Seit dem von US-Präsident Donald Trump ausgerufenen „Liberation Day“ Anfang April, als Trump seine Zolldrohungen medienwirksam präsentierte, haben sich die globalen Aktienmärkte erholt. Zuletzt setzten vor allem die US-Börsen ihre Rekordjagd fort, angetrieben von der Euphorie rund um Künstliche Intelligenz und der Aussicht auf sinkende US-Zinsen. Diese Dynamik färbt auch auf die europäischen Märkte ab.
„Sämtliche Aktienindizes befinden sich auf De-facto-Höchstständen“, sagt Helge Rechberger, Senior Aktienanalyst bei Raiffeisen Research. Dieser Aufwärtstrend werde wahrscheinlich mit leichten Vorteilen für Europa weitergehen. Die gemessene Volatilität an den Märkten sei zuletzt entgegen der gefühlten relativ niedrig gewesen. Das führt Rechberger auf den vorherrschenden Börsenpragmatismus zurück: „Wir haben momentan Meldungen in den Zeitungen, die uns von den Hockern reißen, und der Aktienmarkt reagiert darauf mit minimalen Rückgängen. Die Märkte gewöhnen sich an das Außergewöhnliche.“ Dazu zählt der Aktienanalyst vor allem geopolitische Entwicklungen wie den Angriff Israels auf ein Hamas-Ziel in Katar bzw. das Auftauchen russischer Drohnen im NATO-Land Polen.
Gute Laune am Aktienmarkt
Die schwächeren US-Wirtschaftsdaten, allen voran die Rückgänge und Revisionen auf dem Arbeitsmarkt sowie die abkühlende Konjunktur, befeuern momentan die Spekulationen für Zinssenkungen, die der breite Markt nun überwiegend erwartet. Das sorgt für eine gute Laune am Aktienmarkt. Die Unternehmensgewinne in den USA fallen schon das dritte Jahr hintereinander kräftig aus, heuer dürften sie über das Jahr gesehen wieder einen zweistelligen Wert erreichen, was zum Teil auf die Dollarschwäche zurückzuführen sei, erklärt Rechberger. Der Dollar verlor seit Jahresanfang an die 15 Prozent zum Euro – und dieser Trend dürfte abgeschwächt weiter in Richtung 20 Prozent gehen. „US-Präsident Trump fährt bewusst oder unbewusst eine Politik der Dollarschwächung“, sagt Rechberger. Damit fallen die Gewinne der multinationalen US-Unternehmen in Europa in der Bilanz automatisch höher aus.
Je mehr sich die Konjunkturdaten in den USA abschwächen und die Inflation nicht sehr stark steigt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die US-Notenbank die Zinsen senkt, was zu einer weiteren Schwächung der US-Währung führen dürfte – wenn auch vieles davon schon vorweggenommen sei, fasst der Ökonom zusammen.
US-Zölle kein großes Wachstumshemmnis
Für europäische Anleger brachte die Dollarschwäche im ersten Halbjahr 2025 dagegen vor allem geringere Gewinne bzw. zum Teil auch Verluste bei US-Werten. Diese Entwicklung dürfte sich nun abschwächen, da sich zuletzt der Wechselkurs zwischen dem Euro und dem US-Dollar stabilisiert hat. Für europäische Unternehmen bringt die Euro-Stärke vor allem Herausforderungen im Exportgeschäft. „Wir sehen keine Gewinneinbrüche, allerdings steigen die Erträge nicht weiter an und verlieren an Dynamik“, so der Raiffeisen-Experte.
Die brutale US-Zollpolitik habe dazu geführt, dass der effektive Zollsatz zum Beispiel für die EU weitgehend 15 Prozent betrage und damit durchaus bewältigbar sei, so Rechberger. „Die Börse freut es, dass man zumindest vordergründig Stabilität hat.“ Es sei aber allen klar, dass „schon morgen alles anders sein kann“. Die US-Zölle würden bisher die Inflation nicht befeuern und seien auch kein großes Wachstumshemmnis. Einerseits dürften viele US-Händler vor der Zolleinigung mit der EU ihre Lager aufgefüllt haben und andererseits werden die höheren Zölle in der Wirtschafts- und Handelskette verteilt, sodass begehrte Konsumgüter wie europäische Autos in den USA über Nacht einen Preissprung machen.

„Die Märkte gewöhnen sich an das Außer- gewöhnliche.“
Helge Rechberger
KI beflügelt weiter
Ein Treiber der Börsenentwicklung der vergangenen Jahre war und ist die Euphorie in Bezug auf Künstliche Intelligenz. „Diese ist mit der Elektromobilität oder grünen Energie vergleichbar – beides gibt es schon, beides entwickelt sich weiter und beides wird eine Riesenzukunft haben – man weiß aber noch nicht, wann genau“, so Rechberger. Alle Unternehmen seien dahinter, es würden weltweit unglaubliche Summen investiert. Davon profitieren weniger die kleinen zielgerichteten KI-Unternehmen, sondern viel mehr Techkonzerne wie Nvidia, einer der größten Entwickler von Grafikprozessoren und Chipsätzen. „Bei der Verarbeitung von gigantischen Datenmengen kommt man nur schwer um die besten Nvidia-Chips herum – koste es, was es wolle“, so Rechberger.
Aber auch die Rüstungsindustrie, zu der etwa die deutsche Rheinmetall gehört, ist aufgrund der angekündigten massiven Rüstungsausgaben der Staaten und der aktuellen Kriege in der Ukraine und in Gaza im Aufwind. So hat etwa die EU einen Sondertopf von rund 2 Billionen Euro dafür in Aussicht gestellt und allein Deutschland will mehrere hundert Milliarden in das Nachrüsten der Bundeswehr stecken. „Die mit Abstand größten Rüstungsausgaben tätigt Polen“, so Rechberger.
ATX heuer als Outperformer
Die hohe Verschuldung bestimmter Länder wie Frankreich bereite zwar grundsätzlich Sorgen, „aber wir sind in einem ganz anderen Umfeld als in der Staatsschuldenkrise nach 2009“. Während damals der Fokus auf den sogenannten Peripherie-Staaten lag, wie Griechenland, Portugal oder Irland, betreffe es jetzt große Länder, von denen man annimmt, dass sie „too big to fail“ sind und eine ausreichende wirtschaftliche Stärke haben, um die Herausforderungen zu bewältigen.
Ein Beispiel dafür sei Österreich: Die Verschuldung sei in den vergangenen Jahren zwar stark nach oben gegangen, die Spread-Aufschläge zu deutschen Staatsanleihen seien sehr gering. Auch der ATX zeigt sich bisher davon wenig beeindruckt und ist heuer ein Outperformer unter den etablierten Aktienmärkten. Rechberger führt das im Wesentlichen auf das angekündigte deutsche Infrastrukturpaket und einen möglichen Ukraine-Wiederaufbau zurück. Davon sollten die stark vertretenen ATX-Werte aus dem Bau-, Industrie- und Bankenbereich profitieren, hoffen die Anleger.