Alfons Haider: „Ich lasse mich nicht in Zahlen messen“

Intendant Alfons Haider lässt die Saison in Mörbisch und auf Schloss Tabor Revue passieren und gibt einen kleinen Vorgeschmack auf das kommende Jahr, in dem er selbst auf der Seebühne spielen wird.

Die Seefestspiele Mörbisch sind nach 26 Vorstellungen von Saturday Night Fever für heuer zu Ende gegangen. 157.000 Karten wurden verkauft, die Auslastung liegt bei 99,3 Prozent. Wie fällt Ihre persönliche Saisonbilanz aus?
Alfons Haider: Mein Souverän ist das Publikum und nicht Kritiker oder Meinungsmacher: Wir wollten 120.000 Menschen erreichen und hatten bei der Premiere schon 143.000 Karten verkauft. Wir sind auch jetzt schon bei 62.000 verkauften und reservierten Karten für „La Cage aux Folles“ (Ein Käfig voller Narren) in der kommenden Saison. Der Vorverkauf ist ein Vertrauensbeweis, den muss man sich erst einmal erarbeiten. Aber ich lasse mich nicht in Zahlen messen, sondern es geht darum, dass es dem Publikum gefällt. Ich sitze in jeder Vorstellung und höre mir das Publikum an, das habe ich von Harald Serafin gelernt. In der Pause gehe ich durch die Menge, das ist anstrengend und bedeutet bis zu 100 Selfies, aber da höre ich, was die Leute empfinden und wie sehr es ihnen gefällt. Medien, die nicht wirklich Verständnis für breite Unterhaltung haben, werden nie in Mörbisch Gefallen finden, das ist ihnen zu banal. Die Premiere haben wir bei Nordsturm mit 14 Grad begonnen und bei 12 Grad beendet, natürlich war da die Stimmung etwas unterkühlt.

Seit 2022 werden nur mehr Musicals aufgeführt. Hat sich dieser Rückzug von der Operette unter Ihrer Intendanz bewährt? 
Haider: Ich habe mich vor 12 Jahren schon einmal beworben und wollte damals bereits Musical nach Mörbisch bringen. Man hat sich also zunächst nicht getraut, komplett auf Operette zu verzichten, aber dann haben sich die Zahlen verschlechtert. Die Zahl der älteren Besucher ist zurückgegangen und die Jüngeren haben einfach eine Schwellenangst zu Operetten. 2022 habe ich mit Musicals, die eher operettenhaft sind, begonnen: „Der König und ich“, „Mamma Mia!“ und „My Fair Lady“. Diese Musicals sind eigentlich Operetten im Klang, dadurch haben mir 80 Prozent der Operetten-Besucher verziehen. Das Musical hat sich etabliert und die Zahlen sprechen für sich: Wir haben ein Drittel mehr Besucher. Manche sind aber heute noch böse auf mich und sagen: Haider ist der Operetten-Killer. Dabei ist auf Schloss Tabor, wo ich ja auch Chef bin, die Operette Kaiser. Böse war man mir auch, weil ich das Feuerwerk nach jeder Vorstellung abgedreht habe – in einem Gebiet mit der größten Brutkolonie an Vögeln in Österreich. Jetzt haben wir ein spektakuläres Feuerwerk mit Wasser, das ist nicht laut und hat eine viel schönere Wirkung. 

Ziel der Neuausrichtung in Mörbisch war die Verjüngung des Publikums. Wie gut gelingt das?
Haider: Im letzten Operettenjahr lag das Durchschnittsalter bei rund 70 Jahren. Wir sind jetzt bei einem Durchschnittsalter von 45, weil auch viele Kinder und Teenager nach Mörbisch kommen. 

Im nächsten Jahr kommt „Ein Käfig voller Narren“ auf die Seebühne. Nach welchen Kriterien wählen Sie die Musicals aus? 
Haider: Es sind Stücke, die mich ein Leben lang begleitet oder begeistert haben, wie etwa „The King and I“. Ich habe Yul Brynner kurz vor seinem Tod als König Mongkut gesehen und in der Pause treffen dürfen. Er sagte damals zu mir: „Alfons, you are going to be a great king.“ 18 Jahre später ist seine Tochter bei mir in Stockerau in der ersten Reihe gesessen, wo ich den König gespielt habe. Das war so in meinem Herzen, dass ich das Stück auch nach Mörbisch geholt habe.

Welchen Bezug gibt es zu „Ein Käfig voller Narren“?
Haider: Ich habe „La Cage aux Folles“ zwei Monate nach der Welturaufführung am Broadway gesehen, das ist 40 Jahre her. Es ist eine perfekt inszenierte, mit wunderschönen Melodien kombinierte Komödie mit Tiefgang. Es ist keine Schwulenkomödie, sondern eine Komödie über Liebe. Bei uns steht der Hauptsong über allem: „Ich bin, was ich bin.“ Jeder darf sein, wie er ist. Homophobie gibt es immer noch und nimmt wieder zu, darum ist es auch wichtig, dass wir dieses Stück spielen. „La Cage aux Folles“ ist Unterhaltung mit Haltung.

Heuer gab es vereinzelt Kritik, dass „Saturday Night Fever“ nicht in die heutige Zeit adaptiert worden sei. Wie viel Adaption ist bei „Ein Käfig voller Narren“ notwendig? 
Haider: Diese Italo-Macho-Gehabe-Gesellschaft in New York – wie in Saturday Night Fever – gibt es ja nicht mehr, da wäre das ganze Stück also nichts mehr. „La Cage aux Folles“ werden wir ohne Zeitangabe spielen. Liebe gibt es heute noch, Homophobie und Dummheit auch. Es wird also das Original sein, aber wir werden es als riesengroße Revue adaptieren. Mit 40 Cagelles – das sind die Herren als Damen – werden wir eine volle Bühne inszenieren. Wir werden auch vier Frauen besetzen, damit das Publikum sich fragt, wer ist wirklich eine Frau. Das Publikum soll fantasie-spielend nach Hause gehen. Das Bühnenbild zeigt die Côte d’Azur und auf der vorgelagerten Insel wird ein Satz als großes Statement zu sehen sein.

Sie spielen bei „Ein Käfig voller Narren“ die „weibliche“ Hauptrolle. Warum?
Haider: Alle haben darauf gewartet, dass ich ab meinem ersten Jahr in Mörbisch jedes Mal eine Rolle spiele, aber das finde ich unpassend. Als Intendant eine Hauptrolle zu spielen, darauf wollte ich fünf Jahre warten oder bis eine Rolle ruft: Zaza habe ich schon mit Riesenerfolgen gespielt. Ich habe mir bewusst mit Mark Seibert einen 20 Jahre jüngeren
Hetero-Partner ausgesucht, damit es keine Schwulenoper ist. Es ist Travestie, also ein Mann trägt gerne Damenkleider.

In Ostösterreich hat man Sie seit 2018 nicht mehr auf der Musical-Bühne gesehen. Wie gut sind Sie im Training?
Haider: Ich übe jetzt schon wieder, mit Stöckelschuhen zu gehen. Stimmlich bin ich dank meinem Auftritt im Musical „Skiverliebt“ heuer im Salzburger Landestheater in Form. Aber es ist natürlich anders, ob man mit 37 Jahren en suite spielt oder mit 67. Ein Schauspieler wird das Geschäft nie vergessen, aber man wird vielleicht langsamer und gescheiter in der Einteilung seiner Energie.

Was macht Ihnen mehr Spaß: Die Rolle als Intendant oder als Darsteller?
Haider: Bei der Intendanz lässt mich eine Sache nie in Ruhe: Das Absagen. Für Saturday Night Fever haben wir 300 Menschen gecastet, die teilweise mit dem Nachtzug aus Amsterdam oder Rom kommen sind, um eine Chance zu bekommen. Nach den ersten Tönen abzuwinken, das ist schon sehr hart, aber ich will es den Kandidaten persönlich sagen und nicht per Tonband zehn Tage später ausrichten lassen. Gleichzeitig ist es schön, Talente zu entdecken: Anna Rosa Döller, Timotheus und Aeneas Hollweg spielen seit Mamma Mia! viele große Rollen.

Sie sind als Generalintendant bei den Kultur-Betrieben-Burgenland für Musiktheater-Festivals verantwortlich, dazu gehört auch Schloss Tabor in Jennersdorf, wo heuer eine Hommage an Robert Stolz am Spielplan stand. 
Haider: Robert Stolz hatte heuer seinen 50. Todestag, aber niemand hat ihn gewürdigt. Ich habe Robert Stolz als 17-Jähriger kennengelernt, um „Die ganze Welt ist himmelblau“ zu singen. Ich war sehr nervös und hatte Fragen zu den Noten, da nahm Stolz meine Hand und sagte: „Meine Lieder singt man mit dem Herzen.“ Dieser Satz hat seither mein Leben geprägt. Die Robert-Stolz-Revue hatte auch 92 Prozent Auslastung. Es ist auch mein Kulturauftrag, den ich im Burgenland habe, dass wir Menschen mit solchen Stücken überraschen. Nächstes Jahr spielen wir bewusst ein Jahr nach dem Strauss-Jubiläum Wiener Blut. Man soll unsere großen Komponisten nicht nur zu den Jubiläen hören dürfen. 

Mit Ihrem Antritt als Generalintendant wurden auch Überlegungen für weitere Spielstätten angekündigt. Was ist daraus geworden? 
Haider: Das steht noch immer zur Debatte. Ich habe den Vorschlag gemacht, dass wir im Norden des Burgenlandes, also im Einzugsgebiet der Wiener, einen Spielort suchen. Ein Operetten-Karussell wäre herrlich, dass wir die Produktion aus Tabor im darauffolgenden Jahr in den Norden versetzen. Wiener fahren nicht 2:20 Stunden nach Jennersdorf, das ist vielen zu weit. Die Überlegung gibt es nach wie vor, ist natürlich kostenaufwändig. Aber ich bin bereit, falls so eine Entscheidung kommt. 

Jetzt ist erst mal Saisonpause. Wie gut können Sie abschalten? 
Haider: Ich habe heuer nach 30 Jahren wieder neun Tage Urlaub und fahre an einen griechischen Strand, auf das freue ich mich. Das Burgenland macht mir aber sehr viel Spaß – bis zum letzten Applaus. Wenn man fast vier Monate, bei Wind und Wetter auf der Bühne steht, schweißt das natürlich zusammen. Ist das Stück dann vorbei, tut das immer sehr weh, auch wenn man selbst nicht auf der Bühne steht. Im Geiste stehe ich natürlich ständig auf der Bühne und gedanklich bin ich schon im Jahr 2028. 

AusgabeRZ35-2025

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