Die „disruptive Wende“ der vergangenen Jahre – die Corona-Pandemie sowie der seit mehr als 500 Tagen tobende russische Angriffskrieg gegen die Ukraine – hat auch Agrana, den führenden österreichischen Veredler und Verarbeiter von agrarischen Rohstoffen, enorm gefordert. „Hohe Energiekosten, gestiegene Rohstoffpreise und instabile Lieferketten waren nur einige Schlagschatten der sehr volatilen Marktsituation 2022/23. Obwohl Agrana selbst von den Auswirkungen unmittelbar und hart getroffen war und ist, gelang es den schwierigen Rahmenbedingungen zum Trotz die Versorgung der Kunden weltweit sicherzustellen“, strich Aufsichtsratspräsident Erwin Hameseder bei der gut besuchten Präsenz-Hauptversammlung im Raiffeisenhaus hervor.
Auch die immer stärkeren Auswirkungen des Klimawandels beschäftigen den Konzern. „Wir sind uns unserer Verantwortung in Sachen Klimaschutz und Klimawandel im eigenen Bereich und bei der Unterstützung unserer Geschäftspartner bewusst“, sagte Hameseder. Deshalb habe man sich ambitionierte CO₂-Reduktionsziele im Einklang mit den Pariser Klimazielen und den Vorgaben des Green Deals gesetzt. Allerdings: „Wir haben hier einen Weg zu gehen, der aber auch wirtschaftlich gut vertretbar sein muss“, mahnte der Aufsichtsratspräsident.
Besonders herausfordernd seien nicht nur für Agrana, sondern für den gesamten Agrarsektor die Einschränkungen bei den Pflanzenschutzmitteln. Den europäischen Bauern werden einerseits wichtige und modernste Wirkstoffe im Pflanzenschutz entzogen, während gleichzeitig der Druck zur Marktöffnung, Stichwort Mercosur, dazu führen werde, dass Lebensmittel aus anderen Erdteilen, insbesondere aus Südamerika, in die EU importiert werden, „die genau zu jenen Produktionsmethoden angebaut werden, die in der EU verboten sind. Das Mindeste, das wir von der europäischen Politik erwarten müssen: Wer mit seinen Produkten auf den europäischen Markt möchte, muss zu den gleichen Standards produzieren, wie man es in der EU den eigenen Bauern vorschreibt“, forderte Hameseder.
Agrana-EBIT mehr als verdreifacht
Agrana-CEO Markus Mühleisen zeigte sich angesichts der widrigen Rahmenbedingungen „sehr zufrieden“ mit dem mehr als herausfordernden Geschäftsjahr 2022/23, in dem ein operatives Ergebnis von 158 Mio. Euro, ein Plus von 83 Prozent im Jahresabstand, erzielt wurde. Der Umsatz legte preisgetrieben um 25,4 Prozent auf knapp 3,64 Mrd. Euro zu. Das Ergebnis der Betriebstätigkeit (EBIT) hatte sich im Jahresvergleich von 24,7 Mio. auf 88,3 Mio. Euro mehr als verdreifacht. Unterm Strich erzielte Agrana im abgelaufenen Geschäftsjahr 2022/23 trotz einer Abschreibung im Halbjahr in Höhe von 91 Mio. Euro aufgrund des Ukraine-Krieges sowie gestiegener Finanzierungskosten ein Konzernergebnis von 24,7 Mio. Euro, nach einem Verlust von 12,2 Mio. Euro 2021/22.
Finanzvorstand Stephan Büttner zählte auch negative Entwicklungen auf. So sank die Eigenkapitalquote des Konzerns von 48,5 auf 41,8 Prozent. Die Schulden des Unternehmens gingen hinauf und der freie Cashflow war im abgelaufenen Geschäftsjahr negativ. Letztendlich beschlossen die Aktionäre eine Dividende von 90 Cent je Aktie, nach 0,75 Cent 2022 im Vorjahr.
Der positive Ergebnistrend des abgelaufenen Geschäftsjahres setzte sich auch im ersten Quartal 2023/24 fort, erklärte Büttner. So legte das EBIT um 23,1 Prozent auf 63,5 Mio. Euro weiter zu, während der Umsatz um 9 Prozent auf 966,1 Mio. Euro anstieg. Die EBIT-Marge verbesserte sich auf Jahresbasis von 5,8 Prozent auf 6,6 Prozent. Für das gesamte Geschäftsjahr 2023/24 rechnet Agrana mit einem deutlichen Anstieg beim Ergebnis der Betriebstätigkeit (EBIT) sowie beim Konzernumsatz.
Produktion in der Ukraine läuft weiter
Beim Blick des Konzerns nach Osten berichtete Mühleisen, dass die Produktion in der Ukraine trotz der Kriegshandlungen weiterlaufe, wenn auch in einem deutlich verminderten Ausmaß. „Wir produzieren derzeit circa 1.000 Tonnen pro Monat für den lokalen und regionalen Markt“, erklärte der CEO. Auch wenn die Produktion dort aktuell nicht unbedingt wirtschaftlich sei – sie habe sich auf ein Niveau von 50 Prozent der Produktion vor dem Kriegsausbruch eingependelt. Daneben ist Agrana nach wie vor auf dem russischen Markt präsent. Man habe sich mangels wirtschaftlicher Alternativen für den Verbleib in Russland entschieden. „Eine Schließung ist das am wenigsten Vorteilhafte, da würden wir wirtschaftlich alles liegen lassen“, so Büttner. Auch ein Verkauf wäre mit signifikanten Abschlägen durch Sondersteuern verbunden. Die Lage werde daher stetig evaluiert.
Agrana beliefert in Russland vor allem internationale Kunden, die bis auf McDonald’s den russischen Markt bis dato nicht verlassen haben. Man stelle das russische Unternehmen etwa bei den Lieferketten so auf, dass es eigenständig operieren kann. „Wir wissen nicht, wo die Reise hingeht“, sagte Büttner. Im letzten Geschäftsjahr habe man zwar über 10 Mio. Euro Gewinn gemacht, allerdings seien Dividendenzahlungen nur eingeschränkt möglich. Investitionen werden keine getätigt. Die Aktionäre der Hauptversammlung haben auch Claudia Süssenbacher, Finanzvorständin der Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien, in den Aufsichtsrat gewählt. Sie folgt in dieser Funktion Veronika Haslinger nach. Süssenbacher soll auch noch in den Aufsichtsrat des deutschen Agrana-Partners Südzucker gewählt werden.
Agrana steuert neue Ziele an
Neben diesen operativen Herausforderungen arbeitete Agrana im abgelaufenen Geschäftsjahr auch an einer neuen Strategie, mit der man „zu neuen Zielen“ aufbrechen will. Präsentiert wurden die Eckpunkte der noch nicht fertigen Strategie. „Es ist an der Zeit zu überlegen, wie wir den nächsten Schritt in der Entwicklung von Agrana gestalten wollen. Wachstum wird immer schwieriger und komplexer“, so Mühleisen. Eine Chance sei, tiefer in die Wertschöpfungsketten zu gehen, ohne die Rolle als Veredler und Verarbeiter von agrarischen Rohstoffen aufzugeben. Als Zukunftsmärkte für das Unternehmen wird das Geschäft mit natürlichen Geschmacksstoffen gesehen. Hier sei man mit Austria Juice bereits gut aufgestellt. Dieser Markt soll in den nächsten Jahren auf 12 Mrd. Euro anwachsen.
Eine dynamische Entwicklung wird auch für den Markt mit pflanzenbasierten Proteinen prognostiziert. „Langfristig wird eine pflanzenbasierte Ernährung eine größere Rolle spielen“, erklärte Mühleisen. Und auch beim Thema biobasierte Materialien sieht man Wachstumschancen. Dabei geht es im Wesentlichen darum, Polymere aus natürlichen Rohstoffen zu produzieren. Auch hier sei Agrana mit technischen Stärken bereits gut aufgestellt und könne vor allem auch mit dem industriellen Know-how punkten.
Zur neuen Strategie gehöre auch eine Diversifizierung der Absatzkanäle. „Wir sind stark fokussiert auf den Bereich Milchprodukte und Getränkeindustrie. Daneben gibt es noch weitere interessante Absatzkanäle“, so Mühleisen. Für das laufende Geschäftsjahr sind Investitionen in Höhe von rund 150 Mio. Euro geplant. Davon sollen 16 Prozent in die Verringerung von Schadstoffemissionen, der Gutteil jedoch in die Erweiterung der Erzeugung von Spezialstärken gehen.