Die New York Sun hat einmal über Sie geschrieben: Elīna Garanča besitzt einfach alles: Musikalität, Technik, Stimme, Selbstvertrauen, Intelligenz, Wandlungsfähigkeit und das Aussehen eines Filmstars. Welche sind für Sie persönlich die Schlüsselfaktoren Ihres Erfolges?
Elīna Garanča: Disziplin, Hartnäckigkeit und Geduld, würde ich sagen. Aber ich glaube, Disziplin ist ein Hauptschlüssel, egal in welchem Betrieb oder in welcher Profession. Ich glaube, dass man erfolgreich sein kann, wenn man einfach gewisse Regeln auch für sich selbst einhalten kann.
Sie sind in Lettland in einer Künstlerfamilie aufgewachsen, haben aber auch viel Zeit auf dem Bauernhof Ihrer Großeltern verbracht. Wie haben Sie die Kontraste Ihrer Kindheit geprägt?
Garanča: Bodenständigkeit ist mir wichtig – und nicht über die Kleinigkeiten zu jammern. Und ich nehme mich selbst nicht so wichtig. Was ich tue, ist wunderschön, aber das sind ein paar Stunden am Tag, für den Rest lebe ich ein ganz normales Leben – soweit es geht. Man hat Erfolg, und man hat auch Niederlagen, und es geht nicht darum, wie man diese Niederlagen zu Hause beweint, sondern wie man aufsteht und wieder weitergeht.
Alle freuen sich auf „Klassik unter Sternen“, ein Herzensprojekt von Ihnen. Worauf dürfen sich die Besucher freuen? Welche Höhepunkte wird es 2025 geben?
Garanča: Es wird jedes Jahr schwieriger. Zum Glück gibt es immer wieder große Komponisten, die Jubiläen feiern und uns inspirieren. Der König aller Walzer, Johann Strauss, feiert 2025 runden Geburtstag, und das würden wir gerne nächstes Jahr als Thematik für das Programm nehmen. Da ich auch Mezzosopran bin, darf ich mit diesen Stimmlagen spielen. Ich war nie gegen Operette, die Leute mögen so eine Musik. Sehr viele Komponisten sind durch den Walzer beeinflusst worden, immer wieder schwingt ein Tanz in der Musik mit. Mein Mann arbeitet gerade intensiv am Programm. Wir suchen jetzt auch nach Sängern, die dabei sein werden. Das genaue Repertoire wird dann im April bekannt gegeben, aber Strauss wird nächstes Jahr auf jeden Fall ein großes Thema sein.
Ihr Ehemann, der Dirigent Karel Mark Chichon, ist der künstlerische Leiter. Wie kann man sich die Zusammenarbeit vorstellen, wenn man sich so gut kennt?
Garanča: Es ist auf jeden Fall eine Entlastung, weil er weiß am Morgen schon, wie ich am Abend sein werde. Wir sind jetzt fast 25 Jahre zusammen und haben schon alles erlebt, da weiß man, wenn der andere Raum und Ruhe braucht. Das tut sehr gut. Und wenn wir einmal Meinungsverschiedenheiten haben, dann sind wir Profis genug, um das auf der Konzertbühne beiseite zu legen. Denn wir haben auch eine Verantwortung, wir haben den Ehrgeiz und Stolz, als Musiker das Beste zu geben.
Sie fördern mit dem Projekt „Zukunftsstimmen“ junge Talente, die auch Gäste bei Klassik unter Sternen sind. Wie schwierig ist es für junge Künstler Fuß zu fassen, wo liegen die Herausforderungen?
Garanča: Das ist immer schwieriger, tatsächlich. Gott sei Dank muss ich jetzt nicht neu beginnen. Von einem Sänger wird heutzutage sehr schnell sehr viel verlangt. Er soll gleich in das große Repertoire einsteigen, ist aber weder stimmlich noch mental oder physisch darauf vorbereitet. Außerdem gibt es heute kein Konzert und keine Vorstellung, die nicht gleich auf Facebook oder Instagram steht, alles wird gestreamt.
Sehen Sie die Kommunikation über Social Media also eher kritisch?
Garanča: Man versucht natürlich, das Publikum zu locken, aber ich glaube, man vergibt dadurch auch viel von der Neugier und der Spannung – dieses Ungewisse vor einer Premiere geht verloren. Schon Tage vorher kann jeder sehen, was und wie es sein wird, man verliert diesen Zauber der Premiere. Trotzdem ist die Breitenwirksamkeit für viele sehr verlockend, sie wollen sofort durchstarten. Dabei verbrennen aber auch viele. Deswegen glaube ich, dass Disziplin und Geduld das A und O für einen langfristigen Erfolg sind.
Ihre Töchter sind jetzt zehn und dreizehn Jahre alt. Wie sieht es mit dem Interesse für klassische Musik aus?
Garanča: Wir haben versucht, sie zwangsweise mit Klavier zu beschäftigen. Zweieinhalb Jahre haben wir geschafft, und ich glaube, sie haben jeden Tag gehasst. Irgendwann musste ich dann kapitulieren. Aber ich merke, dass beide den Drang und Zwang haben, auf die Bühne zu gehen, in welcher Art auch immer. Die Kleine will Popstar werden, wie Ariana Grande oder Adele, die sie auch täglich zu Hause spielt. Die große Tochter will zur Zeit Kinoschauspielerin werden, geht auf eine Schauspielschule und lernt Monologe. Und beide waren im Mai in Los Angeles und sagen, dass sie dort leben und arbeiten werden. Ob das jetzt mit 13 und mit 10 tatsächlich die Lebensentscheidung ist, weiß ich nicht. Mein Mann und ich sind aber sehr froh, dass sie nicht in die Klassik gehen wollen.
Warum möchten Sie nicht, dass Ihre Kinder in Ihre Fußstapfen treten?
Garanča: Meine Mutter war auch Sängerin und hat mir damals abgeraten. Sie war in Lettland sehr berühmt, aber Lettland ist sehr klein. Als ich begonnen habe, wurde ich von der ersten Stunde an mit ihr verglichen. Ich glaube, es ist wichtig für Kinder, selbstständig sagen zu können „ich bin ich“ – und nicht die Tochter von …
Sie leben in Riga, Málaga und Wien. Was sind die Vorzüge von verschiedenen Lebensmittelpunkten, und wo fühlen sie sich am meisten zu Hause?
Garanča: Je älter ich werde, desto mehr zieht es mich nach Lettland. Dort sind meine Wurzeln, meine Freunde, die mich seit 40 Jahren kennen. Aber da ich so viel unterwegs bin, bin ich nirgendwo so richtig zu Hause. Wien war immer meine Traumstadt und ist es weiter geblieben, die Staatsoper ist mein Stammhaus, und hier habe ich auch sehr viele Jahre gelebt. In Spanien ist es warm und sonnig. Jedes Land hat seine eigenen Gerüche oder Geschmäcker, wie unser Roggenbrot in Lettland, der Flieder, der im Mai blüht oder das Johannisfest im Juni. Und so schöne Sommer, wie in Lettland, gibt es sonst nirgendwo.
Sie haben schon so viele Rollen verkörpert. Haben Sie eine persönliche Lieblingsfigur?
Garanča: Das sind mehrere. Ich hab eine Zeit lang wahnsinnig gerne Buben gespielt, weil ich groß und schlank war und dieses Androgyne hatte. Es war einfach etwas Anderes, das habe ich sehr genossen. Dann die Carmen, ich als große Blonde mit blauen Augen aus dem Norden, was weiß ich denn von Temperament. Zu beweisen, dass auch wir Temperament haben, hat mir wahnsinnig viel Spaß gemacht. Vom dramatischen Repertoire war meine Lieblingspartie immer Amneris, weil sie rein musikalisch und psychologisch so eine unglaubliche Reise macht. Die Aida von Verdi ist eine meiner Lieblingsopern, das war für mich ein Kindheitstraum. Am meisten identifiziere ich mich mit Santuzza aus Cavalleria rusticana, weil ich glaube, dass Moral, was richtig und falsch ist, nicht aus Stolz, sondern aus der wahren Überzeugung der Liebe, mir am besten liegt. Aber ich muss auch ehrlich sagen, ich habe all diese Jahre so viel gelernt – ich genieße es, dass ich jetzt nur langsam eine Partie in zwei Jahren dazufügen und ohne Druck genießen kann.
Haben Sie vor einem Auftritt noch Lampenfieber?
Garanča: Ja, ich glaube, das kann man nicht loswerden, und ich glaube, das ist auch ein Teil des Künstlerseins. In dem Moment, wo wir nichts mehr spüren, können wir auch nichts mehr rüberbringen.