Der Lungau ist der kleinste Bezirk im Land Salzburg und mit Abstand am dünnsten besiedelt. Rund 20.000 Einwohner leben auf der knapp über 1.000 Quadratkilometer großen Talschaft hinter den Tauern. Als einziger Salzburger Bezirk verzeichnete der Lungau in den vergangenen zehn Jahren sinkende Einwohnerzahlen. Abwanderung und Strukturschwäche prägen den Lungau.
Die sinkenden Einwohnerzahlen musste auch die Raiffeisenbank Lungau verkraften. Die Bank hat in den vergangenen Jahren die Zahl der „bemannten“ Bankstellen von zehn auf vier reduziert, aber gleichzeitig die regionale Wertschöpfung verbessert. Wie neue Genossenschaften eine Region wieder zum Aufblühen bringen können, das hat Wolfgang Pfeifenberger, Obmann der Raiffeisenbank Lungau, einer Gruppe von Spitzenfunktionären aus Salzburger Raiffeisenbanken bei einer Exkursion gezeigt.
Mehr als eine Bank
Ein gutes Beispiel, wie Genossenschaften wirtschaftliche Kompetenz mit sozialer Verantwortung vereinen, ist die „Ackerbox“ in Unternberg. In der Gemeinde mit knapp 1.000 Einwohnern wandelte die Raiffeisenbank eine Bankstelle zum örtlichen Treffpunkt um. „Wir haben der Bevölkerung damals gesagt: ‚Die Bank ist nicht weg, sondern mehr geworden.‘“, erinnert Pfeifenberger an die anfängliche Überzeugungsarbeit. Die SB-Zone der Bank wurde mit einem Nahversorger, der im Ort gefehlt hat, kombiniert.
Die Ackerbox ist nun knapp zwei Jahre in Betrieb und wird gut angenommen, wie beim Lokalaugenschein deutlich wird. Kinder stehen Schlange für ein regionales Eis aus der Selbstbedienung. „Wir zählen zwischen 160 und 170 Kunden täglich, die im Schnitt um 10 Euro einkaufen. Wir sind also auch umsatztechnisch sehr zufrieden“, erklärt Hans Lüftenegger, Betreiber der Ackerbox und Obmann der Genossenschaft Regiomarkt Lungau. Er ist überzeugt, dass man gemeinsam als starke Dorfgenossenschaft aktuelle Herausforderungen angehen muss, die von der Gemeinde allein nicht bewältigt werden können.


Regionales Grundkonzept
Der 24/7-Nahversorger in Selbstbedienung wird von der Genossenschaft Regiomarkt Lungau in Zusammenarbeit mit der myAcker GmbH betrieben. Der Markt läuft so gut, dass man momentan am Ausbau arbeitet. 30 Quadratmeter Fläche in der ehemaligen Bankstelle kommen hinzu, um noch mehr Produkte listen zu können. Dabei wird darauf geachtet, dass die Mehrzahl der Produkte im Umkreis von 35 Kilometern erzeugt werden – angezeigt wird die Entfernung auf den elektronischen Preisschildern.
Für die technologische Umsetzung ist myAcker aus Kärnten zuständig, die Firma ist weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. In 142 Ländern wird die technologische Lösung in Selbstbedienungsmärkten eingesetzt. Auch im neuen Raiffeisen-Quartier Raiqa in Innsbruck werden drei Geschäfte mit dem System ausgestattet, wie Geschäftsführer Christoph Raunig berichtet: „Wir leben den regionalen Grundgedanken, denn jeder Euro bleibt in der Region.“ Und Selbstbedienung sei in Zeiten von Personalmangel auch ein Thema, dabei steht für Raunig außer Zweifel: „Für die Interaktion von Menschen braucht es nicht unbedingt Mitarbeiter, sondern entscheidend sind Standort, Sortiment und Liebe.“ Die Ackerbox in Unternberg ist heute jedenfalls beliebter Treffpunkt im Ort und zählt aktuell 40 Genossenschaftsmitglieder.
Die Ackerbox ist für Hannes Hettegger, Revisionsleiter des Raiffeisenverbandes Salzburg, ein Musterbeispiel, dass Genossenschaften wirtschaftliche Kompetenz mit sozialer Verantwortung vereinen: „Die Nahversorgung wurde hier charmant mit einer Genossenschaft gelöst.“
Energie aus der Region
Ebenso charmant ist die Energie Lungau, eine genossenschaftliche Energiegemeinschaft, die bei ihrer Gründung im Oktober 2023 die größte EEG Österreichs war. Die Energiegenossenschaft umfasst heute 427 Mitglieder – vom Unternehmer, Bergbahnen, Gemeinden und vielen Privatpersonen –, 822 Zählpunkte und sieben Wasserkraftwerke mit einer Engpassleistung von 2.908 Kilowatt. Unterstützt wird die Genossenschaft von Raiffeisen. Der Obmann der Raiffeisenbank Lungau, Wolfgang Pfeifenberger, erklärt: „Die landwirtschaftliche Direktvermarktung von Energie ist für den Strombedarf der Bevölkerung wichtig geworden.“
Die Ersparnisse für einen Haushaltskunden mit 3.000 kWh-Verbrauch im Jahr liegt aktuell bei rund 240 Euro. Die Netznutzungsentgelte sind um 28 Prozent niedriger. Insgesamt bleiben durch die Energiegemeinschaft rund eine Million Euro in der Region rechnet Thomas Rest, Vorstandsmitglied der Energie Lungau, vor, Tendenz steigend. Ziel sind 12 Millionen Euro im Jahr 2029 an regionaler Wertschöpfung durch die Energiegenossenschaft.
Ende September wird die Energie Lungau um eine 2 Hektar große Agri-PV-Anlage erweitert, darunter grasen im Sommer Lämmer von Obmann-Stellvertreter Stefan Krist. 2.100 Module wurden aufgestellt, in einer Ost-West-Ausrichtung, angepasst an den Peakstromverbrauch in der Region. Die Genehmigungen haben ein Jahr gedauert, die Errichtung rund eine Million Euro gekostet. Die Anlage wurde auf einer früheren Aushubdeponie installiert und ist nahezu uneinsehbar für die Bevölkerung. Die PV-Anlage sei eine gute Ergänzung zur Wasserkraft, wie Stefan Krist betont: „Bei der Energieversorgung geht es um Netzstabilität, momentan sind wir noch sehr wasserlastig.“ Als Herausforderung bezeichnet Krist auch die Stromspeicherung, „weil gerade im Winter, wo der Strombedarf höher ist, scheint weniger die Sonne“.
Für eine optimale Energieversorgung sind Daten entscheidend. Momentan gibt es Tagesstromanalysen, allerdings nicht in Echtzeit, sondern zwei Tage verspätet. Neue Geräte, wie der Smongle, sollen in Zukunft Echtzeitdaten zum Energiestatus liefern. Als nächsten Schritt will die Energiegenossenschaft auch Großspeichermodule integrieren und Reststrommengen vermarkten.


Mehrwert für Fleischwaren
Genossenschaften sind aber nicht nur als Nah- und Energieversorger erfolgreich, sondern auch in der landwirtschaftlichen Direktvermarktung von Fleischwaren – die übrigens auch in der Ackerbox gelistet sind. Roswitha Prodinger erinnert sich schmerzlich an die Ausgangslage: „Steilflächen in Ramingstein wurden nicht mehr gemäht. Viele Bauern haben ans Aufhören gedacht, weil die Produktpreise im Keller waren.“ Eine Lösung musste gefunden werden, die mehr Wertschöpfung für die kleinstrukturierte Landwirtschaft bringt, um auch die nächste Generation an Bauern zu halten und zu begeistern. Prodinger, damals Seminarbäuerin, startet 2016 eine regionale Kochschule, das Lungauer Kochwerk, um über das Kochen die Wertschätzung für regionale Produkte und deren Erzeuger zu steigern. Finanziell unterstützt wurde die Idee von der Raiffeisenbank Lungau und als Leader-Region Biosphärenpark Lungau konnte man zusätzliche EU-Gelder lukrieren.
Das Lungauer Kochwerk sollte auch die Zusammenführung von Konsumenten und Verarbeitern forcieren und tatsächlich ist die Nachfrage nach regionalen Produkten deutlich gestiegen. Anfangs war die „Lungauer Speis“ nur ein virtuelles Nachschlageverzeichnis von Produzenten, doch bald entwickelte sich daraus eine reale Marke, unter der Rechtsform der Genossenschaft. Die Produzenten-Genossenschaft zählt heute 97 Mitglieder, die Erzeugnisse in jede Lungauer Fleischbank liefern will.
Die Vorteile für die Mitglieder der Lungauer Landwirtschaftsgenossenschaft – für einen Geschäftsanteil in der Höhe von 350 Euro – sind mannigfaltig: Bei der Lieferung von Rindern gibt es einen „Lungau Zuschlag“, kürzere Transportwege bedeuten mehr Tierwohl, es gibt eine Abnahme-Vermarktungsgarantie für Schafe sowie Schweine und die Vermarktung übernimmt die Genossenschaft. Im Jahr 2022 wurden noch 30,5 Schweine geschlachtet und vermarktet, im Vorjahr waren es bereits 111 Tiere. Auch die Zahl der Rinder ist von 25 auf 52,5 gestiegen und die Zahl der Lämmer von 38 auf 74 Stück. Insgesamt wurden im Vorjahr 251 Tiere in der Landwirtschaftsschule Tamsweg geschlachtet und anschließend als Lungauer Speis vermarktet. Die Qualitätsprodukte wissen nicht nur die Einkäufer im Hofladen zu schätzen, sondern auch immer mehr Tourismusbetriebe. Heuer will man die Lungauer Speis verstärkt in die Tourismusgebiete Obertauern und Katschberg bringen und den Produktversand um die berühmte Lungauer Bratwurst ausweiten. „Wir haben gelernt, jede Gelegenheit, die sich bietet, wahrzunehmen und mit viel Herzblut zum Erfolg zu bringen“, sagt Prodinger sichtlich stolz.
Zukunft braucht Herkunft
Organisiert wurde die Bildungsreise in den Lungau von der Spitzenfunktionärsvereinigung unter dem Titel „Genossenschaften neu denken“. „Ziel war es, Genossenschaften zu besuchen, die mit Innovationsgeist und regionaler Verankerung nachhaltige Impulse setzen“, erklärt Anna Doblhofer-Bachleitner, Geschäftsleiterin des Raiffeisenverbandes Salzburg (RVS). Die Exkursion soll Inspiration für andere Regionen sein. „Wir sind stolz auf diese Genossenschaften, die zeigen, wie unternehmerischer Geist, regionale Wertschöpfung und Innovationskraft die Zukunft einer Region gestalten können“, resümiert Doblhofer-Bachleitner.
Für RVS-Obmann Erich Zauner ist der Lungau ein Vorzeigebezirk für Genossenschaften, von dem man vieles lernen könne: „Wir befinden uns momentan mitten in einem Strategieprozess, wo es auch um das Thema Genossenschaft der Zukunft geht. Ich habe heute viele Gedanken mitgenommen. Man muss nicht alles neu erfinden, sondern sollte sich auch auf seine Wurzeln besinnen.“ Der Obmann ist überzeugt: „Zukunft braucht auch Herkunft.“