Wider Erwarten war auch das abgelaufene Jahr 2021 von Covid-19 dominiert. Inwieweit hat das die Arbeit des ÖRV beeinflusst?
Andreas Pangl: Natürlich hat Covid auch unsere Arbeitsweise verändert. Wir waren das Jahr hindurch lange Phasen im Homeoffice. Und die unbedingt notwendigen Präsenztermine konnten wir dank der guten Test-Infrastruktur im Raiffeisenhaus Wien immer sehr sicher abwickeln. Wesentlich für das reibungslose Funktionieren des ÖRV war aber letztlich das gute Miteinander im Team. Ich möchte daher allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter danken, die großes Engagement und viel Flexibilität gezeigt haben – das war sicherlich nicht immer ganz einfach. Bestmögliche Dienstleistungen für unsere Mitglieder auch in diesen Ausnahmezeiten, das war immer unser Ziel – und das ist uns, glaube ich, sehr gut gelungen.
Justus Reichl: Besonders gefordert haben uns auch die turnusmäßigen Sitzungen unserer Gremien, bei denen wir unterschiedliche Varianten erprobt haben. Interessant die Rückmeldungen dazu: Sie gehen sehr in Richtung entweder/oder – also ganz in Präsenz oder ganz digital. Bei Hybrid-Varianten haben sich viele der nur online Zugeschalteten oft nicht als „gleichwertige“ Teilnehmer gefühlt. Was jedenfalls allen fehlt – gerade in unserer so stark dezentral aufgestellten Raiffeisenfamilie: der persönliche Austausch, der Blick in die Augen des Visavis, die Emotionen, der Handschlag. Für den ÖRV als die Kommunikationsdrehscheibe des Raiffeisensektors ist das umso mehr Auftrag und bleibt wohl bis auf weiteres eine besondere Herausforderung.
Pangl: Zumindest einen persönlichen Besuch bei fast allen unseren Mitgliedern in den Bundesländern haben Justus und ich aber vor dem Herbst-Lockdown noch geschafft. Denn es war uns beiden sehr wichtig, den persönlichen Dialog wieder aufzunehmen.
Reichl: Und inzwischen sind wir eifrig am Planen des nächsten Österreichischen Raiffeisentages, der am 1. Juli in Salzburg stattfinden wird – nicht digital, sondern ganz real.
ÖRV-intern wurde zudem der 2018 angestoßene Strategieprozess fortgesetzt – zu den externen Herausforderungen also auch interne. Ist die Aufteilung der Geschäftsbereiche unter Euch als Führungsduo also gerade zur richtigen Zeit gekommen?
Pangl: Der Strategieprozess ist ja in drei Schritten erfolgt: zunächst unsere klare Positionierung als die einzige sparten- und bundesländerübergreifende Plattform im Raiffeisensektor. Daraus ergeben sich unsere Aufgaben. Das haben wir im neuen Leitbild festgehalten. Zweiter Schritt war die Sicherung der Finanzierung unter anderem durch eine neue Mitgliedsbeitragsordnung. Und nun – im dritten Schritt – geht es um die Optimierung unserer internen Struktur. Was die Geschäftsführung angeht, war es mir wichtig, die Kompetenzen und Stärken von Justus Reichl nutzen zu können. Wir arbeiten hervorragend zusammen und ergänzen uns prächtig. Das bestätigen uns nicht nur unsere Mitglieder, das hören wir auch im eigenen Haus. Das zeigt, die Aufteilung der Bereiche war absolut die richtige Entscheidung.
Reichl: Und apropos zur richtigen Zeit: Gerade angesichts von Covid und immer neuen Lockdowns hat sich gezeigt, hier braucht es eine ganz andere Art von Führung. Früher waren wir es gewohnt, uns auf den beiden Stockwerken des ÖRV, und genauso am Campus und im Fachverband, täglich zu begegnen, uns auf kurzem Weg abzustimmen. Das alles war so nicht mehr möglich. Der Betreuungsaufwand von der Geschäftsführung hinein in die Bereiche wurde zweifellos intensiver und brauchte andere Formen des Dialogs. Insofern hat es geholfen, dass wir die Aufteilung vorgenommen haben und wir beide so mehr Zeit hatten, uns unseren jeweiligen Verantwortungsbereichen zu widmen.
Zuletzt wurde ÖRV-intern auch vieles in der Aufbau- und Ablauforganisation optimiert. Was konkret?
Pangl: Unsere größte Stärke, aber zugleich Herausforderung ist, dass der ÖRV so vielfältig aufgestellt ist. Von Revision bis Kommunikation, vom Campus bis Interessenvertretung und Beratung. Die Tätigkeiten und Themen sind dabei sehr unterschiedlich und reichen vom Genossenschaftsgesetz-Kommentar bis zu Diversität, von der Energiewende bis zur neuen Raiffeisen-Einlagensicherung. An all diesen Themen und vielen weiteren arbeiten unsere Expertenteams oft sehr fokussiert. Die Kunst und zugleich unser Ziel ist es, dabei auch die bereichsübergreifende Zusammenarbeit im ÖRV zu stärken – nicht zuletzt, weil es immer mehr übergreifende Themen gibt. Man denke etwa an Nachhaltigkeit. Das beginnt bei Kommunikation und Interessenvertretung, setzt sich fort in der Bildung und Beratung und muss letztlich auch geprüft werden. Herausforderungen, wo alle unsere Experten gefordert sind und wir noch mehr zusammenarbeiten müssen – im Sinne der Steigerung der Qualität für unsere Mitglieder, aber auch der besseren Identifikation unser Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dem gesamten ÖRV.
Reichl: … ein wichtiger Punkt. Denn immer wieder stellen wir fest: Die Breite an Dienstleistungen, die wir aus dem ÖRV heraus anbieten, ist nicht nur dem Sektor mitunter unbekannt, sondern auch einigen unserer eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Wir haben daher bei unserem Herbstfest die Möglichkeit genutzt, wie bei einer Art internen Leistungsschau wieder einmal allen zu zeigen, was wir eigentlich alles können, nach dem Motto „Wir im ÖRV“. Das hat dem Zusammengehörigkeitsgefühl glaub‘ ich sehr gutgetan und zugleich die Basis verstärkt, auf der dann themenübergreifend weitergedacht und -gearbeitet werden kann.
Stichwort Dienstleistungen des ÖRV: Wie haben sich die fünf Bereiche im Ausnahmejahr 2021 geschlagen?
Pangl: Der Campus ist überraschend gut durch 2021 gekommen, obwohl über weite Strecken nur digitale Angebote möglich waren. Die dazu notwendigen Videostudios wurden vom Campus-Team quasi über Nacht eingerichtet und haben sich voll bewährt. Somit war fortlaufender Bildungsbetrieb ohne Unterbrechung gegeben, mit zusammen rund 3.000 Teilnehmern in etwa 230 Veranstaltungen. Chapeau! Erfreulich ist zudem, dass unsere akademische Schiene sehr gefragt ist, also die MBA- und Master-Lehrgänge – ein Zeichen, dass der Bildungsbedarf ungebrochen ist. Und nicht zuletzt ist uns 2021 eine hervorragende Nachbesetzung von Georg Gruber gelungen, der mit Ende 2021 in Pension geht. Nach einem breiten Auswahlprozess konnten wir Josef Buchleitner als neuen Geschäftsleiter neben Matthias Breiteneder installieren.
Und die Beratung?
Reichl: In den Beratungsabteilungen ging es natürlich um zig Fragen im Zusammenhang mit Covid. So hat sich etwa bei arbeitsrechtlichen Fragen gezeigt, wie wichtig die Arbeit der von Bettina Kastner aus dem ÖRV heraus koordinierten HR-Runde ist, in der alle Bundesländer vertreten sind. Das geht aber weit über Covid hinaus – siehe Themen wie Raiffeisen als starke Arbeitgebermarke, gemeinsame Social Media-Auftritte auch im Recruiting und so weiter. In Rechtsfragen wiederum war Markus Dellinger gefordert, etwa mit einem ganz wesentlichen Beitrag – sprich einem Fachgutachten als Grundlage für die Bewilligung der neuen Raiffeisen Einlagensicherung. Und in Betriebswirtschafts- und Bilanzierungsfragen konnte sich Alexander Schiebel samt Team noch weiter im Sektor etablieren.
Was uns jeweils hilft – und wir immer wieder positiv rückgespiegelt bekommen: „Ihr kennt den Sektor. Ihr kennt die Themen. Mit Euch kommt man entsprechend schnell zu guten und praktikablen Lösungen.“ Ich denke, das ist es, was die ÖRV-Beratung und unsere Expertenteams gut beschreibt. Hoffentlich auch meinen ureigenen Schwerpunkt Genossenschaft, aktuell mit „Raiffeisen next“ – dem Projekt zur Verjüngung unserer Funktionärskader, mit den ersten Schülergenossenschaften in Österreich sowie mit unserer Genossenschafts-Gründungsinitiative kooperieren.at.
Zwei ganz wesentliche Bereiche im ÖRV sind zudem Revision und Interessenvertretung …
Pangl: Und beide hatten Lockdown-bedingt natürlich mit besonderen Herausforderungen zu kämpfen, sprich: Eine Prüfung ohne die Prüfer beziehungsweise die Geprüften vor Ort ist schwer durchzuführen und auch Interessenvertretung nur per Post funktioniert einfach nicht. Die Revision war jedoch durch das Projekt „Smart Revision“ technisch wie organisatorisch bestens vorbereitet und konnte dadurch alle Prüfungen zeitgerecht und in der gewohnten Qualität abschließen. Dafür Gratulation an die Mannschaft rund um Generalrevisor Michael Laminger.
Währenddessen war unsere Interessenvertretung auf nationaler und internationaler Ebene – neben den bekannten großen Themen wie Basel IV oder Green Deal – in der Mitwirkung an den umfangreichen und oft sehr kurzfristig erlassenen Corona-Gesetzen gefordert. Da sind Johannes Rehulka im Bankbereich und Josef Plank im Agrarbereich oft die berühmte Extrameile gegangen, um das rechtliche Umfeld für unsere Mitglieder entsprechend praktikabel zu gestalten. Für mich persönlich war die Arbeit im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss vorerst auf Videokonferenzen beschränkt, aber ich konnte mich dort zu unseren Themen dennoch einbringen.
Fehlt noch ein Mitglied im Team ÖRV – die Kommunikation. Hier gibt es aktuell Neuerungen rund um die Raiffeisenzeitung beziehungsweise den Ausbau der Services der Raiffeisen Media. Welchen Mehrwert bringt die Media für den Sektor?
Reichl: Mit der Raiffeisenzeitung verfügt der ÖRV über eine im Sektor bestens etablierte Informations- und Kommunikationsdrehscheibe. Höchst anerkannt, sehr geschätzt. Das freut mich als Herausgeber ganz besonders! Viel positives Echo gibt es auch auf unsere jüngsten Bestrebungen, die Raiffeisenzeitung ab sofort allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Funktionärinnen und Funktionären sowie Pensionistinnen und Pensionisten des Sektors zugänglich zu machen. Aber wir setzen noch einen weiteren Schritt: Wir wollen das, was es im Kommunikationsteam an Expertise und Sektor-Know-how gibt, noch stärker und über das Format Raiffeisenzeitung hinaus anbieten. Wohl im Bewusstsein, dass es im Sektor vielfach bewährte Kommunikationskompetenz gibt. Aber auch im Wissen, dass zuletzt verstärkt entsprechende Anfragen nach Unterstützung im Bereich Kommunikation und PR an uns herangetragen wurden. Daher nun der Schritt zu einem Produktkatalog mit einer Reihe von Kommunikationsdienstleistungen – Sektorkenntnis und Engagement wie bei uns üblich inklusive.
Pangl: Ein Nebeneffekt dessen ist auch, dass wir unsere interne Kommunikation künftig noch professioneller gestalten wollen, von Newslettern bis zu unseren Social Media-Auftritten.
Und mit welchen Schwerpunkten wird sich der ÖRV im Jahr 2022 noch beschäftigen?
Reichl: So die Lage wieder mehr Veranstaltungen in echt zulässt, wollen wir natürlich mit unseren Initiativen zu Diversität, Frauen, Jugend und Genossenschaftsgründungen zurück auf die Bühnen – jeweils gemeinsam mit unseren Partnern in den Bundesländern. Und immer mit konkreten Angeboten zur Umsetzung vor Ort.
Pangl: In der Interessenvertretung sind die zentralen Themen die Umsetzung von „Basel 4“ und die Regulierung gegen den Klimawandel. In beiden Fällen geht es nicht darum, jede neue Regelung strikt abzulehnen, sondern Lösungen zu finden, die unseren genossenschaftlichen Strukturen gerecht werden. Am Raiffeisen Campus entsteht mit dem Projekt „L@ra“ gerade eine neue E-Learning-Plattform, und unsere Revisionsabteilung ist Gründungsmitglied eines neuen Bankprüferverbandes, der als erstes Projekt die Zertifizierung des „Bankprüfungsmanagers“ anstrebt, um attraktiver für potenzielle Berufseinsteiger zu werden.
Das kommende Jahr steht auch im Zeichen der Wahl eines neuen Generalanwalts. Wie bereitet man sich im ÖRV darauf vor?
Pangl: Ja, die Funktionsperiode von Walter Rothensteiner endet im Juni 2022 und er hat angekündigt, nicht erneut anzutreten. Laut unserer Statuten obliegt die Nominierung eines neuen Generalanwalts beziehungsweise die Erstellung eines Wahlvorschlages der Generalanwaltschaft. Dazu wird es wohl im März kommen. Die Wahl findet dann am 30. Juni im Rahmen des Raiffeisentages in Salzburg statt.
Reichl: Bis dahin werden wir unseren Strategie- und Organisationsprozess so weit abgeschlossen haben, dass der ÖRV auch unter und mit einem künftigen Generalanwalt erfüllen kann, was wir uns im Leitbild vorgenommen haben: Unsere Mitglieder mit umfassenden Services unterstützen, noch mehr Menschen inspirieren, an genossenschaftlichen Lösungen im Land mitzuwirken und insgesamt einen Beitrag leisten, damit Raiffeisen und Österreich noch ein Stück besser werden.
Stichwort „Österreich“: Die Pandemie ist noch nicht vorüber. Dennoch stellt sich bereits jetzt die Frage, welche Auswirkungen Corona auf unser Land, auf unser aller Leben haben wird. Welche Rolle können Genossenschaften, kann Raiffeisen bei der Bewältigung dieser Krise und der Folgen übernehmen?
Pangl: Jede Krise sollte die Menschen eigentlich enger zusammenrücken lassen. Und am Anfang der Pandemie war das ja auch der Fall. Derzeit steuern wir aber einer bedenklichen Spaltung unserer Gesellschaft entgegen. Und es ist zu befürchten, dass sich diese Spaltung noch verstärken wird, wenn es am Ende Gewinner und Verlierer gibt. Auch wird eine ganze Generation einen Teil ihrer Jugend verlieren. Das alles wird Auswirkungen auf unser soziales Leben haben, darauf muss unsere Gesellschaft rasch Antworten finden. Andererseits hat die Pandemie als Digitalisierungsturbo unseren Alltag bereits entscheidend verändert. Davon wird einiges erhalten bleiben, vor allem in den Arbeitswelten und in unserem Mobilitätsverhalten. Verstärkt wird dieser Wandel durch den unaufhörlich fortschreitenden Klimawandel. Die notwendigen Maßnahmen, diesen zu bekämpfen, werden unser Leben sogar mehr beeinflussen als die Folgen der Pandemie. Wir werden also mehr denn je Menschen brauchen, die bereit sind, zu gestalten und Verantwortung zu übernehmen.
Reichl: „Wir macht’s möglich“ – diese neue Kurzfassung der Raiffeisen-Idee bringt es doch genau auf den Punkt. Daher kann und wird Raiffeisen zur Zukunft Österreichs und seiner Regionen das beisteuern, was immer schon unser Anliegen war: das Füreinander. Das Miteinander. Die Beteiligung möglichst vieler. Zum Wohle möglichst aller. Meines Erachtens ein gerade heute wieder notwendiger Zugang – denn nur im Ich, nur im Ego werden wir das Heil wohl nicht finden. Am Ende gewinnt immer das Wir!