Schüler wünschen sich Lehrer, die am Puls der Zeit sind und sie auf das „wirkliche“ Leben und die Herausforderungen in der Berufswelt vorbereiten. Engagierten Lehrkräften bietet sich mit dem Projekt „Seitenwechsel“ nun die Möglichkeit, ihren Horizont außerhalb der Schule dafür zu erweitern. Die Idee dahinter: Die Pädagogen wechseln für ein Jahr in ein Unternehmen, um die dortige Berufswelt näher kennenzulernen. Die Betriebe übernehmen in dieser Zeit das Bruttogehalt. Zurück in der Schule sollen dann nach dieser einjährigen Weiterbildungskarenz die gewonnenen Erkenntnisse und frische Ansätze von den Lehrern in den Unterricht integriert werden.
So trafen Anfang September sieben Lehrer in Österreich nicht im Klassenzimmer auf ihre Schüler, sondern lernten im Büro neue Arbeitskollegen kennen. Die AHS-Professorin Bianca Frantz hat es normalerweise um diese Zeit mit jungen Leistungssportlern an der Liese-Prokop-Privatschule in Maria Enzersdorf zu tun. Nun arbeitet sie für 12 Monate mit erfahrenen Bankern der Raiffeisen Bank International (RBI) zusammen, um im nächsten Schuljahr das zusätzlich erworbene Know-how aus der Praxis in ihren Wirtschaftskunde-Unterricht zu transferieren.
Gemeinsam mit ihrem temporären Leiter Nikolaus Somogyi, der die Agenden der Abteilung Industrials verantwortet, berichtet sie von den ersten Eindrücken ihres beruflichen Perspektivenwechsels:
Was hat Sie dazu bewogen, Ihrer Klasse vorübergehend den Rücken zu kehren?
Bianca Frantz: Gerade als Lehrerin in Geografie und Wirtschaftskunde will ich immer auf dem neuesten Stand sein, und zwar nicht nur theoretisch. Darauf lege ich auch sehr viel Wert in meinem Unterricht. Meine Schüler sollen nicht nur am Handy hängen und Wissen zu gewissen Themen auf Google abfragen. Sondern beispielsweise wirtschaftsbezogene Zeitungsartikel – heutzutage natürlich vermehrt online – lesen, dabei die Zusammenhänge verstehen lernen und gemeinsam darüber diskutieren. In meiner Rolle als Lehrerin möchte ich meine Inputs dazu authentisch vermitteln. Ich möchte mich dabei nicht auf meinem Studium ausruhen, sondern die Berufsrealität außerhalb der Schule kennen. Auch, um zeitgemäße Antworten auf die Fragen meiner Schuler geben zu können. Dafür bietet sich der ‚Seitenwechsel‘ perfekt an.
Welche Fragen stellen Ihnen die Schüler im Fach Wirtschaftskunde?
Frantz: Es kommen beispielsweise immer öfter Verständnisfragen in Bezug auf das Wertpapiergeschäft. Manchmal sind es aber auch ganz banale Fragen wie ‚Welche Steuern gibt es überhaupt?‘, ‚Warum muss man Steuern zahlen und was passiert dann überhaupt mit dem Geld?‘. Auch Inflation ist immer wieder Thema. Oder wie sich die Corona-Krise wirtschaftlich auf den Einzelnen auswirkt. Manche Schüler befassen sich sogar mit dem Thema Investieren, wenn sie das schon von Zuhause etwas mitbekommen haben. Mit dem beruflichen Querausstieg möchte ich Ideen und Eindrücke aus der Realwirtschaft einholen und diese im Unterricht einfließen lassen.
Wie sind Sie dabei gerade bei der RBI gelandet?
Frantz: Nach dem mehrstufigen Bewerbungsprozess bei ‚Seitenwechsel‘ wurde von mir ein Profil gemäß meiner Ausbildung und fachlichen Expertise erstellt. Das ist in weiterer Folge mit den Unternehmen, die am Projekt teilnehmen, abgeglichen worden. Mit der RBI ist dann sozusagen ein Match entstanden, von dem nun beide Seiten profitieren sollen.
Warum nimmt die RBI am Projekt Seitenwechsel teil?
Nikolaus Somogyi: Wir wollen das Wirtschafts- und Finanzgeschehen näher an die Gesellschaft heranbringen. Das bedeutet natürlich auch damit in den Schulbereich zu gehen. Es soll so ein gegenseitiger Austausch ermöglicht werden, damit eben auch eine Lehrerin ein Jahr lang hautnah miterlebt, was in einer Bank täglich abgeht sozusagen.
Wie profitieren Sie bisher von der Zeit im RBI-Hauptquartier?
Frantz: Ich darf zu Beginn erst einmal in der Firmenkunden-Abteilung den Kollegen über die Schulter schauen, die sich um den Bereich Bauindustrie und Baumaterialien kümmern. In einigen Wochen ist dann auch geplant, dass ich im persönlichen Kontakt mit den Kunden eingesetzt werde.
Apropos Baubranche: Wo sehen Sie die größten Baustellen im aktuellen Bildungssystem?
Frantz: Ich finde, dass manche Inhalte im Lehrplan mittlerweile veraltet sind. Es gibt einige Fächer, bei denen mehr Fokus auf den Konnex mit der Wirtschaft gelegt werden könnte. Besonders in Gymnasien, um auch dort die Schüler zielgerichteter für das Berufsleben zu rüsten. Anstatt etwa in Geographie über die Einteilung der Alpen Bescheid zu wissen.
Was erwarten Sie sich für die Abteilung Industrials speziell von der Zusammenarbeit mit einer Pädagogin?
Somogyi: Wir arbeiten derzeit an einem internen Fortbildungsprogramm. Das nennt sich Skill-up. Dabei soll Frau Frantz mit ihrem pädagogischen Wissen und Erfahrungsschatz im Aufbauprozess unterstützend mitwirken. Wir Banker denken dabei an das Fachliche, also was vermittelt werden soll. Es geht aber auch darum, wie Inhalte bestmöglich vermittelt werden, da kommt unsere neue Kollegin ins Spiel.
Nach knapp zwei Monaten als Angestellte in einer international agierenden Bank, worin liegt für Sie der wesentliche Unterschied zur Arbeitsweise in der Schule?
Frantz: Der Arbeitsalltag ist ganz anders getaktet. Zudem arbeite ich in der Schule zu etwa 90 Prozent mit Jugendlichen zusammen. Jetzt eben ausschließlich mit langjährigen Bankern. Nicht zu unterschätzen ist eigentlich auch, dass ich an einem Schultag viel auf den Beinen bin und in der Bank beinahe nur sitzende Bürotätigkeiten verrichte.
Welche Rolle spielt die Generation Z für die RBI? Also zum Beispiel jene 14- bis 19-jährigen Schüler, die Frau Frantz für gewöhnlich unterrichtet.
Somogyi: Bei der RBI geht es uns vor allem auch darum, der Gesellschaft oder besser gesagt den Menschen etwas zurückzugeben. Wir möchten unsere Arbeit für Jugendliche erlebbar machen und gleichzeitig die Lebenswelten der Generation Z kennenlernen.
Sind daher also für die kommenden Schuljahre weitere ‚Seitenwechsel‘ geplant?
Somogyi: Durchaus, Projekte wie diese sind eine wertvolle Verbindung von Schule mit der Praxis des Wirtschaftslebens. Ich finde es jedenfalls toll, dass sich eine Lehrkraft traut, sozusagen ins kalte Wasser zu springen. Für Pädagoginnen wie Frau Frantz ist der Change ja nicht nur ein geografischer, sondern vor allem ein Wechsel in eine ganz andere berufliche Welt, außerhalb der Komfortzone.