Günther Reisel: „Veränderungen sind für mich immer nur Chancen“

Günther Reisel geht in seinem 30. Dienstjahr bei der Aktuell Gruppe mit Ende März in den Ruhestand. Wir sprachen mit ihm über Meilensteine und Stolpersteine, Raiffeisen als Eigentümer und die Grande Armèe.

Günther Reisel im Interview
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Eine Pensionierung ist stets Anlass, um zurückzublicken. Welche Meilensteine haben Ihr berufliches Leben gekennzeichnet?
Günther Reisel: Der erste Meilenstein war, als ich als Geschäftsführer der Raiffeisen-Versicherungsmaklerdienst GmbH (RVD), der erst 1990 gegründeten Vorgängerfirma der heutigen Aktuell-Makler-Gruppe, Mitte der 90er-Jahre eine Bilanz präsentieren konnte, ab der wir nicht mehr auf die finanzielle Unterstützung der RLB NÖ-Wien angewiesen waren. Das war für mich ein erhebendes Gefühl, mit der RVD auf eigenen zwei Beinen zu stehen: Der Großkundenmaklerei und dem Bankenvertrieb.Als zweiten Meilenstein würde ich sehen, dass uns die RLB ab 2002 auch den gesamten Bausparvertrieb übergab, für mich eine Anerkennung unserer Arbeit.Der aus meiner Sicht wichtigste Meilenstein war dann die Phase der Zukäufe inklusive der Gründung von Niederlassungen in Linz und Graz 2005 bis 2007. Plötzlich waren wir ein österreichweiter Player – das war schon ein entscheidender Schritt.Der nächste echte Meilenstein war, als ich die RBI als Kunden gewonnen habe. Das war unser Schritt zur Internationalität. Wir haben ein eigenes Team RBI gegründet, ein Kompetenzcenter nur für die RBI. Die RBI ist kein leichter Kunde, aber letztlich kommt es auf das Vertrauen an – und das haben wir uns erarbeitet.

Die Aktuell Gruppe ist eng an den Raiffeisensektor angebunden. Wie sehr hat das die Entwicklung beeinflusst?
Reisel: Ich behaupte durchwegs gut. Die Basis für unseren erfolgreichen Weg war die Zusammenarbeit mit unseren Gründungsmitgliedern RLB NÖ-Wien und VLG (heute RWA) sowie der Geschäftsleitervereinigung der Raiffeisenbanken in NÖ. So konnten wir zeigen, was wir können, um das Vertrauen der Primärbanken zu erwerben. Ohne das Vertrauen der Banken geht bei Raiffeisen gar nichts. Und das Gute bei Raiffeisen ist: Es gibt keine Freunderlwirtschaft, sondern klare Rechnung, gute Freunde. Ich habe immer das Prinzip verfolgt, mich um Sektorkunden noch mehr zu bemühen als um andere. Weil das meine Familie ist, die muss zufrieden sein. Für mich waren Raiffeisen-Kunden keine Muss-Kunden, sondern eine besondere Aufgabe und Ehre, deren Vertrauen zu bekommen.Aber natürlich ist Raiffeisen auch eine polarisierende Marke. Wenn man am freien Markt agiert, gibt es immer welche die sagen, mit Raiffeisen und der grünen Mafia will ich nichts zu tun haben. Überwiegend war es aber positiv, zu Raiffeisen zu gehören und eine gute Reputation zu haben, was uns beim Kunden dann auch einen gewissen Rückenwind gegeben hat. Bewähren muss man sich dann ohnehin selber in der persönlichen Beziehung. Als Dienstleister zählt immer die persönliche Beziehung.

Hat sich Ihre Führungsrolle in diesen 30 Jahren verändert?
Reisel: Ja natürlich. Als wir begonnen haben, waren wir klein, jeder hat alles gemacht, und wenn man mich gefragt hat, was ich von Beruf bin, habe ich gesagt Versicherungsmakler und Mädchen für alles – ich bin Chef. Da ging es darum, voranzugehen, Einsatz zu zeigen, Richtung zu geben. Auch Mut zu geben, dass ein zartes Pflänzchen wächst. Der Markt war voll, der Markt war für uns da. Wer Kompetenz zeigen konnte und moderne Ideen hatte, hat gewonnen. Das war wirklich eine wunderschöne Zeit der Prosperität.Als ich dann Geschäftsführer einiger Gesellschaften mit unterschiedlichen Firmenkulturen war, ging es vor allem darum, alle ins Boot zu holen. Danach ging es um die Strategie. Das war der Zeitpunkt, wo auch ein zweiter Geschäftsführer notwendig war. Die Mitarbeiter sind beim Dienstleister das Allerwichtigste. Napoleon war ein großer Feldherr, aber ohne seine Grande Armée hätte er nicht einen einzigen Obelisken aus Ägypten stehlen können. Und warum hat er mit dieser Armee sogar in Unterzahl Schlachten gewonnen gegen Stärkere? Weil sie motiviert war und die Generäle die Strategie eingehalten haben, loyal waren und die Motivation weitergeben konnten. Diese Motivationskette, bei der jeder weiß, er ist die Visitenkarte des Unternehmens und was ich mache, ist relevant, ist ausschlaggebend. Ich glaube, dieses Gefühl vermittelt ein guter Dienstleister. Und dieser Geist herrscht bei uns vor.

Haben Versicherungen in Zeiten von Corona an Bedeutung verloren?
Reisel: Die Versicherungsbranche, aber auch die Maklerbranche hatten generell ein gutes Jahr. Erstens einmal, weil die Regierung Konkurse verhindert hat. Konkurse sind Prämienausfälle sind Provisionsausfälle. Gleichzeitig ist auch ein Bewusstsein der Absicherung entstanden. So ist die Krankenversicherung stark nachgefragt, es hat Produktinnovationen geben, man hat geschaut am Markt präsent zu sein. Aber auch sonst haben viele diese Zeit zum Anlass genommen, ihre Versicherungen durcharbeiten zu lassen. Wir haben aber auch im Bestand nachgebessert. Was weggefallen ist, ist die Akquise. Denn Akquise online geht nicht. Das funktioniert nur Aug in Aug, mit Handschlag und dem Gefühl, wie tickt der andere, was hat er für eine Wertewelt.

Was werden Sie vermissen?
Reisel: Vermissen werde ich das Unternehmerische. Chancen zu lukrieren, abzuwägen und zu entscheiden, da geht was, da engagieren wir uns, gute Lösungen zu suchen und Win-win-Situationen zu schaffen. Wir machen gerade einen großen Veränderungsprozess durch. Ich sehe das als Chance, nicht als Gefahr. Veränderungen sind für mich immer nur Chancen. Eine meiner letzten großen Akquisen war die Genossenschaft Alpenland, wo ich gegen vier andere Makler angetreten bin. Ich war von Anfang an überzeugt, die passen zu uns, die will ich. Und ich habe mich durchgesetzt. Diese kleinen persönlichen Siege, die keine Siege waren auf Kosten von jemandem, sondern ein auf menschlicher Basis Vernünftig-sein und zu sagen: Das ist dein Ziel, das ist mein Ziel und jetzt suchen wir einen Weg, wo wir beide gewinnen. Das sind die Highlights, an die ich mich gerne erinnere.