Drohen durch das EU-Mercosur-Abkommen bald Billig-Importe nach Österreich zu strömen, oder stellt das Abkommen in Zeiten globaler Unsicherheiten, geprägt von geopolitischen Konflikten und Handelskriegen, eine dringend benötigte Stärkung für die angeschlagene Wettbewerbsfähigkeit und Exportwirtschaft dar? Das von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen unterzeichnete Abkommen mit den südamerikanischen Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay ist nach wie vor umstritten. Bedenken etlicher EU-Staaten wie Frankreich, Italien, Polen und auch Österreich konnten vorab nicht ausgeräumt werden. Vor allem seitens der Landwirtschaft kommt massive Kritik am Abkommen.
Von der Leyen sieht in der Grundsatzeinigung der Kommission mit den Mercosur-Ländern, die aus einer Freihandelsvereinbarung und einer politischen Kooperation besteht, jedenfalls einen „historischen Meilenstein“ und einen „Gewinn für Europa“.
Mit dem Deal entsteht die größte Freihandelszone der Welt, die mehr als 700 Millionen Menschen umfasst. Die vier Mercosur-Länder bilden mit einem jährlichen Bruttoinlandsprodukt von 2,2 Billionen Euro die fünftgrößte Wirtschaftsregion der Welt. Im vergangenen Jahr importierten sie aus der EU Waren im Wert von 55,7 Mrd. Euro, in umgekehrter Richtung betrug das Exportvolumen 53,7 Mrd. Euro. Insgesamt könnten nach EU-Angaben 60.500 europäische Unternehmen profitieren. Aus Österreich sind 1.400 Unternehmen mit 232 Niederlassungen in diesen vier Ländern aktiv.
Auch Raiffeisen Research beurteilt die Nettoeffekte aus dem Mercosur-Abkommen – trotz Gegenwind für die Landwirtschaft – für Österreich „eher positiv“: Die Auswirkungen auf die EU-Landwirtschaft könnten zwar substanziell sein und daher sei eine Zustimmung von Frankreich und Italien nicht gegeben. Für die europäische Industrie und Deutschland könnte die Unterzeichnung jedoch Vorteile bringen, was für den Industriestandort Österreich positiv sein könnte, fasst der Leiter von Raiffeisen Research, Gunter Deuber, zusammen.
Strategische Chance
Mit dem Freihandelsabkommen verfolgt die EU sowohl wirtschaftliche als auch geostrategische Ziele. Einerseits sollen europäische Unternehmen davon profitieren, ihre Produkte kostengünstiger in die Mercosur-Staaten zu exportieren oder von Importen aus Südamerika zu profitieren. Andererseits zielt das Abkommen darauf ab, die Abhängigkeit von China und den USA zu verringern und die Handelsbeziehungen zu anderen Weltregionen zu stärken.
Die EU ist der erste Handelspartner, der mit den Mercosur-Staaten ein Wirtschaftsabkommen abschließt, was Europas Exporteuren einen wichtigen Wettbewerbsvorteil – von Zollabbau bis besseren Marktchancen – bringt und nach Angaben der Industriellenvereinigung (IV) zu einer Steigerung europäischer Exporte in den Mercosur-Raum um bis zu 68 Prozent im Laufe von 12 Jahren führen könnte. Der bisherige EU-Handel mit der Mercosur-Region sichert laut IV allein in Österreich 32.000 Arbeitsplätze.
Das Abkommen soll bei vollständiger Umsetzung eine Zollersparnis für EU-Exporteure in der Höhe von 4 Mrd. Euro pro Jahr bewirken. 91 Prozent der Zölle für europäische Exporte nach Mercosur werden im Laufe einer Übergangszeit von 15 Jahren aufgehoben. Vor allem bei Fahrzeugen (35 Prozent), Kfz-Teilen (14 bis 18 Prozent) und Maschinen (14 und 20 Prozent) gelten derzeit hohe Zölle. Zudem werde der Zugang zu neuen Rohstoffquellen wie Lithium, seltene Erden und anderen strategischen Ressourcen für die Energiewende erleichtert.
Grüne Wende
Beide Vertragspartner haben sich explizit verpflichtet, Arbeitnehmer- und Umweltschutzstandards vollständig zu erhalten sowie das Pariser Klimaabkommen effektiv umzusetzen, das unter anderem Brasilien verpflichtet, verstärkt gegen illegale Rodungen im Regenwald vorzugehen. Neben den spürbaren Vorteilen für den internationalen Handel weist auch die Wirtschaftskammer Österreich in einer ersten Bewertung auf die klimapolitische Dimension des Abkommens hin: „Das EU-Mercosur-Abkommen bietet eine historische Möglichkeit, die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Südamerika und Europa zu vertiefen und in geopolitisch unsicheren Zeiten ein starkes Zeichen der Zusammenarbeit zu setzen. Gleichzeitig ist die Sicherung von Rohstoffen und Vormaterialien, beispielsweise für Windkraft- und Solaranlagen, essenziell für die grüne Wende. Ohne Mercosur-Abkommen fehlt uns ein zentraler Zugang zu diesen strategischen Ressourcen“, so der WKO-Generalsekretär Karlheinz Kopf.
Vor diesem Hintergrund sei eine kluge Handelspolitik, die sowohl wirtschaftliche Interessen als auch ökologische Standards in den Mittelpunkt stellt, unerlässlich. Durch den Abbau von Zöllen, weniger Bürokratie und den Zugang zu öffentlichen Beschaffungsmärkten in den Mercosur-Staaten könnten EU-Unternehmen einen klaren Wettbewerbsvorteil gegenüber Konkurrenten aus anderen Regionen erzielen. Gleichzeitig sei die heimische Landwirtschaft durch begrenzte Zollkontingente – insbesondere in sensiblen Bereichen – geschützt.
Starker Gegenwind
Ganz anders sehen das Agrarpolitiker und Bauernvertreter quer durch Europa. Österreichs Landwirte befürchten nicht nur steigenden Marktdruck etwa bei Zucker. Vor allem die Rinderbauern haben Sorge, dass Europa mit billigem Rindfleisch überschwemmt wird. So erklärt Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig in einer ersten Stellungnahme: „Derzeit liegen seitens der EU-Kommission noch keine schriftlichen Informationen über die Inhalte vor. Diese gilt es abzuwarten, um eine seriöse Bewertung vornehmen zu können.“ Österreichs Position sei aber klar und unverändert. Es gelte weiterhin ein rechtlich bindender Beschluss des Nationalrats gegen das Mercosur-Abkommen, so Totschnig: „Wir bekennen uns zu einer ökosozialen Marktwirtschaft und zur Förderung der österreichischen Exportwirtschaft. Aber unsere landwirtschaftliche Produktion in Europa durch immer höhere Standards einzuschränken und gleichzeitig internationale Handelsabkommen alter Schule abzuschließen – das passt nicht zusammen.“ Auch für den Freihandel brauche es faire Regeln.
Auch Landwirtschaftskammer Österreich-Präsident Josef Moosbrugger äußert sich zum Mercosur-Handelspakt klar kritisch: „Das Abkommen konterkariert unsere Bestrebungen zur Absicherung unserer regionalen Familienlandwirtschaft, Eigenversorgung sowie von Klima- und Umweltschutz. Es wird daher keinesfalls von uns unterstützt.“ Es könne nicht sein, dass die europäischen Institutionen unseren bäuerlichen Familienbetrieben ständig noch höhere Produktionsstandards vorschreiben, gleichzeitig aber die Grenzen für Importe ohne vergleichbare Vorgaben geöffnet würden.
Bauernbundpräsident Georg Strasser kündigte eine gemeinsame Blockade des Bauernbundes mit anderen EU-Ländern gegen das Abkommen an. „Europäische Standards bei Qualität, Tierwohl und Umwelt müssen auch für Importe gelten“, fordert Strasser. Das Mercosur-Abkommen lasse jedoch wesentliche Aspekte zur nachhaltigen Entwicklung von Agrar- und Lebensmittelsystemen vermissen. Große Mengen an Billig-Fleisch könnten den EU-Markt überschwemmen und heimische Betriebe unter massiven Preisdruck setzen. In Österreich spiele die Rinderwirtschaft eine zentrale Rolle. Ein Rückgang der Rinderhaltung und der Almwirtschaft würde nicht nur die heimische Kulturlandschaft, sondern auch die Artenvielfalt und den Tourismus beeinträchtigen.
Bevor das Abkommen in Kraft treten kann, müssen im EU-Rat alle 27 Mitgliedsstaaten dem Pakt zustimmen. Zustimmen muss in jedem Fall auch das EU-Parlament. Erwartet wird die Abstimmung darüber nicht vor dem Sommer 2025.