2002 hat man mit dem Ausbau der Koralmbahn in Graz begonnen. Am 14. Dezember 2025 wird nun der Regelbetrieb aufgenommen. Wie groß ist denn die Freude?
Martin Schaller: Wir können es schon gar nicht mehr erwarten. 23 Jahre sind eine lange Zeit. Wir freuen uns schon sehr auf die neue Dimension des Zusammenwachsens von Kärnten und der Steiermark. Ein großer Wirtschaftsraum entsteht und das Potenzial, das er bietet, werden wir nutzen.
Manfred Wilhelmer: Die Freude ist groß – den hier wachsen zwei Regionen zu einem Wirtschafts- und Lebensraum zusammen, mit einer Strahlkraft, weit über die Landesgrenzen hinaus. Das eröffnet ganz neue Perspektiven für Wertschöpfung, Mobilität und Zusammenarbeit.
Testzüge sind schon unterwegs. Sind Sie die neue Strecke schon gefahren?
Schaller: Leider noch nicht. Ich wäre gerne bei der Jungfernfahrt am 12. dabei gewesen, aber leider ist es mir aufgrund einer Sitzung nicht möglich. Aber bei der nächsten Gelegenheit werde ich die Strecke austesten.
Wilhelmer: Ich bin bei der offiziellen Eröffnung ebenfalls nicht dabei – aber über die Weihnachtsfeiertage plane ich ganz bewusst einen Abstecher nach Graz. 41 Minuten Fahrzeit, das muss man einfach selbst erleben.
41 Minuten braucht man von Graz nach Klagenfurt. Laut Wirtschaftskammer entsteht dadurch der zweitgrößte Ballungsraum Österreichs.
Schaller: Das ist nicht übertrieben, da wird sich wirtschaftlich sehr viel entwickeln. Die neue gemeinsame Dachmarke „Area Süd“ ist ein positives Zeichen, dass die beiden Bundesländer sehr gut zusammenarbeiten.
Wilhelmer: In den Gesprächen mit Unternehmern spüren wir: Das Thema ist in den Köpfen der Unternehmer sehr positiv besetzt. Jetzt geht es darum, auch die Bevölkerung noch stärker mitzunehmen und ihr zu zeigen, welche neuen Chancen mit der Koralmbahn entstehen.
Die Erwartungen sind vielerorts dennoch groß. Was kann die neue Verbindung bringen?
Wilhelmer: Das Lavanttal und Unterkärnten waren bisher strukturell benachteiligt und eher Randregionen. Durch den Koralmtunnel wird dieser Raum zentral eingebunden – wirtschaftlich wie infrastrukturell. Entlang der Achse von Graz nach Klagenfurt entsteht eine Wachstumszone. Erste Betriebsansiedelungen zeigen: Dort wo Mobilität ist, entstehen Verbindungen und Verbindungen stehen für Fortschritt und Zukunft. Das ist immer sehr positiv.

Gibt es Berechnungen, wie viele Prozentpunkte Wachstum diese Bahnstrecke bringt?
Schaller: Genaue Berechnungen gibt es nicht. Aber ich bin überzeugt, dass die Bahnstrecke einige Prozentpunkte an Wachstum und einen sich hoffentlich bald einstellenden Aufschwung bringen wird.
Wilhelmer: Wir erwarten, dass die bessere Erreichbarkeit eine Trendwende bei der Bevölkerungsentwicklung bringt – speziell für Kärnten. Junge Menschen können künftig in Graz studieren und trotzdem in Kärnten wohnen bleiben. Das steigert die Lebensqualität und Attraktivität der Region. Der Abwanderung können wir so etwas entgegensetzen.
Werden die Kärntner nur nach Graz pendeln oder entstehen auch Arbeitsplätze in Kärnten?
Wilhelmer: Wie bei einer Brücke gibt es immer zwei Richtungen und genau das ist die Stärke dieses Projekts. Arbeitsplätze werden nicht nur in der Steiermark, sondern auch in Kärnten entstehen – etwa durch neue Kooperationsmodelle, grenzüberschreitende Projekte oder universitäre Vernetzung. Diese Dynamik bringt Beschäftigung und Innovation direkt in die Region.
Welches Bundesland profitiert mehr?
Schaller: Eins und eins ist drei – in diesem Fall. Beide Seiten des Tunnels werden stark profitieren: das Lavanttal und Kärnten in Summe sowie die Weststeiermark und der Raum Graz. Es werden sich Betriebe ansiedeln. Eine Win-win-Situation für Bevölkerung, Tourismus und die gesamte österreichische Wirtschaft.
Es gibt schon Investitionen in Kärnten, können Sie das auch in der Steiermark erkennen?
Schaller: In der Weststeiermark spüren wir das sehr stark. In Deutschlandsberg, wo das Einfahrtstor zum Tunnel Richtung Süden ist, sehen wir Betriebsansiedlungen. Hier entstehen Wohnungen und Gewerbe. Man spürt einen Aufbruch und je näher die Eröffnung dieses Tunnels kommt, umso stärker ist er zu spüren.
Welche Erwartungen haben die Unternehmer oder die Arbeitgeber an die neue Verbindung?
Wilhelmer: Viele Unternehmen in Kärnten erleben eine völlig neue Nähe zu einem der dynamischsten Wirtschaftsräume Österreichs – Graz-Steiermark. Gleichzeitig verstärken sich die Potenziale in Richtung Süden – im gesamten Wirtschaftsraum Alpen-Adria. Wir rücken mit diesem Ballungsraum auch an Slowenien und Italien heran. Die Anbindung an die Häfen Koper, Triest und Venedig führt über die neue Strecke durch Kärnten Richtung Norden. Da tut sich viel und die Erwartung der Unternehmer ist, dass sie von diesem Wachstum profitieren.
Die Strecke in den Süden gab es ja schon vorher.
Wilhelmer: Das stimmt – aber mit der Koralmbahn bekommt diese Verbindung eine völlig neue Qualität. Sie wird nicht nur erweitert, sondern strategisch aufgewertet: durch schnellere Verbindungen, moderne Infrastruktur und eine höhere Taktfrequenz. Damit entsteht erstmals eine leistungsfähige Südachse, die nicht nur den Personenverkehr stärkt, sondern auch wirtschaftliche Impulse auslöst.
Wie viele Arbeitsplätze können in dem neuen Wirtschaftsraum geschaffen werden?
Schaller: Die konkreten Zahlen werden sich erst einstellen, aber wir rechnen doch mit einer gehörigen Sogwirkung auf beiden Seiten.
Gibt es bestimmte Sektoren, Branchen, die besonders stark profitieren?
Schaller: Gewerbe, Industrie, Handwerk und der Transport. Die unterschiedlichsten Branchen werden sich ansiedeln oder ausbauen. Ich rechne damit, dass sich auch aus dem benachbarten Ausland und aus benachbarten Bundesländern hier Unternehmen ansiedeln werden.

Die Westbahn fährt ab März den Klopeiner See direkt an. Wird die neue Verbindung dem Kärntner Tourismus einen Schub geben?
Wilhelmer: Der neue Bahnhof Kühnsdorf liegt in unmittelbarer Nähe zum Klopeiner See – das eröffnet völlig neue Perspektiven für den Sommertourismus. Und auch der Wörthersee ist von Graz aus bestens erreichbar. Die Koralmbahn wird zur Mobilitätsader, die nicht nur die Wirtschaft, sondern auch den Tourismus nachhaltig stärkt.
Schaller: Wir Grazer freuen uns schon sehr darauf, dass wir in 41 Minuten am See liegen können, das ist eine neue Qualität.
Die Koralmbahn wird als Jahrhundertprojekt tituliert. Was braucht es, um das volle Potenzial auszuschöpfen?
Schaller: Wir brauchen Unternehmertum. Wir brauchen Innovation, Mut und Tatkraft, also vieles, was unsere Unternehmer auszeichnet. Und wir brauchen für die Zukunft die weitere Verbindung in den Norden und Osten. Der nächste Quantensprung wird der Semmering-Basistunnel im Jahr 2030 beziehungsweise – aber das wird leider noch länger dauern – die Phyrn-Priel-Strecke, die dringend ausgebaut werden muss.
Wilhelmer: Wichtig sind die Rahmenbedingungen von politischer Seite, die Unternehmertum und Betriebsansiedelungen aktiv fördern: klare Anreizsysteme, beschleunigte Genehmigungsverfahren oder ausgewiesene Betriebsflächen. Gleichzeitig ist die Versorgungssicherheit bei Energie und Glasfaser ausschlaggebend. Es geschieht auch schon einiges – Technologieparks und neue Kooperationen zeigen, dass Bewegung in der Region ist, aber es braucht strategische wirtschaftspolitische Begleitung.
Wie lange wird es dauern, bis man das volle Potenzial ausschöpft?
Wilhelmer: Solche Entwicklungen brauchen Zeit – Infrastruktur ist ein Impulsgeber, kein Selbstzweck. Ich gehe davon aus, dass wir in den nächsten fünf bis zehn Jahren eine deutliche Dynamik erleben werden.
Die Wirtschaftskammer hat eine Mitgliederbefragung zur „Area Süd“ durchgeführt, wo mehr als die Hälfte für eine Vereinheitlichung von Landesgesetzen eintreten. Halten Sie das für realistisch?
Schaller: Da bin ich nicht nur zu 50 Prozent, sondern zu 150 Prozent dafür. Das ist ein Thema für ganz Österreich: Unterschiedliche Landesgesetze sind bürokratische Hindernisse. Wir wären gut beraten, wenn wir das zum Anlass nehmen würden, um auch in der Gesetzgebung noch stärker zu vereinheitlichen. Das würde der Wirtschaft tatsächlich zugutekommen. Je mehr unterschiedliche Regulierungen, umso mehr Hemmnisse sind vorhanden.
Wilhelmer: Hier kann ich nur zustimmen: Wenn zwei Regionen so eng verbunden sind wie Kärnten und die Steiermark, dann wäre eine Harmonisierung der Landesgesetzgebung ein echter Hebel für mehr wirtschaftliche Dynamik. Unterschiedliche Vorgaben etwa bei Betriebsansiedelung oder Förderzugängen bremsen derzeit mehr, als sie helfen. Einheitliche Regelungen würden die Entwicklung des gemeinsamen Wirtschaftsraums wesentlich beschleunigen.



Wird sich durch den gemeinsamen Wirtschaftsraum auch die Zusammenarbeit der beiden Landesbanken intensivieren?
Schaller: Wir arbeiten jetzt schon sehr gut und sehr eng zusammen. Natürlich wird sich durch das wirtschaftliche Zusammenwachsen noch mehr Kooperation ergeben, weil wir die Unternehmen gemeinsam noch besser betreuen werden können, als wir es jetzt schon tun.
Man sieht sich also nicht als Konkurrenz?
Wilhelmer: Ganz im Gegenteil. Viele Unternehmen entlang der neuen Achse kooperieren bereits, da ist es naheliegend, dass auch wir als Banken gemeinsam agieren. Bei Unternehmensfinanzierungen, bei Clusterprojekten oder bei der Wohnraumentwicklung können wir unsere Kräfte bündeln. Es geht um Netzwerke, die wir als Bank bereitstellen können, um den Wirtschaftsraum zu beleben.
Schaller: Ich sehe das genauso. Gemeinsame Auftritte werden uns noch stärker an unsere Kunden heranbringen, die wir dann gemeinsam betreuen können.
2026 soll es ein leichtes Wachstum geben. Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage in Ihren Bundesländern? Gibt es Vorlaufindikatoren, die darauf hindeuten, dass es bergauf geht?
Schaller: Stimmung ist die halbe Konjunktur, deshalb ist es eine wesentliche Aufgabe auch von uns Banken, für Stimmung zu sorgen. Die Steiermark ist ein Industriebundesland, und wir sind von der derzeitigen Situation sehr stark betroffen. Wir sehen ein zartes Pflänzchen einer Erholung, aber es bedarf noch eines Anschubs – von politischer, aber auch von wirtschaftlicher Seite. Wir Banken sind natürlich höchst interessiert daran, Stimmung zu geben, zu finanzieren, zu unterstützen. Für eine Hochkonjunktur im Jahr 2026 bedarf es schon noch einiger Anstöße.
Wo ist dieses Pflänzchen zu sehen?
Schaller: Wir sehen im privaten Wohnbau eine leichte Erholung, und dem Tourismus geht es gut.
Wilhelmer: Auch Kärnten steht als Industriestandort unter massivem Wettbewerbsdruck. Hohe Lohn- und Energiekosten, regulatorische Unsicherheiten belasten die Industrie und den Export. Der Handel ist weiterhin ein schwieriges Thema. Der Tourismus ist hingegen auch in Kärnten stabil, und der private Wohnbau zieht langsam an. Im klassischen Handwerkgewerbe hat sich die Situation ebenfalls stabilisiert. In Summe braucht es Mut, Zuversicht und Planbarkeit. Die Politik ist gefordert, diese Planbarkeit zu liefern.








