Pischelsdorf-Stubenberg unterstützt wird, der Weltranglistenerste bei den Luftgewehr-Schützen. Und seit Jahren Österreichs bester Mann im Kampf um die Ringe, die es in dieser Sportart einzusammeln gilt.
Im März 2024 wurde der Steirer Dritter bei den Europameisterschaften in Ungarn, seine erste Einzelmedaille bei Großveranstaltungen überhaupt. Doch nach diesem Erfolg beschlich ihn das Gefühl, dass sein Anzug, der ihm viele Jahre treue Dienste geleistet hatte, vielleicht nicht mehr bis zu den Olympischen Spielen in Paris halten könnte. „Ohne eine perfekt sitzende Kleidung könnte ich nicht so gut schießen“, erklärt der 39-Jährige. Also entschied er sich, das Gewand zu wechseln, auch, um im Notfall eine Backup-Variante parat zu haben. „Ich bin gerade dabei, den neuen Anzug einzuschießen. Wenn ich aber merke, dass er nicht zu 100 Prozent passt, kann ich vor Olympia noch auf meinen alten Anzug zurückgreifen, den ich ja jetzt schone“, schildert Strempfl seine Strategie. Ein nachvollziehbarer Ansatz. Und ein Zeichen, dass es bei der Kleidung eben längst nicht nur um Äußerlichkeiten geht.
Teilnahme noch nicht fix
Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass Martin Strempfl noch gar nicht offiziell für die Spiele in Paris nominiert ist. Was für einen Weltranglistenersten maximal merkwürdig klingt. Das wäre ja so, als ob Novak Đoković noch um seine Teilnahme am olympischen Tennis-Turnier zittern müsste. „Na ja, ganz so wichtig wie beim Tennis ist bei uns die Weltrangliste nicht, obwohl ich schon sehr stolz auf diese Platzierung bin“, sagt Strempfl mit einem Schmunzeln. „Es ist nur so, dass ich zwar den Quotenplatz für Österreich geholt habe. Wer diesen am Ende bekommt, entscheiden die Trainer nach dem letzten Weltcup Ende Mai in München.“ Es wäre wohl ein Schuss ins Knie, wenn es sich dabei nicht um den vierfachen Familienvater aus Gersdorf handeln würde. Oder wie der selbst sagt: „Es schaut schon ganz gut aus.“
Für Strempfl spricht außerdem, dass er mit Olympia schon seine Erfahrungen gemacht hat. Er war 2021 in Tokio dabei, als die „Corona-Spiele“ unter strengsten Sicherheitsauflagen durchgeführt wurden und längst nicht das Flair bieten konnten, das sonst von den Athleten über alle Maßen geschätzt wird. Ein Wermutstropfen für ihn? „Nein, nicht wirklich. Ich war heilfroh, dass die Spiele überhaupt stattfinden konnten, das war ja lange nicht gewiss. Und ein großes Lob an die Veranstalter, das Ganze unter diesen Bedingungen so durchzuziehen.“
„Kann mit Elite mithalten“
Sportlich holte er bei seiner Premiere Rang 13, verpasste das Finale ganz knapp um nur 2,2 Ringe. Und das trotz einer starken Leistung, mit der er bei anderen Wettkämpfen sogar um einen Stockerl-Platz gekämpft hätte. „Ich habe in Japan gesehen, dass ich mit der Elite mithalten kann und mich nicht verstecken brauche. Das war auch ein Teil der Motivation, einen neuen Anlauf für 2024 in Paris zu nehmen.“
Dort ist für ihn die Final-Teilnahme der besten acht Schützen das Ziel – wie bei jedem Wettkampf, zu dem er antritt. Genau der richtige Schuss Optimismus, den es braucht, um Erfolge einfahren zu können. „Das Besondere bei Olympia ist das Drumherum. Wenn es an den Schießstand geht, ist es ein Turnier wie jedes andere auch. Deswegen weiß ich: Wenn es mir gelingt, meine Leistung an dem Tag abzurufen, kann ich es ins Finale schaffen.“
Wobei zur Wahrheit auch gehört, dass die Leistungsdichte bei den Top-Schützen außerordentlich hoch ist. Die 20 besten Athleten der Welt, glaubt Martin Strempfl, würden alle in etwa gleich gut schießen. Weswegen auch bei Weltcups immer wieder verschiedene Gesichter in den finalen Durchgängen auftauchen, kaum jemand gesetzt ist. Und bei Olympia noch der Druck dazu kommt, genau dann abzuliefern, wenn die ganze Welt zuschaut. „Eins weiß ich genau: In Paris wird nicht derjenige gewinnen, der am besten schießen kann. Sondern der, der in dieser Ausnahmesituation sein Potenzial abrufen kann. Das ist die Herausforderung.“
Permanentes Lernen
Eine, der sich Strempfl gerne stellt. Doch wie lange er das noch tun möchte, steht in den Sternen. Schon vor den Spielen in Tokio hat er über ein Karriereende nachgedacht. Doch die Erkenntnis, immer noch voll motiviert zu sein und sich vor allem immer noch verbessern zu können, hat ihn zum Weitermachen animiert. „Ich merke, dass ich mit meiner Entwicklung noch nicht fertig bin und finde ganz oft Ansätze, wo ich noch etwas herausholen kann. Ich lerne permanent dazu.“
Andererseits fällt es dem Mann, der während der Spiele seinen 40. Geburtstag feiert, immer schwerer, seine Familie für Wettkämpfe und Trainingseinheiten auf dem ganzen Erdball zu verlassen. So wie beispielsweise Ende letzten Jahres, als er eine Woche lang in Peking mit der chinesischen Nationalmannschaft üben durfte. „Wir haben vier Kinder, sind vor zweieinhalb Jahren nochmal Eltern von Zwillingen geworden. Ohne die Rückendeckung der ganzen Familie wäre es überhaupt nicht möglich, den Sport auf diesem Niveau auszuüben“, sagt er. Wozu explizit auch sein Vater August gehört, der bis heute sein Heim-Trainer und eine der wichtigsten Bezugspersonen in Sachen Schießsport ist.
Wie es nach Olympia wirklich mit dem Heeressportler weitergeht, lässt er auf sich zukommen. „Ich weiß gar nicht, was mich mehr motivieren würde weiterzumachen“, sagt er. „Ein gutes Abschneiden, das man bestätigen möchte? Oder ein nicht so gutes Abschneiden, das man gutmachen will? Warten wir es ab.“ Eine Entscheidung, die alles andere als eine Kleinigkeit ist. Wobei es schwer vorstellbar scheint, dass ein so leidenschaftlicher Athlet wie Martin Strempfl den Schießanzug für immer an die Garderobe hängt.