Im Griff der Geopolitik

Der Wandel in der Weltwirtschaft stellt unternehmerische Strategien immer öfter auf eine Belastungsprobe. Ein profunder Überblick über die Entwicklungen wurde beim Expertenforum für Firmenkundenberater gegeben.

Handelskonflikte, Deglobalisierung und Polarisierung prägen zunehmend das globale Umfeld und strahlen damit auch auf die österreichische Wirtschaft aus. „Das Thema Geopolitik kann man nicht mehr negieren, wenn man international tätig ist“, konstatierte Raiffeisen-Chefanalyst Gunter Deuber beim Expertenforum für Firmenkundenbetreuer des Raiffeisen Campus.

Die geopolitische Konfrontation zwischen den USA einerseits sowie China und Russland andererseits führe zu Verschiebungen in den globalen Handelsströmen. Dabei gehe es darum, Systeme und Produktstandards auf internationaler Ebene durchzusetzen, um sich damit auch politische Macht zu sichern. Vor diesem Hintergrund sei es für Unternehmen und Banken besonders wichtig, sich über Abhängigkeiten und Risiken in der geopolitisch angespannten Situation bewusst zu werden. „Wir müssen in der Lage sein, unsere Kunden international zu begleiten und mit ihnen ökonomische Risiken auf globaler Ebene zu diskutieren“, so Deuber. Denn protektionistische Maßnahmen wie Zölle, Exportkontrollen und Sanktionen, die seit einigen Jahren zunehmen, können weitreichende Folgen haben. 

Raiffeisen-Chefanalyst Gunter Deuber gab einen profunden Einblick in die Neuordnung der Welt.
Raiffeisen-Chefanalyst Gunter Deuber gab einen profunden Einblick in die Neuordnung der Welt. © LeSteve/Eventframes.at

Aktuell schätzt Deuber die Risiken aus dem Machtwettbewerb zwischen demokratischen und autokratischen Systemen als besonders hoch ein. „Wir sind in der Phase der Neuausrichtung der geoökonomischen und geopolitischen Ordnung, die bereits seit einigen Jahren läuft und vielleicht in fünf, sechs Jahren ein stabileres Gleichgewicht bringen könnte.“ Für die demokratische Welt sei es wichtig, dass der öffentliche und der private Sektor eng abgestimmt agieren, weil sie es mit staatlich gelenkter Konkurrenz in allen Bereichen zu tun haben. Dabei warnt der Ökonom vor eindimensionalen Sichtweisen: „Wenn es um Geopolitik geht, steht nicht die Ökonomie im Vordergrund. Deshalb seien Sie sehr vorsichtig mit ökonomisch rationalen Argumentationen, wenn es um geopolitische Konflikte geht. Wir müssen die geopolitischen Verschieb­ungen verstehen, um uns richtig zu
positionieren.“ Themen wie Handelsbeschränkungen, Investitionsschutz, Sabotage, Industriespionage und Cyberangriffe gewinnen immer mehr an Bedeutung und werden die Wirtschaft noch einige Zeit fordern. Financial Hedging sei für solche Themen grundsätzlich „sehr, sehr schwierig“. Umso wichtiger sei es daher, wachsam zu sein.

Die globale Polarisierung verdeutlichte Deuber anhand der Sanktionen gegen Russland, das die Ukraine im Jahr 2022 angegriffen hat und seither einen verheerenden Krieg führt. „60 Prozent der Weltwirtschaft haben Russland sanktioniert“, so Deuber. Die restlichen 40 Prozent reichen allerdings aus, um die russische Volkswirtschaft relativ stabil und überlebensfähig zu halten. In dieser zugespitzten Lage mahnt der Raiffeisen-Experte zu Vorsicht: „Wir müssen uns bewusst sein, dass ein kleines Land wie Österreich, aber auch kleine und mittelgroße Banken, die nicht so sehr im Fokus stehen, für Umgehungsgeschäfte (von Sanktionen gegen Russland, Anm.) prädestiniert sind.“

Neue Rolle der USA 

Ein wesentlicher Treiber der geopolitischen Verschärfung sind die USA unter Präsident Donald Trump, der in seiner zweiten Amtszeit unter dem Motto „America first“ noch radikaler agiert als im ersten Mandat. Einen Blick hinter die Kulissen der Supermacht warfen Lukas Zitz, stellvertretender österreichischer Wirtschaftsdelegierter in New York, und die ehemalige ORF-Journalistin Hannelore Veit. „Die neue Administration ist sehr gut darin, Schlagzeilen zu schaffen“, konstatiert Zitz. Die erratische Handelspolitik Trumps betreffe alle Handelsbeziehungen der USA und sei stark von dessen Wunsch nach einer Reindustrialisierung des Landes getragen. Die volatile US-Zollpolitik sei besonders für die Planbarkeit in der Wirtschaft eine große Herausforderung. Österreich habe die Wirtschaftsbeziehungen seit den 2000er-Jahren deutlich ausgebaut. Im Vorjahr waren die USA nach Deutschland der zweitwichtigste Absatzmarkt mit einem Exportvolumen von 16,2 Mrd. Euro. Heuer gebe es einen Rückgang aufgrund der Unsicherheiten. Die österreichischen Investitionen haben sich seit 2009 fast vervierfacht – auf knapp 24 Mrd. Euro. 

Der stellvertretende Wirtschaftsdelegierte Lukas Zitz beleuchtete die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen.
Der stellvertretende Wirtschaftsdelegierte Lukas Zitz beleuchtete die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen. © LeSteve/Eventframes.at

Im internationalen Handel komme man am US-Markt nicht vorbei, so Zitz. Die USA werden von den Europäern als sehr ähnlich wahrgenommen, allerdings trüge der Schein, warnt der Wirtschaftsdelegierte: „Wenn man noch nie mit einem US-Partner Geschäfte gemacht hat, kann man schnell scheitern.“ Der kulturelle Unterschied sei entgegen allgemeiner Vorstellungen doch sehr groß. In den USA gehe es in der Wirtschaft weniger um Perfektion, sondern darum, Dinge rasch umzusetzen, Wirkungen zu erzielen und Ergebnisse zu liefern. Das Land sei aus einer Mischung von Pragmatismus, Offenheit und Tatendrang geprägt.

Die Persönlichkeit des Präsidenten nahm USA-Kennerin Hannelore Veit unter die Lupe: „Donald Trump ist jemand, der alle Regeln bricht – ,Rule-breaking’ ist sein Programm. Er ist der große Disruptor, der dafür auch definitiv die Instinkte hat. Er hat aber auch ein gestörtes Persönlichkeitsbild. Er übertreibt maßlos“, sagt Veit. Er schieße bei vielen Dingen weit übers Ziel

hin­aus und vertrage keine Kritik, kritisiere selbst aber alle anderen. Er verkaufe sich extrem gut als jemand, der sich in der Wirtschaft auskenne. „Ob das tatsächlich so ist, hat er bisher noch nicht beweisen können, aber in allen Umfragen hat er bei Wirtschaftsthemen die Nase vorn“, berichtete Veit. Die Wahl Trumps führt die Journalistin nach der Präsidentschaft von Joe Biden auf einen großen Wunsch der US-Bevölkerung nach Veränderung zurück. Das Wort „Change“ sei in ihren Recherchen omnipräsent gewesen.

Journalistin Hannelore Veit analysierte die Persönlichkeit von US-Präsident Donald Trump.
Journalistin Hannelore Veit analysierte die Persönlichkeit von US-Präsident Donald Trump. © LeSteve/Eventframes.at

Bremsspuren in Europa 

Trotz dieser seit Jahren anhaltenden Des­integration der internationalen Kooperation werde die Weltwirtschaft heuer dennoch relativ robust um die 3 Prozent wachsen, berichtete Christoph Schneider, Geschäftsführer des Wirtschaftsinstituts Economica. Bis 2030 werde die globale Wirtschaft damit rund einen halben Prozentpunkt unter dem Durchschnittswert der vergangenen zwei Jahrzehnte liegen, aber immer noch deutlich höher als in der Eurozone. „Die zunehmende wirtschaftspolitische Unsicherheit bremst die Konjunktur im Euroraum erheblich“, betont Schneider. Vor allem Investitionen und der private Konsum schwächeln, während die Energiekosten zugenommen haben. Dazu kommt, dass Europas Exportdynamik der globalen Entwicklung hinterherhinkt.

Die Handelshemmnisse seien aber nicht nur im internationalen Kontext ein Klotz am Bein der Wirtschaft, sondern auch innerhalb der EU selbst. Zwischen den EU-Ländern würden Regeln im Bereich der vier Grundfreiheiten – Waren, Personen, Kapital und Dienstleistungen – geschätzte Kosten im Ausmaß von 45 Prozent für den produzierenden Bereich und 110 Prozent im Dienstleistungsbereich verursachen. Das trage zur Inflation bei. „Gerade in Österreich haben wir noch mehr administrierte Regeln und ein starres System, das die Inflation treibt“, so Schneider. Das könnte man grundsätzlich mit einer höheren Produktivität wettmachen. Allerdings befinde sich diese in Österreich seit einigen Jahren im unteren Bereich im EU-Vergleich. Daher lautet der Befund des Ökonomen recht düster: „Wenn man keine Steigerung der Produktivität hat, gleichzeitig die Arbeits- und Transportkosten steigen, dann fällt die Wettbewerbsfähigkeit und wir preisen uns aus dem Markt.“ Hier gilt es anzusetzen, um den europäischen und österreichischen Standort
wieder fit zu machen.

AusgabeRZ47-2025

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