Aktuell werden jeden Tag in Österreich etwas mehr als 11 Hektar Boden verbaut. Etwa die Hälfte davon geht laut Umweltbundesamt durch Versiegelung dauerhaft verloren. Der Bodenverbrauch wird zwar kontinuierlich weniger, liegt aber immer noch auf einem viel zu hohen Niveau: Vom Ziel der Bundesregierung, den täglichen Verbrauch bis 2030 auf 2,5 Hektar einzuschränken, ist man weit entfernt.
Österreich ist bei der Zerstörung der Böden Europameister im negativen Sinn, weiß Kurt Weinberger, Vorstandsvorsitzender der Österreichischen Hagelversicherung, die seit jeher auf die Folgen des voranschreitenden Bodenverbrauchs aufmerksam macht. So verzeichnet man hierzulande 60 die höchste Anzahl an Supermärkten pro 100.000 Einwohner und mit 15 Meter Straße pro Kopf eines der dichtesten Straßennetze Europas. Im Vergleich dazu zählt Deutschland 40 Supermärkte pro 100.000 Einwohner und 7,8 Meter Straße pro Kopf.
„In den letzten 15 Jahren wurden im Durchschnitt 20 Hektar pro Tag in Österreich verbaut, während in Deutschland mit der zehnfachen Ackerfläche nur 75 Hektar pro Tag verbaut wurden. Wenn man das auf die verfügbare Ackerfläche der beiden Länder bezieht, dann werden in Österreich jährlich 0,56 Prozent und in Deutschland jährlich 0,22 Prozent verbaut“, rechnet Weinberger vor.
Erhebliche Konsequenzen
Angesichts der aktuellen Unwetter und Starkregenereignisse betont Weinberger: „Zubetonierter Boden kann kein Wasser speichern, die Überschwemmungen werden mehr! Zubetonierter Boden geht damit auch als Speicher zur Grundwassersicherung verloren. Außerdem kann verbauter Boden keine Wärme speichern, auch die Hitze wird zunehmen.“ Als wichtigste Konsequenz des Bodenverbrauchs nennt Weinberger aber die Gefährdung der Lebensmittelversorgungssicherheit.
„Durch den Bodenverbrauch kommt es zu einem Verlust der Produktionsgrundlage und somit zu einer Gefährdung der heimischen Lebensmittelversorgung. Das ist auch eine Frage der nationalen Sicherheit! Daher muss es das oberste Ziel Österreichs sein, die Lebensgrundlage Boden zu erhalten, nicht durch Verbauung weiter zu zerstören und die Selbstversorgung Österreichs mit heimischen Lebensmitteln aufs Spiel zu setzen. Hier herrscht jedenfalls Handlungsbedarf“, appelliert er und unterstreicht: „Wenn wir unser Land weiter mit dem Tempo durch Verbauung zerstören, dann gibt es in 200 Jahren keine Landwirtschaft und keine heimischen Lebensmittel mehr.“
Bodenverbrauch nimmt Essen vom Teller
Um die Auswirkungen für Lebensmittelversorgungssicherheit zu veranschaulichen, hat die Hagelversicherung eine Studie in Auftrag gegeben. Der WIFO-Agrarexperte Franz Sinabell hat gemeinsam mit Katharina Falkner unter dem Titel „Bodenverbrauch nimmt uns Essen vom Teller“ berechnet, wie viele Menschen man mit der seit 1999 verloren gegangenen Ackerfläche ernähren hätte können.
So wurden zwischen 1999 und 2020 österreichweit rund 130.000 Hektar verbaut. Eine Fläche, die der ganzen Ackerfläche des Burgenlandes entspricht, vergleicht Sinabell. „Das Augenmerk der Studie liegt auf Ackerland, weil darauf Nahrung erzeugt werden kann, die dem Menschen unmittelbar zugänglich ist. Die Ergebnisse zeigen, dass das Ackerland zwischen 1999 und 2020 um über 72.000 Hektar abgenommen hat. Im selben Zeitraum verringerte sich die Fläche des Ackerlandes von 1.750 auf 1.460 m2 pro Person. Dieser Rückgang setzt sich einerseits aus dem Verlust von Ackerland und andererseits aus dem Anstieg der Bevölkerung zusammen. Umgerechnet in Versorgungsleistung bedeutet der Rückgang des Ackerlandes, dass in Österreich binnen 20 Jahren etwa 480.000 Menschen pro Jahr weniger ernährt werden können“, fasst Sinabell die Studienergebnisse zusammen.
Das heißt, ohne Flächenverlust hätte Österreich 2020 insgesamt 9,16 Mio. Menschen ernähren können. Aufgrund der Verbauung sind es allerdings nur mehr 8,68 Mio. Menschen. Also knapp eine halbe Million Menschen weniger. „Österreich leistet somit auch keinen zusätzlichen Beitrag zur globalen Ernährungssicherung. Im Gegenteil, die Abhängigkeit der Bevölkerung von Importen steigt“, schlussfolgert Sinabell und appelliert: „Wir haben hier eine Schieflage. Bodenschutz ist derzeit unzulänglich verankert, es muss mehr getan werden, um Bodenverlust durch Verbauung zu begrenzen.“
Selbstversorgung sichern
„Uns sollte klar sein, dass wir von Beton nicht abbeißen können. Tag für Tag sinkt durch die Zerstörung unserer Äcker und Wiesen der Selbstversorgungsgrad. Bei Kartoffeln haben wir mittlerweile nur mehr 80 Prozent Selbstversorgung und beim Brotgetreide rund 90 Prozent“, macht Weinberger aufmerksam und fordert daher, wie in der Schweiz „den produktivsten Böden ein absolutes Bauverbot aufzuerlegen, um die Ernährungssicherung der Bevölkerung auch in Zukunft sicherzustellen“.
Der gesetzliche Schutz von Agrarflächen sei aber nur eine Maßnahme: „Die geplante Bodenschutzstrategie bietet nach den Prinzipien ‚Vermeiden, Wiederverwerten, Minimieren‘ zwar ein Maßnahmenbündel zur Zielerreichung von 2,5 Hektar pro Tag an. Sie braucht aber verbindliche, quantitative Zielwerte“, so Weinberger. Immobilien-Altbestand müsse man wieder in die Nutzung bekommen und darüber hinaus gilt es, weiter zu verdichten: „Mehr in die Tiefe und in die Höhe bauen.“