Die Raiffeisen Nachhaltigkeits-Initiative ist 2007 als Klimaschutz-Initiative gegründet worden und war bis 2011 beim Österreichischen Raiffeisenverband (ÖRV) angesiedelt, ist dann in die Raiffeisen Bank International gewandert und seit dem Vorjahr nun wieder beim ÖRV. Warum hat man die RNI zurückgeholt?
Johannes Rehulka: Wir haben uns ganz bewusst dazu entschieden, weil der ÖRV sämtliche Sparten abbildet. Die RNI hat in den vergangenen 17 Jahren wertvolle Arbeit geleistet, gerade als das Thema Nachhaltigkeit bei den Banken noch in den Kinderschuhen gesteckt ist. Unsere Aufgabe ist es nun, die Leistungen unserer Mitglieder stärker zu kommunizieren und bei Zukunftsfragen gemeinsam voranzuschreiten.
Robert Pichler: Der Rahmen hat sich verändert. Mittlerweile haben alle Mitgliedsorganisationen im Bereich Nachhaltigkeit Maßstäbe gesetzt. Alle beschäftigen sich zum Beispiel mit Taxonomie und Nachhaltigkeitsberichterstattung, deshalb war es logisch, dass sich auch die Arbeit der RNI weiterentwickelt. Im ÖRV können beispielsweise Synergien mit der Interessensvertretung, dem Raiffeisen Campus, der Revision und der Kommunikation besser genutzt werden.
Wenn jedes RNI-Mitgliedsunternehmen bereits Nachhaltigkeitsabteilungen hat, wozu braucht es die RNI?
Pichler: Nachhaltigkeit erfordert eine Vernetzung des Handelns und der Verantwortung über den eigenen Bereich hinaus. Der Raiffeisensektor ist mit Banken, Versicherungen bis hin zu Unternehmen im Lebensmittelbereich einzigartig und sehr breit aufgestellt. Es ist hilfreich, dass sich die Mitglieder austauschen, gemeinsame Fragestellungen bearbeiten und voneinander lernen. In den vergangenen Jahren hat sich der regulatorische Rahmen massiv weiterentwickelt, ein strukturierter Austausch ist ein enormer Vorteil.
Hätte man die RNI nicht vor 17 Jahren gegründet, müsste man sie heute gründen?
Rehulka: Dann wäre es schon zu spät. Es war damals eine sehr vorausschauende Entscheidung, diese Initiative zu gründen. Sie hat uns die Möglichkeit geschaffen, jetzt so gut vorbereitet in diese neue Welt einzutreten – wo die Regulatorik verschärft wird, wo aber auch Mitarbeitende, Kunden und Stakeholder einen immer höheren Anspruch im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit entwickeln.
Sehen das die RNI-Mitglieder genauso?
Pichler: Wir haben in der neuen Aufstellung bereits mehrere Austauschrunden gehabt und das Feedback ist ein sehr gutes. Jetzt liegt es an uns zu überzeugen, dass diese Plattform auch künftig einen Mehrwert für die Mitglieder und schließlich damit auch für die Kunden und die Gesellschaft generieren kann. Die RNI wird sich natürlich weiterentwickeln, weil sich auch die gesamte Thematik weiterentwickelt. Daran arbeiten wir kontinuierlich.
Wie intensiv ist der Austausch unter den Mitgliedern?
Pichler: Alle beschäftigen sich momentan intensiv mit der Umsetzung der Regulatorik. Aber Nachhaltigkeit ist auch ein Thema, das tief in Raiffeisen verwurzelt ist. Nachhaltigkeit gehört zu unserem Selbstverständnis. Der Austausch hilft, dass nicht jeder die gleichen Probleme für sich selber lösen muss. Wir wollen die Aktivitäten bündeln und auch in der Kommunikation stärker auftreten und zeigen, wie nachhaltig Raiffeisen ist. Der Austausch findet über verschiedene Formate und derzeit drei Arbeitskreissitzungen im Jahr sowie über Vorstandssitzungen und Generalversammlung statt.
Was kann die Ware von den Banken lernen oder umgekehrt?
Pichler: Beim jüngsten Arbeitskreis wurde ganz spezifisch über die neue Lieferkettenrichtlinie gesprochen. Das ist ein gutes Beispiel, bei dem es die Vernetzung über alle Sektoren und den Informationsaustausch über die Aktivitätskette braucht. Hier kann man voneinander profitieren, denn letztendlich sind alle Mitglieder direkt oder zumindest indirekt davon betroffen.
„Nachhaltigkeit ist viel mehr als die Umsetzung von regulatorischen Anforderungen.“
Johannes Rehulka
Die regulatorischen Anforderungen im Bereich Nachhaltigkeit werden immer strenger. Der ÖRV tritt häufig gegen eine Überregulierung auf. Wie sehr kommt man jetzt in einen Gewissenskonflikt?
Rehulka: Überhaupt nicht. Nachhaltigkeit ist viel mehr als nur die Umsetzung von regulatorischen Anforderungen. Es geht um ein Zukunftsthema, das leider momentan in der öffentlichen Diskussion falsch diskutiert wird. Wenn Leute das Wort Nachhaltigkeit hören, schrecken viele bereits zurück, weil sie sich nur noch vor neuen Verboten fürchten. Genau diesen Zugang muss man ablegen. Bereits in den 1980er-Jahren wurde in Österreich die Idee der Ökosozialen Marktwirtschaft geboren. Wir wollen Nachhaltigkeit in der wirtschaftlichen Tätigkeit, im sozialen Bereich und im ökologischen Teil sicherstellen. Da passiert sehr viel bei Raiffeisen und das wollen wir stärker zeigen. Und auf der anderen Seite wollen wir ganz bewusst Zukunftsthemen gemeinsam abstimmen und weiterentwickeln.
2024 ist das erste Jahr, in dem größere Unternehmen verpflichtend eingebettet im Geschäftsbericht über Nachhaltigkeit berichten müssen. Wie kann die RNI hier helfen?
Pichler: Es hat viele Auslegungsfragen gegeben. ÖRV und RNI haben unter der Federführung von Alexander Schiebel ein Beratungsprojekt aufgezogen, wo Mitglieder ganz gezielt Auslegungsfragen stellen können, die einheitlich beantwortet wurden. Ein spartenübergreifendes Projekt dieser Art hat es im ÖRV noch nie gegeben. Es wird jetzt auch ein Handbuch zu diesem komplexen Themenfeld ausgearbeitet. Der ÖRV ist hier die Schnittstelle zu den nationalen und europäischen Gremien, bringt von dort den Blickwinkel mit ein. Und es geht natürlich auch darum, die Interessen und auch die Erfahrungen der Unternehmen in der Umsetzung Richtung Politik und Verwaltung zurückzuspielen. Die Interessenvertretung gewinnt immer mehr an Bedeutung.
Raiffeisen hat Nachhaltigkeit in den Genen. Wie schwierig ist es, weiterhin als Vorreiter aufzutreten, ohne dabei an Wettbewerbsfähigkeit einzubüßen?
Rehulka: Wer, wenn nicht Raiffeisen steht für die Transformation der Wirtschaft? Wir stehen seit unseren Gründungstagen für nachhaltiges und wirtschaftliches Handeln – keine Gewinnmaximierung, sondern die Erträge werden vor Ort wieder reinvestiert, da profitieren alle davon. In Wahrheit leisten wir bereits durch unsere regionale Tätigkeit einen sehr starken Beitrag für die Ökologisierung, denn dadurch werden etwa sehr viele Transportwege vermieden. Darüber hinaus ist es natürlich notwendig, sich immer weiterzuentwickeln. Wir wollen nie stehenbleiben, sondern den Weg weitergehen und proaktiv gestalten.
Derzeit gibt es 22 RNI-Mitglieder. Ist es angedacht, die Gruppe zu vergrößern?
Pichler: Zunächst ist es wichtig, wieder gemeinsam in einen guten Arbeitsmodus zu kommen und die richtigen Akzente zu setzen. Wir werden mit guter Arbeit überzeugen, damit alle Mitglieder und Unternehmen, die es noch werden wollen, den Mehrwert sehen.
Ende 2023 wurden Sie als neues Führungsduo vorgestellt. Mit welchen Ideen sind Sie angetreten und wie viel Veränderung darf man sich erwarten?
Rehulka: Zunächst einmal gibt es kein Abgrenzen von früher. Wir wollen die wertvolle Arbeit, die bereits geleistet wurde, fortsetzen. Das Zielbild für uns ist, das Gemeinsame voranzustellen, Impulse für die Zukunftsthemen zu setzen und die Kommunikation nach außen zu verstärken.
Wie soll die RNI denn in Zukunft von innen und von außen wahrgenommen werden?
Rehulka: Wir wollen hin zu einer gesamthaften Ausrichtung, die unserem Anspruch entspricht. Nachhaltigkeit umfasst auch den wirtschaftlichen Aspekt und – gerade für Raiffeisen besonders relevant – auch soziale Themen wie die Diversität. Da passiert viel, etwa mit der neuen Diversitätsstrategie der Raiffeisen-Bankengruppe. Die verschiedenen Aspekte von Nachhaltigkeit wollen wir viel stärker einbringen. Raiffeisen kommt aus der Mitte der Gesellschaft und deshalb wollen wir, was in der Gesellschaft als fortschrittlich, dynamisch und modern gilt, auch bei uns umsetzen.
Pichler: Nach innen ist es unser Ziel, dass wenn jemand von Raiffeisen eine Information zu Nachhaltigkeitsthemen braucht, wir als Ansprechpartner und Vernetzungsstelle wahrgenommen werden.
Wie und welche Themen sollen nach außen kommuniziert werden?
Pichler: Wir haben seit kurzem einen LinkedIn-Kanal, auf dem wir die Breite der RNI und die Nachhaltigkeitsaktivitäten der Mitglieder kommunizieren und darstellen werden. Für alle Nachhaltigkeitsinteressierten gibt es jetzt einen Kanal, wo man sich informieren kann und von wo man dann auch zu den einzelnen Mitgliedern weitergeleitet wird.
Will man die Marke RNI wieder präsenter machen?
Pichler: Nein, wir sind eine Dienstleistungsplattform für die Mitglieder, die zeigt, was und wie viel im Sektor passiert. Wir wollen die Nachhaltigkeitsaktivitäten der Mitglieder in der Kommunikation verstärken und gebündelt informieren.
„Die ökosoziale Marktwirtschaft ist schon immer das Prinzip, das mich antreibt.
Robert Pichler
Wie kann Raiffeisen mitwirken, dass die Kunden nachhaltiger werden?
Pichler: Ein Beispiel aus dem Agrarbereich: Wir haben hier gemeinsam mit dem Landwirtschaftsministerium und der Landwirtschaftskammer ein Projekt gestartet, das Antworten geben soll, wie Nachhaltigkeitsdaten entlang der Lieferkette zur Verfügung gestellt werden können. Das führt natürlich dazu, dass sich diese Einrichtungen gemeinsam mit den Themen wie Möglichkeiten zur Treibhausgasreduktion auseinandersetzen. In dieser gemeinsamen Arbeit entstehen Lösungsansätze mit den Partnern entlang der Lebensmittelkette. Ein weiteres Beispiel ist der heurige Bundeskongress Transformation und Nachhaltigkeit, zu dem auch Firmenkunden eingeladen sind.
Herr Rehulka, Sie haben Mitte April 2024 den RNI-Vorstandsvorsitz von Franz Fischler übernommen, der die RNI nachhaltig geprägt hat. Wie werden Sie diese Rolle ausleben?
Rehulka: Meine Rolle ist ganz klar darauf ausgerichtet, dass Nachhaltigkeit von allen Beteiligten als Riesenchance gesehen wird, sich weiterzuentwickeln. Das ist auch der Anspruch an mich selber. Wir wollen gestalten – in allen Aspekten der Nachhaltigkeit.
Wie sehr brennen Sie für nachhaltige Themen?
Pichler: Die ökosoziale Marktwirtschaft – Ökologie, Ökonomie und Soziales im Einklang – ist schon immer das Prinzip, das mich antreibt.
Rehulka: Sehr viel tut sich im Sektor beim Thema Governance. Vor zehn Jahren haben wir beispielsweise den Funktionärinnen-Beirat gegründet, damals mit einem Anteil von 8 Prozent in den Banken, mittlerweile sind wir bei über 22 Prozent. Es ist schön zu sehen, dass man mit solchen Initiativen wirklich weiterkommt und etwas bewirken kann. Mir sind generell sämtliche Bereiche der Diversität wie Jugend und Inklusion ein großes Anliegen.