Herr Katzmair, bei Raiffeisen sind wir gerade dabei, eine Initiative zur verstärkten Gewinnung junger Funktionäre zu starten. Welche Aufgaben haben Netzwerke?
Harald Katzmair: Um relevante Trends und Veränderung rechtzeitig mitzubekommen, ist die Wahrnehmungsfähigkeit von Unternehmen über ihre Netzwerke von zentraler Bedeutung. Dazu ist es wichtig, Informationen einzuordnen, Schlüsse daraus abzuleiten und Entscheidungen zu treffen. Und bei allen diesen Schritten spielen Netzwerke als Fühler in die Welt eine entscheidende Rolle.
Was braucht es dafür?
Katzmair: Die Fähigkeit, Beziehungen aufzubauen, und die Kultur, die damit verbunden ist. Sie sind wichtiger, als die Ziele, die sich ein Unternehmen setzt. Im Fokus steht, wie wir miteinander umgehen und wofür wir uns Applaus geben wollen. Wenn die Beziehungen zu Mitarbeitern, zu Kunden, aber auch anderen Stakeholdern sowie die Unternehmenskultur passen, dann erfolgt der Erfolg quasi von alleine.
Wann sind Netzwerke besonders gefordert?
Katzmair: Sie haben einen entscheidenden Einfluss, wie wir mit positiven, aber auch negativen Überraschungen umgehen. Wie schnell kann eine Organisation Gelegenheiten und Chancen nutzen oder sich auf negative Entwicklungen einstellen. Wenn Netzwerke solche Fähigkeiten rasch auf den Boden bringen, stärkt das insgesamt die Resilienz.
Wie sehen Sie Raiffeisen beim Thema Netzwerk aufgestellt?
Katzmair: Schon aufgrund seiner maßgeblichen wirtschaftlichen Bedeutung für Österreich ist Raiffeisen in allen wesentlichen Netzwerken im Land präsent. Zudem sind Genossenschaften aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte extrem beziehungsorientiert. Das ist gewissermaßen in der DNA verankert. Insgesamt steht aber die Beziehungskultur heutzutage zunehmend im Spannungsfeld mit Effizienz-und Regulatorik-Anforderungen. Umso wichtiger ist es, sich dieser Beziehungskultur bewusst zu werden, an ihr zu arbeiten und diese auch immer wieder zu erneuern. Gerade junge Verantwortungsträger müssen lebendig und vital bleiben.
Wie schätzen Sie die Bedeutung von Netzwerken für junge Entscheidungsträger generell ein?
Katzmair: Gerade für die junge Generation ist es wichtig, relevante Informationen zu bekommen, um Entwicklungen besser zu verstehen und verarbeiten zu können. Wir alle sind davon abhängig, dass diese zeitlose Notwendigkeit in unseren Netzwerken funktioniert, um erfolgreich zu sein. Jede Generation läuft früher oder später in ähnliche Probleme hinein. Man sagt, die Generationen wären so unterschiedlich, aber da bin ich mir nicht so sicher.
Sind die Jungen mit der heutigen Social-Media-Kultur nicht ganz anders informiert?
Katzmair: Dort erhalten sie Feedback, erarbeiten sich ihren Status und bekommen Anerkennung, Informationen und vieles mehr. Aber wenn es wirklich darauf ankommt, sind es die sozialen Netzwerke, die einem bei beruflichen und privaten Entscheidungen Orientierung geben? Da bin ich mir nicht so sicher. Mentoren, Berater und Freunde sind hier oft die besseren Ratgeber. Die sozialen Medien haben eine Peergroup-Kultur entstehen lassen, bei der im Wesentlichen Gleichaltrige Gleichaltrige nachahmen. Das kann bis zu einem gewissen Level gut gehen, aber die Welt ist viel komplexer als TikTok. Umso wichtiger ist es, diese Peergroup-Kultur auf beiden Seiten – sowohl in der älteren als auch in der jüngeren Generation – zu durchbrechen, um voneinander zu lernen.
„Dezentrale Strukturen sind oft fluch und segen zugleich, aber meist mehr Segen.“
Harald Katzmair
Welche Chancen bieten Netzwerke für dezentrale Organisationen?
Katzmair: Dezentrale Strukturen sind oft Fluch und Segen zugleich, aber meist mehr Segen. Dezentralität ist in unserer komplexen Welt ein Zukunftsmodell – gerade vor dem ökologischen Hintergrund gewinnen regionale Wertschöpfungskreisläufe stark an Bedeutung. Die spannende Herausforderung ist, was organisiere ich dezentral und was zentral. Die dezentrale Aufstellung ermöglicht es, sehr nah an relevanten Informationen und Beziehungen etwa der verschiedenen Stakeholdern zu sein und viele verschiedene Erfahrungen zu machen. Auch wenn es in dezentralen Organisationen mehr Widersprüche gibt als in Top-Down-Teams, machen diese die Organisation letztendlich robuster. Zentrale Ansätze können dagegen sinnvolle Synergien heben, wie dies beim Raiffeisen Campus der Fall ist. Dort wird das Wissen für die gesamte Organisation gebündelt, weiterentwickelt und zur Verfügung gestellt.
Was müssen Netzwerke in der Unternehmensführung leisten?
Katzmair: Sie sind für den Informationsfluss wichtig, aber auch für die Identität des Unternehmens. In der Interaktion mit den Mitarbeitern, den Zulieferern und den Kunden wird das Unternehmen jeden Tag neu erschaffen. Damit Netzwerke erfolgreich sind, müssen sie produktiv und wertschöpfend sein, aber auch als wertvoll wahrgenommen werden. Es geht also darum, wie viel Nutzen generieren wir und ist das, was wir machen, auch sinnvoll. Erst dann können Wert und Werte im und für das Unternehmen geschaffen werden -oder eben nicht!
Welche negativen Auswirkungen beobachten Sie?
Katzmair: Es gibt zwei Extreme: Einerseits verlieren Netzwerke ihre Funktion, Fühler in die Welt zu sein, wenn sie sich abschließen und damit blind werden. Und andererseits wirken sie kontraproduktiv, wenn die Beziehungen toxisch werden, und sich eine Konfliktkultur jeder gegen jeden entwickelt. Dann wird nicht mehr gelernt und die Organisation wird als Ganzes geschwächt.
Und wie steht es um den Benefit für die erfahreneren Führungskräfte im Austausch mit jungen Nachwuchskräften?
Katzmair: Es ist extrem wichtig, sich mit Jüngeren zu beschäftigten, um aus der Sicht der eigenen Generation auszubrechen und die Sensoren für künftige Herausforderungen nicht zu verlieren. Dazu kommt, dass man ab einem gewissen Alter die Verpflichtung verspürt, etwas an die jüngeren Generationen weiterzugeben. Beides ermöglicht es, die Erneuerung von Netzwerken rechtzeitig und qualitativ vorzubereiten und diese letztendlich agil und vital zu halten.
Raiffeisen will nun die „Generation next“ noch stärker einbinden. Worauf sollte man dabei achten?
Katzmair: Es geht um eine offene Begegnung, bei der man neugierig auf den anderen zugeht, ihm auch Fragen stellt und einlädt, an Prozessen teilzunehmen. Dabei ist es wichtig, Unterschiede zu akzeptieren und die Beziehung in einem gemeinsamen Ansinnen zu verankern, um ein qualitatives Miteinander zu leben.