Eine solche Szene kommt wahrlich nicht alle Tage vor. Bei den Mountainbike-Staatsmeisterschaften im Marathon in Kleinzell liegt Sabine Sommer in Führung, als sie sich im steinigen Gelände einen Platten aufreißt. Beim Versuch, den Schaden zu beheben, flitzt plötzlich ihre Tochter Clara an ihr vorbei. „Mama, brauchst du Hilfe“, fragt sie? „Nein, fahr weiter“, kommt es retour, schließlich geht es um nichts Geringeres als den österreichischen Titel. „Am Ende wurde Clara Zweite, ich konnte mich noch als Dritte ins Ziel retten“, kann Sabine heute über den Vorfall herzhaft lachen. Zwei Sommers auf dem Stockerl – typisch für die Familie, bei der sich fast alles um Trittfrequenzen und Trainingspläne dreht.
„Was man selbst gerne macht, bringt man auch seinen Kindern bei“, erzählt die 49-jährige Lehrerin für Sport und Mathematik lapidar. „Und so sind wir immer schon zu viert mit dem Mountainbike unterwegs gewesen.“ Zur Sportgruppe gehören ihr Mann Alexander (52) und die Töchter Clara (19) und Nicole (16). Schnell wurde klar, dass Talent und Trainingseifer groß genug sind, sodass das Cruisen durch den Wald mehr als nur Hobby wurde. Und zwar bei allen Beteiligten.
Sabine zum Beispiel hat nach der Geburt der zweiten Tochter „langsam angefangen, das Trainingspensum zu erhöhen“. Das Ergebnis: Bereits wenige Jahre später stand sie 2013 bei der Marathon-Weltmeisterschaft (in dieser Disziplin sind die Strecken meist 60 bis 80 Kilometer lang) am Start und belegte auf Anhieb den 14. Rang. Seither hat sie sich fünf weitere Male für die weltweiten Titelkämpfe qualifiziert und kam immer in die Top 20, einmal sogar in die Top 10. Auch Ehemann Alexander, im Zivil-Beruf Programmierer, ist höchst erfolgreicher Hobbyfahrer und erwarb sogar die Masters-Lizenz, um an größeren Wettkämpfen teilzunehmen.
Aufhören ist keine Option
Sehr gute Rad-Gene also, die die Töchter Clara und Nicole mit auf den Weg bekommen haben. Und die sie auch bald zu nutzen wussten. „Sie sind schon 2011 erste Rennen gefahren, haben sich Stück für Stück herangetastet“, erzählt Sabine. Es kamen die ersten Erfolge, irgendwann trainierte man weniger nach Gefühl, sondern nach von professionellen Trainern erstellten Plänen. Und es wurde klar, dass in beiden Mädchen das Potenzial für eine Karriere stecken würde.
Eine Tendenz, die sich im zu Ende gehenden Jahr 2022 voll bestätigt hat. Clara, die „nebenbei“ in Linz Medical Engineering studiert, fuhr ihre erste Saison im U23-Weltcup und konnte sich konstant im Mittelfeld platzieren. Das Highlight aber war der 22. Platz bei der Europameisterschaft in Portugal, als sie namhafte Konkurrentinnen hinter sich lassen konnte. Pech dagegen hatte sie bei der Weltmeisterschaft Ende August in Frankreich, als es „nur“ zum 36. Rang reichte. „Gleich nach dem Start gab es einen Sturz, in den Clara verwickelt war“, erzählt Sabine. „Sie konnte zwar weiterfahren und noch den einen oder anderen Platz gutmachen, für eine Top-Platzierung hat es aber nicht mehr gereicht.“
Wobei Clara aus schmerzhafter Erfahrung weiß, dass so etwas auch viel schlimmer enden kann. Denn vor zwei Jahren unterlief ihr ein kapitaler Crash nach einem kleinen Fahrfehler, bei dem sie sich einen Wirbel brach, zwei Zähne verlor und sogar eine Leber-Blutung erlitt. „Das war hart“, erinnert sich Sabine. „Sie wäre am liebsten gleich wieder aufs Rad gestiegen, was aufgrund der schweren Verletzungen aber nicht möglich war. Aufhören war für sie keine Option, und wir als Eltern wussten, dass es auch keinen Sinn hat, ihr den Sport zu verbieten.“ Risiken und Nebenwirkungen einer Sportart, die zu den vergleichsweise gefährlicheren gehört.
Starke Österreicherinnen
Ein solches Erlebnis hatte ihre jüngere Schwester Nicole noch nicht zu verarbeiten. Für sie war das Highlight des Jahres der 15. Platz bei den Junioren-Europameisterschaften in der Schweiz, als sie auf höchst anspruchsvoller Strecke eine reife Leistung zeigte. Und: Bei den österreichischen Meisterschaften ihrer Altersklasse wurde sie Dritte, was ihr eine Aufnahme in den U19-Nationalkader bescherte. „Das ist extrem wichtig, weil man dann mehr Unterstützung vom Verband bekommt und beispielsweise bei Rennen vor Ort auf ein größeres Netzwerk zurückgreifen kann.“
Beide jungen Sommer-Damen starten übrigens im olympischen Cross-Country-Bewerb, bei dem es gilt, einen technisch herausfordernden Rundkurs zu bewältigen, der aus Steigungen und Gefällen besteht. Ganz im Gegensatz zum Downhill-Bereich, bei dem es, wie der Name vermuten lässt, ausschließlich bergab geht. „Das hat sie aber nie interessiert“, weiß die Mutter, „für sie war das Bergauffahren immer genauso faszinierend.“
Derzeit gibt es eine ganz Reihe an starken Österreicherinnen, die in der Mountainbike-Szene für Furore sorgen. Vali Höll (Downhill), Laura Stigger oder Mona Mitterwallner (beide Cross Country) sind Namen, die über den Sport hinaus eine gewisse Bekanntheit erlangt haben. „Diese Beispiele zeigen, dass es in Österreich eine extrem starke Nachwuchsarbeit gibt. Und auch wenn es solch starke Konkurrenz für Clara manchmal schwieriger macht, einen Kaderplatz zu ergattern, ist es gut, dass der Sport dadurch Aufmerksamkeit generiert und in den Medien präsent ist.“
Starker Partner
Was natürlich auch bei der Suche nach Unterstützern hilft. Bereits seit fünf Jahren fungiert die regionale Raiffeisenbank in Neumarkt im Mühlkreis als Dressen-Sponsor für die gesamte Familie, die für den Verein PopaFlo ARBÖ Freistadt antritt. In diesen Tagen endet die kurze Wettkampf- und Trainingspause und es beginnt die Vorbereitung auf die neue Saison, in der der zuletzt gezeigte Aufwärtstrend fortgesetzt werden soll. „Für Clara geht es darum, sich wieder für WM und EM zu qualifizieren und im U23-Weltcup konstant in die Top 20 vorzustoßen“, sagt Sabine. „Und Nicole soll im ersten Jahr in der U19-Klasse Erfahrungen sammeln, sich an die schweren Strecken gewöhnen und ihren Kaderplatz verteidigen.“
Und sie und ihr Mann Alex? „Na ja, wir sind im Laufe der Zeit ruhiger geworden und formulieren keine großen Ziele mehr. Außerdem haben wir uns in diesem Jahr einen lang gehegten Traum erfüllt.“ Und zwar die Teilnahme am Swiss Epic, einem fünftägigen Etappenrennen für Zweier-Teams in den Schweizer Alpen. Sieger in der Mixed-Kategorie: Alexander und Sabine Sommer. Ein oberösterreichisches Ehepaar als strahlende Sieger eines Kultrennens – auch das kommt wahrlich nicht alle Tage vor.