„Alles ist möglich und nichts ist fix“, sagt Martin Schaller, Generaldirektor der Raiffeisen-Landesbank Steiermark, angesichts der Rahmenbedingungen des aktuellen Weltwirtschaftsgeschehens. Ob globale Krisen, geopolitische Spannungen oder technologische Umbrüche – alles Umstände, die ein Wiedererstarken der heimischen Wirtschaft deutlich erschweren.
„Seit dem ersten Quartal 2020 befindet sich Österreich in einem Stagnationsregime“, erklärt Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung (IV) Österreich, und bekräftigt: „Wir brauchen einen positiven wirtschaftspolitischen Schock, um dieses Stagnationsregime zu verlassen.“ Aussitzen lasse sich diese Problematik längst nicht mehr: „Wenn wir nicht endlich einen fundamentalen wirtschaftspolitischen Kurswechsel in diesem Land einschlagen, dann werden wir uns ad infinitum in diesem Stagnationsregime befinden – Handeln ist imperativ!“
Ohne Neuausrichtung hätte man es im europäischen Regionenvergleich in zehn bis 15 Jahren mit einer völligen Umkehr der Verhältnisse zu tun, weiß Helmenstein: „Die westeuropäischen Länder werden von den meisten osteuropäischen Ländern auf der rechten Spur überholt werden. Weil dort Unternehmertum noch in anderer Weise möglich ist und die Bereitschaft und der unbedingte Wille sich Wohlstand aufzubauen, besteht.“
Talsohle in Sicht
Es gibt aber „minimal positive“ Aussichten, so Helmenstein: „Die längste Industrierezession der österreichischen Nachkriegsgeschichte kommt an ihr Ende.“ Das IV-Konjunkturbarometer steigt auf +1,8 Punkte – und liegt damit zum ersten Mal seit Mitte 2023 wieder über der Nulllinie. Die Talsohle kommt in Sicht.“ Dieser Vorzeichenwechsel sei ein statistisches Lebenszeichen der Industrie, für einen Aufschwung brauche es jedoch einen wirtschaftspolitischen Befreiungsschlag bei der Belastung der Unternehmen. Ohne gezielte Impulse werde die Rezession lediglich von einer „prolongierten konjunkturellen Seitwärtsbewegung“ abgelöst werden. „Österreich ist überreguliert und viel zu bürokratisch. Das kostet enorm viel Geld, schwächt die Wettbewerbsfähigkeit und verhindert so manche Innovation in den Unternehmen“, unterstreicht RLB-Generaldirektor Schaller.
Ein weiterhin lähmender Faktor sei die Entwicklung am Arbeitsmarkt: „Wir haben immer mehr Menschen in diesem Land, die immer weniger pro Kopf arbeiten. Es ist atemberaubend, was wir uns an Wohlstand in Österreich dadurch entgehen haben lassen: Unsere gemeinsame Wirtschaftsleistung wäre 5 Prozent höher, wenn wir genauso viel arbeiten würden pro Kopf wie im Jahr 2019“, rechnet Helmenstein vor. Die Teilzeitquote ist kontinuierlich angestiegen: „Aber was wir jetzt erleben, ist eine geradezu absurde Übertreibung dieses Phänomens“, kommentiert der Ökonom. So arbeiten in Österreich seit 2022 erstmals mehr Frauen in Teilzeit als in Vollzeit. „Das bedeutet, wir lassen uns nach wie vor enorme Einkommenspotenziale entgehen.“
Digitale Dividende
Welchen Beitrag Digitalisierung und Künstliche Intelligenz (KI) beim Bewältigen der Herausforderungen leisten können, wurde ebenso berechnet: Dabei zeigt sich, dass hochgradig digitalisierte Unternehmen durchschnittlich 2,2 Prozentpunkte mehr Umsatzwachstum pro Jahr erzielen, so Helmenstein: „Und diese digitale Dividende, die fällt in jeder Dimension an: beim Umsatzwachstum, Lohnwachstum, Beschäftigungswachstum. Alle profitieren davon, selbstverständlich auch der Staat, denn diese Unternehmen haben eine viel höhere Steuerdynamik.“ Deshalb müsse es absolut im staatlichen Interesse liegen, dazu beizutragen, dass heimische Unternehmen schnellstmöglich digitalisieren. „Die heimischen Betriebe sind jedenfalls bereit, mehr in Innovation zu investieren und Digitalisierung zu gestalten. Allerdings braucht es dazu ein wirtschaftsfreundlicheres Umfeld“, pflichtet auch Schaller bei.
Zudem liege laut Helmenstein im konsequenten Einsatz Künstlicher Intelligenz ein enormes volkswirtschaftliches Potenzial: „Wir gewinnen 2,24 Milliarden Arbeitsstunden pro Jahr in Österreich allein. Es wäre, als hätte man neben einer Vollzeitarbeitskraft eine weitere im Ausmaß von 30 Prozent Beschäftigung sitzen.“ Das führt den Berechnungen zufolge auch zu zusätzlicher Wertschöpfung. Würde man heute alleine die aktuellen Möglichkeiten der KI komplett ausschöpfen, wären in zehn Jahren mehr als 30 Prozent Zuwachs möglich. Geht man davon aus, dass sich die Technologien noch weiterentwickeln und verbessern werden, „dann werden wir noch größere Produktivitätszuwächse und noch mehr Wohlstandszuwachs erreichen können“, ist der IV-Chefökonom überzeugt.
KI-nderschuhe
Allerdings hinken österreichische Unternehmen beim KI-Einsatz hinterher. Das zeigt auch der „AI Readiness Check“ von EY Austria. Demzufolge setzt erst ein Drittel der großen Unternehmen in Österreich KI ein, der Rest wartet ab oder arbeitet an Plänen. Auch die Anwendungsfälle sind eher simpel gehalten, so nutzen vier von zehn Unternehmen KI aktuell im Kundenservice, speziell für Chatbots. 58 Prozent der befragten Führungskräfte geben an, überhaupt noch keine KI-Strategie und klar definierte Ziele diesbezüglich zu haben. „In vielen Betrieben steckt KI noch in den Kinderschuhen, das volle Potenzial wird kaum genutzt“, heißt es seitens EY. Speziell für die Industrie gebe es für die Produktion zahlreiche Anwendungsfälle, die sich auch mit geringeren Budgets umsetzen lassen und großen Mehrwert erzielen. Allerdings werde in Österreich das Potenzial leider noch unterschätzt, so das Resümee.
Als wesentlichen Grund dafür sieht Helmenstein ganz einfach die fehlende Kompetenz: „Das ist der Auftrag an unsere Kindergärten, Schulen und Hochschulen, dass wir dafür sorgen, dass die fehlende Expertise überwunden wird.“ Zuerst braucht es das Know-how, erst danach kommen die Kosten für die Anfangsinvestitionen und die rechtliche Unsicherheit, so Helmenstein und bekräftigt: „Die Probleme liegen bei der Kompetenz, nicht bei der Akzeptanz.“
Wertvolle Potenziale
Wie und wo KI bereits erfolgreich bei heimischen Unternehmen eingesetzt wird, veranschaulichten Ariane Pfleger, Vorstandsdirektorin für Transformation der RLB Steiermark, David Cemernek, Deputy Vice President of Corporate IT und Head of Digital & Data bei AT & S, Gunther Glawar, CIO bei AVL List, sowie Matthias Traub, COO bei Invenium Data Insights, in einem Impulsgespräch.
KI und Digitalisierung spielen bei der RLB Steiermark bereits eine große Rolle, sagt Pfleger: „Wir sehen darin wertvolle Potenziale, etwa bei der Automatisierung interner Prozesse, der Vermeidung von Geldwäsche oder der Betrugserkennung im Zahlungsverkehr. Wir nehmen aber keinem den Arbeitsplatz weg, wir kompensieren Felder, die keiner mehr machen möchte.“ Besonderen Wert legt man bei Raiffeisen auf einen verantwortungsvollen Einsatz der neuen Technologien.
Die Automatisierung repetitiver Aufgaben durch KI wird auch bei AT & S und AVL List vorangetrieben. Unabdingbar bei der Einführung neuer Technologien sei die Kommunikation und Schulung der Mitarbeitenden, weiß David Cemernek. Damit einher geht die Kompetenz, Ergebnisse der KI richtig einzuordnen, sagt Matthias Traub. Vor allem, weil vieles ohne KI in Zukunft nicht mehr machbar ist, wie Gunther Glawar unterstreicht.